Rüstungsindustrie

Denkt bei Waffen nicht von der Tapete bis zur Wand!

15.08.2014 - Lasse Petersdotter

Was seit einigen Wochen im Irak und in Teilen bereits seit Monaten in Syrien geschieht, gleicht einer Welle islamistischen Terrors, die über ohnehin bis ins letzte gebeutelte Bevölkerungen hereinbricht. Die Region steht in Brand und die internationale Gemeinschaft schaut weitestgehend tatenlos zu. Beispiele für ähnliche Situationen kennt die Geschichte einige. Srebrenica oder Ruanda wären da nur die Bekanntesten. Dem Ruf nach Hilfe muss Folge geleistet werden. Darin sind sich alle einig. Wie diese Hilfe ausgestaltet sein soll, scheidet einmal mehr die Geister.

Waffenlieferungen sind ein bequemes und dadurch beliebtes Mittel. In der jüngeren Vergangenheit wurde so versucht, einige Konflikte im Nahen und Mittleren Osten zu beruhigen. Das Problem mit den Waffenlieferungen ist jedoch exemplarisch für das Scheitern der Strategie westlicher Mächte im Nahen Osten. Sie finden keine Antwort auf die Frage, was nach der Operation geschehen soll.

Eine der folgenreichsten Entwicklungen aus Waffenlieferungen war die Bewaffnung der Taliban in den 1980er Jahren. Um gegen die Truppen der Sowjetunion kämpfen zu können, unterstützten die USA afghanische Widerstandskämpfer mit moderner Militärausrüstung. Der Feind des Feindes wurde zum Freund. Nachdem die sowjetische Armee schließlich Afghanistan verlassen hatte, blieben die Waffen jedoch im Land. Die Taliban missbrauchten ihre neugewonnene Stärke und unterdrückten die Bevölkerung. Sie organisierten sich und kämpften schließlich auch um Unabhängigkeit von der Nation, die sie einst hatte erstarken lassen.

Beispiele gescheiterter westlicher Friedenspolitik im Nahen und Mitteleren Osten gibt es reichlich.Viele stehen im Zusammenhang mit Waffenlieferungen. In Libyen etwa entschied man sich ebenso für die Unterstützung der revolutionären Kräfte. Dass diese ihr erworbenes Kriegsgerät nach der Beseitigung des Diktators Muammar al-Gaddafi nicht sachgemäß entsorgt oder zurückgegeben haben, war zu erwarten und hat heute noch weitreichende Folgen. Ob in Bengasi und Tripolis, wo auch vermehrte Aufforderungen des Parlaments keine Ruhe zwischen den hochgerüsteten Milizen schaffen, oder in Syrien, wo zahlreiche in Libyen ausgestattete und kampferprobte Revolutionäre versuchen Bashar al-Assad zu vertreiben.

Und so schlägt die Welle der Verwüstung über die Grenzen weiter von Syrien in den Irak, wo heute die Terrorgruppe des Islamischen Staates (IS) versucht, ihre entsetzliche Vorstellung eines islamistischen Gottesstaat gewaltsam zu verwirklichen. Nachrichten von Zwangsbeschneidungen und der Vertreibung tausender Jesiden im Nordirak bestimmen seither unsere Nachrichten. Die Hilflosigkeit ist seit Wochen enorm, denn die Kämpfer der IS standen zuvor nicht öffentlich zur Diskussion. Ihr Anführer, Abu Bakr al-Baghdadi, war ein Unbekannter.

Die Situation ist untragbar und Hilfe dringend notwendig. Selbst Linke-Chef Gregor Gysi befürwortete zunächst Waffenlieferungen, entfernte sich jedoch schnell wieder von dieser Position. Und das mit Recht. Waffenlieferungen ändern die Probleme nicht. Sie können einer globalen 'responsibilty to protect', der Verantwortung zum Schutz vor Völkermord, wenn die entsprechende Regierung selbst nicht dazu imstande ist, nicht entsprechen. Das Liefern von Kriegsgeräten ist eine der schädlichsten Formen der Einflussnahme auf Konflikte. Sie sind stets Öl, niemals Wasser in den brennendes Krisenregionen. Der Verantwortung, einen dauerhaften Frieden anzustreben, mögliche Eskalationspotenziale zu vermeiden, also einer 'responsibility to prevent' zu entsprechen, können Waffenlieferungen nicht gerecht werden.

Wenn westliche Industrienationen wie die USA, Frankreich,Großbritannien oder Deutschland jetzt die kurdischen Kämpfer von der Peschmerga-Miliz ausrüsten, ist eine Eskalation im Konflikt zwischen den Kurden und der Türkei naheliegend und die nächste humanitäre Krise mit Sicherheit vorprogrammiert. Auch die Peschmerga werden kein Interesse daran haben, die Waffen ordnungsgemäß zu entsorgen, wenn sie die IS ausreichend zurückgedrängt oder gar gänzlich zerschlagen haben sollten.

Im aktuellen Fall der IS stellt sich auch die Frage, ob Waffenlieferungen überhaupt eine nennenswerte Änderung des Konflikts bewirken können. Denn dass die kurdischen Peschmerga und die irakischen Streitkräfte der IS militärisch unterlegen seien, ist nur schwer nachvollziehbar, ist die IS doch unverhältnismäßig kleiner.

Nur was dann? Kann es sich die internationale Gemeinschaft erlauben, tatenlos den Gräueltaten der IS über Twitter und Facebook zu folgen?

Situationen wie die jetzige gehören zu den schwierigsten in der internationalen Politik. Ein militärischer Eingriff kann schnell imperialistisch wirken und auch diplomatische Gewinne in Gänze zerstören. Dass auch im Irak die Bitten um Hilfe immer deutlicher werden, zeigt die Aussichtslosigkeit der Regierung, sowie die Kraftlosigkeit und Kriegsmüdigkeit, die die US-Militäreinsätze hinterlassen haben. Die Auffassung, die irakische Regierung sollte ihre Probleme selber lösen, wäre zynisch und feige. Auch die westlichen Militäreinsätze sind mitverantwortlich für die heutige Situation der irakischen Bevölkerung und damit für das Scheitern der irakischen Selbstverwaltung im Kampf gegen die IS.

Wenn sich also die internationale Gemeinschaft darauf einigt, dass in den Konflikt eingegriffen werden muss, weil regionale Kräfte kein Gleichgewicht und keine Befriedung der irakischen Nordens schaffen können, muss über gezielte Eingriffe diskutiert werden. Es muss die Möglichkeit zur Schaffung von Schutzzonen ermittelt werden. Eine militärische Invasion von Bodentruppen ist in solchen Situation höchst ineffizient. Der Einsatz gezielter Luftangriffe kann ein Mittel sein, um die IS-Kämpfer empfindlich zu schwächen.

In Analysen des Militäreinsatzes von George W. Bushs im Irak 2002 wird ein eklatanter Fehler immer wieder herausgearbeitet: Es gab keine Exit Strategy. Auf die Frage, wie der Krieg enden solle und was folgen könne, fand der US-amerikanische Präsident keine Antwort. Militärische Aufrüstungen durch Dritte bergen stets genau das gleiche Problem. Wer Waffenlieferungen fordert, denkt von der Tapete bis zur Wand.

 

 

 

 

 

 

Foto: © Goran Tomasevic

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