Buchauszug

Der Bienentanz

15.11.2017 - Prof. Jürgen Tautz

An der Frage nach dem Bienenfleiß wird deutlich: Manche Dinge verhalten sich ganz anders, als der erste Augenschein uns zu denken eingibt. Führen neue Methoden der Beobachtung und Analyse zu neuen Daten, dann erkennen wir, dass unser erstes Urteil nicht der Wirklichkeit entspricht. Aber nicht nur neue Daten führen zu veränderten Urteilen. Löst man sich von der gewohnten Betrachtungsweise bestimmter Sachverhalte, dann können auch alte Daten zu völlig neuen Interpretationen des Beobachteten führen. So verhält es sich auch mit der »Tanzsprache« der Bienen.

Die folgenden Seiten sind aus dem Buch "Die Honigfabrik. Die Wunderwelt der Bienen - eine Betriebsbesichtigung", Gütersloh 2017 von Prof. Jürgen Tautz und Diedrich Steen entnommen.

Wir haben oben schon gehört, wie wichtig diese Form der Kommunikation für die Honigbienen ist. Mit Hilfe der Tanzsprache informieren die Spurbienen die Sammlerinnen im Stock über lohnende Nektarquellen. Wie aber funktioniert diese Kommunikation eigentlich genau?

Basierend auf den nobelpreisgekürten Arbeiten von Karl von Frisch (1886 – 1982), wird diese Frage gewöhnlich etwa so beantwortet: Spurbienen oder Sammelbienen, die die Nektarquelle schon kennen, geben im Schwänzeltanz Richtung und Entfernung des Ortes wieder, an dem sie das Ziel anhand der Information, die sie aus der Tanzbewegung ablesen. Oder mit den Worten von Karl von Frisch: »Sammelbienen, die an einer guten Futterstelle verkehren, bringen auch an ferne und versteckt gelegene Stellen rasch Neulinge heran. Die werden nicht zum Ziel geleitet, sondern zum Ziel geschickt. Der Schwänzeltanz verkündet ihnen neben der Entfernung einer Futterquelle auch die Richtung wieder. Diese Vorstellung hat wohl schon jeder Schüler einmal zu Gesicht bekommen.

Abb. 8 Die bekannte Darstellung der Tanzsprache nach Karl von Frisch (erstmals in dieser Form publiziert in von Frisch 1965, S.137). Der Tanz gibt durch die Figur der Schwänzeltanzbewegung die Richtungund Entfernung eines Futterplatzes wieder (aus Tautz 2015).

Ist das aber so einfach? Bildet dieses einfache Modell tatsächlich die Komplexität der Kommunikation in einem Bienenvolk ab? Fragen wir zunächst, wie dieses Modell entstanden ist. Karl von Frisch hatte beobachtet, dass von einer Futterquelle zurückkehrende Sammlerinnen auf einer Wabe sehr auffallende Laufbewegungen mit ausgeprägten Seitwärtsbewegungen des Hinterleibs ausführten. Hierbei kehrten sie immer wieder im Wechsel nach rechts oder links zum Anfang zurück, sodass sich eine Laufstrecke in Form einer 8 ergab. Dieses Verhalten bezeichnete er als »Bienentanz«. Frisch hatte die Idee, dass diese Tänze einer Ortsübermittlung dienen könnten. Zwei wichtige Beobachtungen veranlassten ihn zu dieser Annahme: (1) Dort, wo eine Tänzerin sammelte, tauchten bald auch andere Bienen, sogenannte »Rekrutinnen«, auf. (2) Die Tanzbewe-
gungen der Sammlerinnen änderten sich je nach Lage der Futterstelle im Feld bzw. bei gleichbleibendem Futterplatz mit dem Lauf der Sonne, die offenbar als Bezugspunkt für die Tanzbewegungen diente.

Seine Idee, die Bienen übermittelten mittels einer Tanzsprache Ortsangaben, testete von Frisch in seinen
berühmten Stufen- und Fächerversuchen. Ziel war es, zu überprüfen, ob die Rekrutinnen einer Zielangabe im Tanz tatsächlich folgten. Stufenversuche sollten dabei überprüfen, ob eine Entfernungsangabe übermittelt wird, die Fächerversuche, ob eine Richtungsangabe erfolgt. Wie lief das ab? Schauen wir uns einmal den Stufenversuch vom 3. September 1962 an: In einer bestimmten Entfernung vom Bienenstock (hier 300 Meter) wurde ein Futterplatz – ein Schälchen mit Zuckerwasser, das zusätzlich mit einem Duftstoff attraktiv gemacht wurde - eingerichtet (F in Abb. 9). Sieben farblich markierte Sammelbienen wurden auf diesem Platz dressiert, d.h. sie flogen sich auf diesen Futterplatz ein. Diese Bienen rekrutierten innerhalb von 2,5 Stunden 80 Neulinge zur Futterstelle, die dort alle abgefangen wurden. Entlang der Linie »Bienenstock – Futterplatz« wurden außerdem sieben Kontrollstationen eingerichtet, die genau wie der Futterplatz, also ebenfalls beduftet, beschaffen waren, aber kein Futter anboten. Innerhalb der 2,5 Stunden Beobachtungszeit wurden auch an
diesen Kontrollstellen Neulinge beobachtet, sodass sich folgendes Bild ergibt:

Abb. 9 Ein Schaubild von Karl von Frisch aus dessen Buch von 1965 (Frisch 1965, S. 94) zeigt, wie viele Rekruten an den nicht mit Futter ausgestatteten Kontrollstationen auftauchten. Diese Abbildung wurde
für die hier angestellten Überlegungen nachträglich erweitert um die Anzahl der Rekrutinnen (schwarzer Balken), die am Futterplatz F gelandet sind, also genau dort, wo auch die erfahrenen Bienen gesammelt haben.


Deutlich wird:  (1) An den Kontrollstationen treffen umso mehr Bienen ein, je näher diese Kontrollstationen zum Futterplatz F liegen. (2)  An dem Ort, an dem erfahrene Sammelbienen verkehren, treffen doppelt so viele Rekrutinnen ein wie an sämtlichen Kontrollstationen zusammen. Diese Beobachtung wirft die Frage auf, wie genau eigentlich die Ortsangabe ist, die die erfahrenen Sammelbienen den Nachtänzerinnen geben. Um hier eine Antwort zu finden, müssen wir uns den Schwänzeltanz noch einmal genau ansehen
Mit welcher Genauigkeit sind die Tanzbewegungen messbar?

Mit der Frage, ob eine Beziehung zwischen den Tanzmustern und der Position des Zieles existierte, maßen von Frisch und seine Mitarbeiter die Ausrichtung der Schwänzelstrecke des Tanzes gegenüber der Lotrechten.  Abb. 10# zeigt einen Ausschnitt aus einem Originalprotokoll zur Vermessung der Tänze. Man sieht hier die Tanzwinkel auf 0,5 Winkelgrad genau angegeben.

Abb.10 Tabelle aus einem Original-Versuchsprotokoll von Karl v. Frisch (aus Kreuzer 2010).

Dass diese Genauigkeit de facto aber kaum zu ermitteln ist, macht ein Blick auf Abb. 11 klar, in der die Tanzbewegung einer Sammlerin mit heute möglichen optischen Verfahren erfasst und dargestellt ist. (Landgraf et al. 2011). Hier wird deutlich, dass das in Abb. 8 gezeigte Tanzmuster stark idealisiert ist. Wie will man aus der Bewegungsspur, die eine Tänzerin zurücklässt, einen exakten Winkelwert ermitteln? Bei den Angaben von von Frisch handelt es sich, wie wir heute feststellen müssen, also eher um Schätzungen als um exakte Messungen.

Abb. 11 Exakte Wiedergabe eines Tanzmusters (die Bewegung der Tänzerin über die Tanzfläche) zweier aufeinanderfolgender Tanzrunden, mit denen eine Tänzerin für ein Ziel in 215 Metern Entfernung wirbt.

Und ähnlich sieht es aus, wenn wir uns der Frage zuwenden, mit welcher Genauigkeit Bienen die Entfernung zwischen Stock und Futterplatz mitteilen. Je weiter der Futterplatz nämlich vom Bienenstock entfernt aufgebaut wird, desto ähnlicher werden sich die Tänze, bei erheblichen Unterschieden in der wahren Distanz. Es ist also keineswegs eine bestimmte Strecke mit einer bestimmten Anzahl von Schwänzelbewegungen streng verknüpft. Vielmehr ist zu beobachten, dass die Zahl der Schwänzelbewegungen zunächst deutlich ansteigt, wenn der Futterplatz zunehmend weiter entfernt wird. Je größer aber die Distanz zwischen Stock und Futterplatz wird, desto langsamer nimmt Zeitdauer des Schwänzels zu. Es ist also nicht so, dass es ein irgendwie lineares Verhältnis zwischen der Anzahl der Schwänzelbewegungen und der tatsächlichen Entfernung gäbe. Dadurch werden die Angaben der weit fliegenden Bienen immer unklarer, weil sich ihre Tänze für weiter vom Stock entfernt liegende Ziele immer ähnlicher werden, obwohl die Bienen tatsächlich ganz unterschiedlich weit geflogen sind. Aber damit nicht genug. Es kommt eine weitere Komplikation ins Spiel.


Die Dauer des Schwänzeltanzes, d.h. die Zahl der Schüttelbewegungen, die eine tanzende Biene in der Tanzphase ausführt, verändert sich zwar, wenn die Entfernung zwischen Stock und Futterplatz sich verändert. Und dabei wird wie erläutert die Mitteilung der Entfernung immer unklarer, je weiter der Futterplatz weg ist. Fraglich ist aber, ob wenigsten immer das gleiche Maß an Unklarheit herrscht, egal in welchen Gegenden die Bienen auf Sammeltour gehen. Leider ist nicht mal das der Fall.

Bienen haben nämlich einen optischen Kilometerzähler (Esch u. Burns 1995; Srivasan et al. 2000). Sie können an den Strukturen der Landschaft, die sie während eine Fluges wahrnehmen, die Entfernung zwischen einem Ziel und ihrem Stock abschätzen (Tautz et al. 2004). Allerdings ist dieser Entfernungsmesser extrem stark beinflussbar von der Beschaffenheit der Landschaft, durch die eine Biene fliegt und darum äußerst ungenau. 20 Schwänzelbewegungen können eine Entfernung von 80 Metern bedeuten, wenn die Biene durch eine komplex strukturierte Landschaft geflogen ist. Flog sie dagegen beispielsweise über ein eintöniges Kornfeld ohne Landmarken am Horizont, können 20 Bewegungen auch für 180 Meter stehen (Esch et al. 2001). Stellen wir uns also zwei Tänzerinnen aus einem Stock vor, der an einem Feldweg steht. Auf der einen Seite des Feldweges befindet sich ein Kornfeld, dahinter in 180 Metern Entfernung eine Obstbaumwiese mit blühenden Bäumen. Auf der anderen Seite gibt es einen Hof mit einigen Gebäuden und dahinter in 80 Metern Entfernung ebenfalls eine Obstbaumwiese. Eine unserer Tänzerinnen fliegt zur Obstbaumwiese hinter dem Kornfeld, die andere zur Obstbaumwiese am Hof. Beide Tänzerinnen können reiche Nektarquellen melden und sie tun es mit etwa derselben Schwänzelfrequenz. Die, die über den Hof geflogen ist, „meint“ damit aber 80 Meter, die die über die Kornwiese flog „meint“ 180 Meter. Dazu kommt noch ein drittes Problem.


Zwei Tänzerinnen, die exakt die gleiche Strecke zwischen Stock und Futterplatz befliegen und davon tanzend im Stock berichten, zeigen beileibe nicht dasselbe Tanzbild. Das stellte auch Karl von Frisch fest und bemerkt dazu in einer Publikation aus dem  Jahre 1957 (v. Frisch u. Jander 1957): „Die durch die Tänze ausgesandten Bienen fliegen das Ziel mit größerer Genauigkeit an, als nach der Streuung (im Erscheinungsbild der Tänze, der Verf.)… zu erwarten wäre“. Seine Erklärung für dieses Phänomen: „Man kann daraus entnehmen, dass sie bei der Verfolgung der Tänze mehrere Einzelwerte mitteln. “Ist das aber von den Bienen nicht ein bisschen viel verlangt? Ist es tatsächlich plausibel zu vermuten, dass Rekrutinnen vielen Tänzen folgen, wissen, dass die Angaben der Schwestern so genau nicht sind, und dann einen Mittelwert errechnen, der sie ins Ziel führt, wobei die anderen hier beschriebenen Ungenauigkeiten noch nicht einmal berücksichtigt sind?


Es sieht also so aus, dass Karl von Frisch ein Modell entwickelt hat, dass vieles zur Klärung der Frage beiträgt, wie Bienen einander die Position von Trachtquellen mitteilen. Aber dieses Modell beantwortet die Fragen nicht so abschließend, wie v. Frisch annahm und wie es bis heute gerne behauptet wird. Und tatsächlich fliegen Bienen, wie wir heute mit moderner Radartechnik beobachten und darstellen können, in einem breiten Richtungsfächer aus, wenn sie Tänzerinnen im Stock gefolgt sind, und nicht präzise wie an der Schnur gezogen auf einer Linie (Riley et al. 2005).  

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