Rezension

Das Tagebuch der Reise durch Nordamerika in den Jahren 1825 und 1826

01.10.2017 - Dr. Burkhard Luber

“Mit den reinsten Dankgefühlen wende ich mich zu´m großen Baumeister der Welten um Ihm für den mir auf dieser langen Reise verliehenen Beistand zu danken. Vom geneigten Leser empfehle ich mich; bin ich so glücklich gewesen, ihm einige Stunden, die er nicht beßer anzuwenden wußte, abzukürzen, so soll es mich freuen, so wie ich mich glücklich schätze wenn es mir gelungen wäre durch diese Mittheilungen manche irrigen Ideen die über jenes herrliche und freie Land obwalteten, zu beseitigen. Mit des großen Franklin Spruch, der seit meiner Reise durch gewonnene Überzeug mein Motto geworden ist, bitte schließen zu dürfen - er enthält zugleich mein Glaubensbekenntniß: Where liberty dwells, there is my country” Bernhard Herzog zu Sachsen-Weimar. Weimar, September 1826

Seit Donald Trumps Machtübernahme sind positive transatlantische Meldungen leider seltener geworden. Umso wohltuender, ja sogar erfrischend ist es, zu dem hier angezeigten Reisetagebuch eines deutschen Herzogs zu greifen, das dieser über seinen einjährigen Amerika-Aufenthalt vor knapp zweihundert Jahren geschrieben hat. Er tat es mit einer solchen Akribie und Leidenschaft fürs Detail, dass nun ein Konvolut von über neunhundert Seiten vorliegt. Den Herausgebern sei Dank, dass sie sich an diese Mammutaufgabe gewagt haben und Respekt für den Verlag, das Tagebuch zu drucken.

Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach, der sich 1825/1826 im jungen Staat der USA aufhielt, war ein neugieriger Mann von damals 33 Jahren mit wachen Augen, scharfem Verstand und guter Urteilskraft. Motiviert durch seinen Vater und dem zu dieser Zeit in Weimar ansässigen Dichter Goethe setzte Bernhard, im Sommer 1825 von Liverpool nach Boston über und bereiste sodann weite Strecken des nordamerikanischen Kontinents. Unter anderem kam er nach New York, Philadelphia und Washington aber auch in den Süden der USA (St. Louis, New Orleans). Insgesamt war er über 10.000 Kilometer unterwegs. Seine Tagebuchaufzeichnungen sind ein reichhaltiges spannendes Kaleidoskop der damalige USA. In seinem analytischen Fleiß lässt der Herzog keine Facette des amerikanischen Alltags aus. So finden wir genaue Informationen über die dortigen Schulen, Gefängnisse, das Postwesen, die Gasthäuser, den Verkehr, die Justiz, die Landwirtschaft, die Architektur, den Buchdruck, die Kirchen und das Militär. Dankbar berichtet Bernhard auch von seinen eindrucksvollen Treffen mit noch lebenden Zeitzeugen der jungen amerikanischen Demokratie, dem damals schon 90jährigen ehemaligen Vater des Präsidenten Adams sowie mit Thomas Jefferson. Durch Bernhards Detailtreue in der Beschreibung nehmen wir auch am Alltag der damaligen Reiserei teil: Die Strapazen und oftmals Gefahren der Kutschfahrten (deren Enge dem hochgewachsenen Prinzen besonderes Unbehagen bereitete), der Spaß an Tanzvergnügen, die Konfrontation mit allerlei Trunkenbolden, Begegnungen mit Indianern und auch die Schönheit der sich bietenden Landschaft, als Höhepunkt die bewegende Schilderung des Niagarafall-Schauspiels.

Die Empathie des jungen Herzogs für die neue freiheitliche Demokratie ist unverkennbar. Aber vielleicht noch eindrucksvoller, dass sich Bernhard in seiner Euphorie für das neue unverbrauchte Amerika nicht blenden lässt, auch dessen Schattenseiten wahrzunehmen: Je weiter seine Reiseroute gen Süden führt, umso mehr wird er mit der Realität der Sklaverei konfrontiert und Bernhard verschweigt keineswegs die beschämende menschenunwürdige Situation der Farbigen und lässt den Leser an seiner Betroffenheit teilhaben.

Neben dem ungeheuren Fleiß der Herausgeber und dem Mut des Verlages, dieses Buch herauszubringen, müssen wir auch dem Dichter Goethe dankbar sein. Ohne Goethes energische Motivation für die Veröffentlichung wäre dieses Tagebuch wohl im privaten Nachlass des Herzogs verschwunden, denn der Herzog lehnte eine Publikation zunächst ab. So aber ist eine faszinierende Reisegeschichte erhalten geblieben, deren Bogen sich von den ganz persönlichen Freuden und Leiden des Unterwegs-Seins in der Frühzeit der Dampfkraft über die Konfrontation mit verschiedenen regionalen Geographien bis hin zu gesellschaftlichen Reflexionen spannt. Die das Buch eröffnenden und beschließenden Texte der beiden Herausgeber stellen den historischen Kontext der Publikation her und beschreiben ein eindrucksvolles Porträt des reisenden Herzogs. Wer sich eine Zeitreise in das 19. Jahrhundert gönnen möchte, den Scharfsinn eines jungen Adeligen kennenlernen will und verstehen möchte, warum die jungen, erst vor kurzem gegründeten USA eine so große Faszination gerade auf die liberalen Geister Europas ausübten, sollte unbedingt zu diesem Buch greifen.



Herzog Bernhard von Sachsen-Weimar-Eisenach: Das Tagebuch der Reise durch Nordamerika in den Jahren 1825 und 1826. Herausgegeben von Walter Hinderer und Alexander Rosenbaum. Verlag Königshausen und Neumann 2017. 910 Seiten. 78 Euro

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