Schulz-Rücktritt

Der Geist, der aus der Flasche kam

15.02.2018 - Ludger Verst

In diesen Tagen nehmen viele Anteil am Untergang eines politischen Hoffnungsträgers. Betroffenheit, Häme, Schadenfreude — es ist nicht klar, was überwiegt. Klar hingegen ist: Wir sind Zeugen eines politischen Trauerspiels und eines menschlichen obendrein. Tragisch, wie jemand binnen Jahresfrist seine Beliebtheitswerte von 100 Prozent auf Nullkommanix herunterfährt und die seiner Partei halbiert: Nach 34 Prozent im letzten Frühjahr liegt die SPD von Martin Schulz bei gerade noch 17 Prozent.

Es ist nicht nur Schulz' Glaubwürdigkeit („Unter Merkel nie!“) auf der Strecke geblieben. Schulz war der deutsche Traum der SPD, der Vermittler zwischen den Welten: Arbeiter, Bürgerliche, Intellektuelle — sie alle sollten ehrlich miteinander umgehen. Von allem, glaubte man, habe Schulz etwas; er könne ein Mittler milieuübergreifender Gerechtigkeit sein. Als Präsident des Europäischen Parlaments erweckte er den Eindruck eines Mannes mit persönlicher und zugleich staatstragender Ansprache, der für „klare Kante“ stand und daher Ansehen genoss.

Heute weiß man: Man hätte genauer hinsehen sollen. Schulz war in Straßburg glücklich untergekommen, weil Europapolitik seinem Naturell als politischem Generalisten entsprach. Der Bürgermeister von Würselen und Europaabgeordnete präsentierte sich als bodenständiger Aufsteiger — ohne Abitur, mit einer im Zaum gehaltenen Alkoholkrankheit und einer Buchhandlung im Rheinland — geradezu als Gegenstück zum Establishment. So war auch Schulz' Kanzlerwahlkampf aufgebaut. Als nach der Niederlage DER SPIEGEL hinter die Kulissen schaute, zeigte sich ein entmutigter, von Selbstzweifeln geplagter Parteigenosse. Nach dem erzwungenen Amtsverzicht ist der Kandidat wieder dort angekommen, von wo er einst aufbrach: in den Niederungen der (Partei-) Provinz.

„Mensch, hätte man ihn doch «ungeöffnet» nach Straßburg zurückgeschickt …!“

Es ist die Tragik einer Partei und eines Polit-Karrieristen, wie sie im Buche steht. Ein Hype wie um einen Flaschengeist. Im Märchen verspricht der Geist, jeden Wunsch zu erfüllen, solange die Flasche nur verschlossen bleibt. Im geöffneten Zustand aber bringt ihr Inhalt tödliche Gefahren.

In Büchsen und Flaschen gehaltene Geister verheißen nichts Gutes, selbst wenn sie genau dies zu bewirken scheinen. Sie versorgen seinen Besitzer zunächst mit Luxus. Doch das schnelle Glück hat einen Haken: Denn dem ist ein Platz in der Hölle gewiss, der die Flasche nicht rechtzeitig wieder losbekommt.

Was so simpel scheint, entpuppt sich meist als übles Unterfangen.

 

 

Foto: SPD Schleswig-Holstein

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