Gedicht

Der Mensch

15.05.2015 - Sanna Hübsch

Da steht er da. Der Mensch. Unentschlossen/ Unberechenbar/ Ohne Moral/ Ohne Tugend/ Nackt. Einst fragten wir die Philosophen, was den Menschen vom Tier unterscheiden mag. Es sei die Vernunft, die den Menschen so einzigartig mache. So mächtig/ so intelligent/ so unbezwingbar/ so tugendhaft/ so moralisch. Jetzt frage ich, auf den nackten Menschen blickend, euch Philosophen, was die Vernunft wohl bringe, wenn sie denn unverstanden bliebe. Unter dem Teppich gekehrt.

 

Selbstsüchtig/ Unbeständig/ Unnütz. Rettet die Menschheit, sagt der Mensch, baut sich sein Haus und verschließt sich dann. Der Philosoph vor der Tür bleibt alleine auf der Straße, bis der tosende Sturm kommt und er schutzlos von ihm verschlungen wird. Das letzte, was er sich von der Seele schreien konnte, war ein Schrei in die leere Finsternis, ein Schrei in den nebligen Schatten der menschlichen Geburt.


Menschen, oh ihr Menschen, öffnet doch die Türen. Seiet doch vernünftig. Wo ist die glorreiche Vernunft? Wo ist sie geblieben? Die Stille erschauderte ihn, wo einst eine Gemeinde war, ist heut ein fremdes Haus, wird morgen ein Käfig sein. Sie fragten dich, wo der Mensch, der sich verschlossen hat, verblieben ist. Wo ist die Vernunft, wenn man sie braucht? Wo ist sie geblieben, sei man doch nur  ein nackter, suchender Mensch.


Es war das Tier. Das beharrte Tier. Es beobachtete das Geschehen schon die ganze Zeit. Zum Philosophen hinauf schauend, während dieser langsam vom Sturm zerrissen wurde, war das letzte, was man sah, das Tier, das ihn beweinte.

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