Ghana

Das al-Andalus in Afrika

01.04.2016 - Mohammad Saboor Nadeem

Der aktuelle Präsidentschaftswahlkampf in den USA spaltet viele Menschen auf der ganzen Welt. Doch dass im November auch Wahlen in Ghana stattfinden wissen wohl die wenigsten. Im Land des Kakaos und Golds geht es um viel mehr, als um die Wahl eines neuen Staatsoberhauptes.

 

Wer das ehemalige Sklavenfort an der Küste von Elmina betritt, wird stark von der bedrückenden Dunkelheit des Ortes eingenommen. Die Angst sitzt einem im Nacken, Fledermäuse fliegen knapp über den Köpfen der Besuchergruppen hinweg und die Enge erschwert das Atmen. Erleichtert betreten die Besucher bei ihrem Rundgang den letzten und einzig hellen Raum der Festung: die Kapelle. Doch dieser Raum war einst nur den europäischen Kolonialherren geöffnet, um fromm ihre Gebete zu sprechen und an ihren Auftrag im Namen des Herrn erinnert zu werden. Dass sie wohl davor oder danach Frauen massenweise vergewaltigt, kleine Kinder grausam geschlachtet oder Männer zum Spaß verstümmelt haben, war in diesem Raum plötzlich vergeben und vergessen. Und trotzdem galten die versklavten Ghanaer als treu und belastbar und waren auf dem Sklavenmarkt in der ganzen Welt sehr gefragt.
Der Kolonialismus hat Ghana nicht davon abhalten können für Freiheit und Frieden zu kämpfen. Und seit 59 Jahren ist die Unabhängigkeit, der Frieden und die Gerechtigkeit Realität. Gut so!

Als ich vor einigen Tagen am offiziellen Staatsakt zur Feier des Unabhängigkeitstages in Accra teilnahm, bekam ich eine bunte fröhliche Zeremonie mit Musik, Tanz, Märschen und Reden geboten. Keine Trauer um die Opfer der schrecklichen Kolonialherrschaft, ganz im Gegenteil zelebrierte man die eigene Vielfalt und Kultur. Thema war nicht die dunkle Vergangenheit, sondern der friedliche Weg, den die Gesellschaft brüderlich vereint weiter gehen soll. Dass dabei jedes Jahr ausgewählte Schulklassen, neben dem Militär, auf dem Paradeplatz marschieren zeigt welche hohe Priorität Ghana der Aufklärung, Bildung und seiner Zukunft, der Jugend, gibt.

Am meisten hat mich eine Schulklasse, auf meiner Reise in den Regenwald zum Kakum Nationalpark, beeindruckt. Die Hauptattraktion in diesem Regenwald ist der Canopy Walk, also Seilbrücken die in vierzig Meter Höhe von einem Baumhaus zum anderen Baumhaus geknotet sind. Angst und Adrenalin gehören dabei zum Spaßfaktor. Als dann die Schulklasse hinter mir die wackelige Seilbrücke betrat fing eine Schülerin an zu weinen, doch wie ihre Klassenkameradinnen darauf reagierten machte mich sprachlos: sie fingen an im Chor zu singen und motivierten ihre Mitschülerin, die durch den motivierenden Gesang ihrer Mitschülerin getragen wurde und sichtlich erleichtert den Pfad weiterlief. Am Ende des Canopy Walks haben sie sich alle umarmt und beglückwünscht.

Ähnlich beeindruckt war ich von den vielen oft schwierigen Lebensdarstellungen, junger Frauen und Männer am Technical Institute in Kumasi und ganz besonders von ihren ehrlichen Wünschen und der Motivation ihre Talente und ihr Wissen zum Wohle ihres Landes und seinen Menschen zur Verfügung zu stellen. Und trotz der nur elementaren Ausstattung für den einfachen Schulbetrieb zählt diese Schule zu den bestbewerteten Westafrikas. Ghanas Politiker wissen das und investieren viel in die Bildungsreform und für den Ausbau der Schulstrukturen holen sie sich viele Entwicklungshilfeorganisationen zur Zusammenarbeit ins Land.

So gibt es eine gleiche Anzahl von muslimisch geführten und christlich geführten Schulen, in denen alle Schüler unabhängig von ihrer Herkunft und ihrer Konfession gemeinsam Projekte erarbeiten und bei Schulaufgaben, ähnlich verzweifelt wie deutsche Schulkinder, ihre Köpfe zusammen stecken und danach gleich viel Spaß auf dem Pausenhof haben, wo sie brüderlich ihre Pausenbrote teilen.

Dieser Toleranzgedanke ist nicht nur eine Leitidee, die in den Bildungsplänen Ghanas aufgenommen wurde, sondern ist Teil des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Wer einmal die Chance haben sollte, ein compound house, also einen gemeinsamen Innenhof um den mehrere Häuser gebaut sind, zu besuchen sollte es sich nicht entgehen lassen, sich anzugucken wie die unterschiedlichsten Familien, Stämme, Generationen sich das Essen teilen, spielen, diskutieren und gegenseitig helfen. Eben da passierte es als ich mir von meinem Führer übersetzen ließ wie das traditionelle Fufu zubereitet wird, dass die christliche Köchin uns daran höflich erinnerte, dass der Muezzin die Muslime zum Gebet ruft und wir gerne nach dem Gebet wieder zu ihr in den Innenhof zum probieren vorbeikommen sollten. Einzigartig!

Dieses wundervolle Ereignis erinnert daran, dass Bildung, Toleranz und Gerechtigkeit die wichtigsten Werte der Moderne und Triebfedern einer friedlichen Gesellschaft sind. Gerade in diesen politischen Zeiten, wo rassistische Rhetorik in Europa immer salonfähiger wird, können wir einiges von Ghana lernen.

Wenn Ghanas Politiker noch mehr für den Ausbau der Infrastruktur, in die Bildung und in das Sozialsystem investieren würden, könnte sich das Land mit der hart arbeitenden Bevölkerung sicherlich zu einer vorbildlichen florierenden Zivilisation entwickeln wie einst in al-Andalus, denn die Grundwerte sind schon längst gelegt.

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