Schauspieler im Interview

Axel Milberg: "Als Schauspieler werden weder die Schönsten noch die Intelligentesten gebucht"

01.08.2017 - Cihan Köse

Seit bald 15 Jahren ist er als Kommissar Borowski beim Kieler Tatort zu sehen. Er gewann den Grimme Preis für den deutschen Film "Liebesjahre" und verleiht seine Stimme auch Rollen in Hörbüchern. DAS MILIEU sprach mit dem Schauspieler Axel Milberg über Gleichberechtigung bei der Berufswahl, schwierige Prozesse im Künstlerdasein und seine Methode, sich seinem echten Glück zu widmen.

DAS MILIEU: Deine Figur des Tatort-Kommissars Borowski ist kaum am Handy zu sehen, redet nur so viel wie nötig und ist immer klar fokussiert. Ganz anders unser Alltagsleben von Heute: Smartphone immer in Nutzung, man äußert sich zu jedem Thema und wir sind durch so viele Angebote um uns herum abgelenkt. Was kann diese Gesellschaft von Borowski lernen?

Axel Milberg: Es ist für uns alle schwierig geworden, im Augenblick zu leben – nicht im Gestern, nicht im Morgen, sondern im Hier und Jetzt! Wahrzunehmen was um uns ist und mit wem wir zu tun haben, zuzuhören. In der Kommunikation haben wir mittlerweile einen hohen Anteil an Meinung, aber nur einen geringen Anteil an Wissen. Wissensvermittlung und auch das einander Zuhören fehlt. Diese ganze Welt der anonymen Hater im Internet ist ein neues Phänomen. Man sieht, welche unglaublichen Verletzungen im Netz entstehen. Das entfesselt teilweise Kräfte, bei denen wir die Auswirkungen nicht ahnen können. Dabei wissen wir, dass Worte ein Klima vorbereiten, auf das Verbrechen folgen können.

MILIEU: Welche Erkenntnis hast du denn für dich entdeckt, um das genannte Hier und Jetzt genießen zu können?

Milberg: Ich frage mich: „Bin ich jetzt, wo und mit wem ich sein will? Will ich das wirklich machen? Fühle ich mich wohl? Tut dieser Mensch mir gut?“ usw... - das Selbstgespräch ist eine Art Muskel, der trainiert werden kann. Ich will jetzt nicht zu psychologisch werden, jedoch ist man oft aggressiv, sauer oder ungehalten und weiß gar nicht genau, woher dieses Gefühl ursprünglich kommt. Genau dann ist es wichtig nicht den Falschen büßen zu lassen, und eben dafür brauche ich dieses Selbstgespräch.

MILIEU: Von Hier und Jetzt ins damals: Ungefähr 35 Jahre ist es her, dass du mit dem Film Neonstadt deinen ersten Kino-Auftritt hattest. Stell dir vor du könntest in der Zeit zurückreisen und zu deinem jüngeren Ich sprechen. Beende mal im Bezug zur Schauspielerei folgende Sätze:

Liebe Axel, denke immer daran,
... dass du wertvoll bist und habe Selbstvertrauen.

Unterschätze nie... eine gute Vorbereitung auf die Arbeit.

Und sei am Ende des Tages besonders dankbar für.... die Freundlichkeit der Menschen.

MILIEU: „Ich will Schauspieler werden“, hast du bestimmt auch schon im Kindesalter gesagt. Gerade, wenn man im Fernsehen zu sehen war, wird man für viele Kinder zu kleinen Göttern, die scheinbar den besten Beruf der Welt haben. Aber jeder Beruf bringt auch Schattenseiten mit sich. In welchen Momenten deines Lebens war es anstrengend Schauspieler zu sein?

Milberg: Immer dann, wenn ich mit dem unberechenbaren Ego anderer Menschen zu tun hatte, wo ich dachte: „Was wollen die? Wovon reden die jetzt? Warum sind sie so unzufrieden und stehen so wahnsinnig unter Druck?“. Die hatten ungesunden Ehrgeiz. Ich fühlte mich dann relativ hilflos. Ehrlich gesagt, hat es mich eingeschüchtert.

MILIEU: Das ist jetzt ziemlich ehrlich von dir.

Milberg: Ja. Sonst macht unser Gespräch auch keinen Sinn.

MILIEU: Die schulische und berufliche Laufbahn eines Kindes hängt soziologischen Statistiken (u.a. PISA Studie) zufolge stark von der schulischen und beruflichen Laufbahn der Eltern ab. Salopp ausgedrückt: Ich schaffe in der Regel (nur) den Abschluss, den meine Eltern haben. Welchen Einfluss hatte die Berufslaufbahn deiner Eltern (Vater Rechtsanwalt, Mutter Ärztin; Anm. d. Red.) auf deine eigene?

Milberg: Als Kind und Jugendlicher hatte ich in materieller Hinsicht mir keine Gedanken gemacht, was bemerkenswert ist. Dabei weiß ich, dass nicht jedes Kind diese Ruhe und Sicherheit hat. Die Schauspielausbildung war auch von der Stadt finanziert und nicht  privat. Ganz im Gegenteil – ich bekam ab dem zweiten Ausbildungsjahr sogar Geld. Damals war die Otto-Falkenberg-Akademie eine von der Stadt München finanzierte Fachhochschule und wir machten den sogenannten Einlassdienst für die Vorstellungen, also wir haben uns um die Garderobenmarken und die Verteilung der Programmhefte gekümmert.

MILIEU: Als „brotlose Kunst“ werden solche Berufe bezeichnet, mit denen kein oder kaum Geld verdient werden kann. Welche Rolle spielt dieses Risiko bei deiner Berufsentscheidung?

Milberg: Ehrlich gesagt habe ich nicht so daran gedacht. Ich hatte auch Glück gehabt, zu den zwölf zu gehören, die von 800 Bewerbern am Ende ausgewählt wurden. Danach war ich 17 Jahre an den Münchner Kammerspielen, wobei ich nach 15 Jahren unkündbar wurde. Daraufhin habe ich gekündigt und war frei. Die Angst vor Arbeitslosigkeit habe ich nur wie einen Luftzug gespürt. Dennoch gibt es selbst heute hin und wieder ein kleines Flackern, bei dem ich denke: „Ist das jetzt mein letzter Film, den ich drehe?“.

MILIEU: Was würdest du jemanden empfehlen, der auf sicheres Einkommen angewiesen ist, aber dennoch Schauspieler werden möchte?

Milberg: Wenn es dessen Traum ist, sollte man es versuchen. Man sollte dabei aber nicht an Reichtümer und Ruhm denken – als Motiv reicht das nicht und wird auch nicht klappen. Okay, manchmal darf man. Du musst als Schauspieler eine interessante und unverwechselbare Person sein. Aber es werden weder die schönsten noch die intelligentesten gebucht, sondern jemand, der unverwechselbar ist und unterhaltsam.

MILIEU: ...und warum gibt es nicht mehr kreative Künstler in Deutschland?

Milberg: Noch mehr? Die Frage bleibt: „Wer bist du?“. Du musst etwas zu erzählen haben und nicht andere nachmachen.

MILIEU: Wenn man dann dennoch ein Berufsziel hat, stellt sich die Frage, inwiefern bei der Berufsverwirklichung Chancengleichheit besteht.

Milberg: Menschen sind unterschiedlich begabt. Das stört jede Chancengleichheit. Schwierig ist es, wenn aber die Familie selbst zu ihrem begabten Kind sagt: „Ich möchte nicht, dass du studierst. Wir brauchen dich bei uns im Familiengeschäft. Wer soll deine Studienzeit überhaupt finanzieren?“. Es braucht dann einen sehr starken Willen, sich gegen diese Widerstände durchzusetzen und der inneren Stimme zu folgen.

Ich erinnere mich an einen türkischen Choreographen, international bekannt, der in den Vorort von Paris, in seinen Kulturkreis zurückkehrt, wo schon die Idee eines Ballett tanzenden Mannes schwierig ist. Er ermuntert andere: 'Drückt aus, was euch beschäftigt und entdeckt eure Körper!“ Er kombiniert Elemente des klassischen Balletts mit Tanzbewegungen des Street Dance, Hiphop, Robot Dance und so. Typen wie er sind nur vereinzelt vorhanden und machen diese seltenen Angebote, bei denen die Menschen staunen. Aber auch er hatte Startschwierigkeiten, die dann kulturell bedingt sind.

MILIEU: Wir brauchen Ärzte für unsere Gesundheit, Kassierer für den Einkauf und Reinigungskräfte für saubere Gebäude und Straßen – Wie sinnvoll ist vor diesem Hintergrund echte Chancengleichheit, da wir all diese Zahnräder für eine funktionierende Gesellschaft brauchen?

Milberg: Das ist eine kluge Frage. Seit den 70er Jahren wollen alle Künstler sein, die den Gedanken 'Verwirkliche dich selbst' leben. Dann wiederum fehlen uns die Fachkräfte in tausend anderen Bereichen und die werden dann aus dem Ausland geholt. Zum Beispiel sind die meisten in der Altenpflege Tätigen aus dem Ausland. Ein Riesenthema, dass ich so nicht beantworten kann...

MILIEU: Hast du in diesem Kontext einen Appell an die Gesellschaft?

Milberg: Vergleiche dich nicht mit anderen, sondern frage dich selbst, was dir Spaß macht. Doch wenn du selber glücklich bist, bist Du in der Lage, die Gesellschaft positiv zu beeinflussen und – „die Gesellschaft“ ist deine Gesellschaft.

 

 

 

 

 

Foto: Christine Schroeder

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