Humor

Deutschland im Stimmungstief

15.10.2016 - Claus H. Godbersen

Scherzfrage: Wie viele Deutsche braucht man, um eine Glühbirne zu wechseln?

Antwort: Einen – wir sind effizient und haben keinen Humor!

Dass wir Deutsche nicht die witzigsten und lebenslustigsten Zeitgenossen sind, ist geradezu sprichwörtlich. Diese Haltung wird uns von anderen Völkern schon lange nachgesagt, aber traditionell werden im selben Atemzug auch die deutschen Tugenden wie Fleiß und Ordnung genannt.

Während Brasilien Karneval feiert, katalogisieren wir unsere Froschpopulationen.
Während Frankreich streikt, konstruieren wir die nächste Generation von Solarkollektoren.
Während England seinen fünf-Uhr-Tee trinkt, beginnt an unseren Unis das vorletzte Seminar des Tages.

Solange wir zuverlässig ein bisschen für die anderen mitarbeiten, verzeiht man uns die fehlende Heiterkeit. So zumindest der traditionelle Blick der Welt auf Deutschland. Über diese humorlose deutsche Wesensart kann man wenigstens noch Witze machen.

Inzwischen macht sich aber etwas anderes in Deutschland breit: Wir sind nicht bloß  nicht witzig, sondern wir sind richtig schlecht gelaunt. Und das ist ein  echtes Problemin diesem Land .

Keine Frage – wir haben Probleme: Bezahlbarer Wohnraum war schon mal leichter zu finden. Auf Kita-Plätze und Facharzt-Termine muss man lange warten  Viele Menschen sind berufstätig und trotzdem auf staatlichen Sozialleistungen angewiesen.

Aber diese Schwierigkeit werden durch positive Entwicklungen mehr als aufgewogen: Die Arbeitslosigkeit ist in den letzten zehn Jahren zurückgegangen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie wird immer besser. . Die Staatsfinanzen arbeiten sich langsam aus dem Tal der Schulden heraus. Schnelles Internet und Mobilfunk ist inzwischen fast in ganz Deutschland verfügbar. Deutschland machte 2015 international positive Schlagzeilen, weil Flüchtlinge mit beispielloser Herzlichkeit willkommen geheißen wurden. Microsoft Windows ist nicht mehr das einzige Betriebssystem für privat genutzte Computer. Wir sind zum wiederholten Mal Weltmeister im Damen- und Herrenfußball geworden. Neben Hollywood-Produktionen gibt es auch wieder gute deutsche Filme. Von den Fortschritten der Zahnmedizin ganz zu schweigen.

Natürlich sind diese Aufzählungen nur beispielhaft. Natürlich ließen sich sowohl weitere Probleme als auch weitere positive Entwicklungen finden. Aber wissenschaftlich ermittelte Fakten sprechen dafür, dass das Leben nicht nur in Deutschland, sondern sogar in der ganzen Welt langfristig und dauerhaft immer besser wird, siehe zum Beispiel der Artikel „Herr Pinkert rechnet mit Frieden“ von Ramin M. Nowzad im Amnesty Journal 01-2016.
Aber eine wachsende Zahl von Deutschen sieht das  anders. Vor allem in der Protestbewegung „Pegida“ formieren sich selbsternannte „Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes“ und in der Partei „AfD“ schließen sich Leute  zusammen, die eine „Alternative für Deutschland“ gefunden zu haben glauben. Am Tag der Deutschen Einheit 2016 beschimpften Pegida-Anhänger die Gäste der Hauptveranstaltung zum Nationalfeiertag als „Volksverräter“. Das Parteiprogramm der „AfD“ liest sich, als hätten ein paar Leute sich nach einigen Gläsern Alkohol in der Kneipe ihren Frust von der Seele geschrieben und es hinterher an eine konservative Unternehmensberatung zur Überarbeitung gegeben. Es gibt zwar den verständlichen Wunsch nach einfachen Lösungen für die komplexen Probleme des Lebens den alle Menschen mitunter spüren – der aber leider immer ein Wunsch bleiben wird. Das Zusammenleben vieler Millionen erfolgreich und human zu regeln wird immer eine anstrengende Aufgabe bleiben, für die es keine einfachen Lösungen gibt.

Wer „AfD“ wählt, scheint dieses Programm entweder nicht zu kennen oder selbst ein hoffnungsloser Traumtänzer zu sein – und in jedem Fall verdammt schlechte Laune zu haben.

Umgekehrt proportional zum Aufstieg der „AfD“ verkommt in Deutschland das gesellschaftliche Klima. Lokalpolitiker werden bedroht und angegriffen, weil sie Flüchtlinge willkommen heißen. Demonstranten aus dem „AfD“-„Pegida“-Lager nehmen symbolische Galgen mit auf ihre Veranstaltungen. Normale Bürgerinnen und Bürger werden zum Mob, applaudieren bei Brandanschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und erhalten dafür in den Medien auch noch die freundliche Bezeichnung der „besorgten Bürger“. Die politische Kultur in unserem Land ist auf dem besten Wege, wieder auf das Niveau eines Entwicklungslandes zu sinken.

Wenn diese Entwicklung so weitergeht wie in den letzten zwei Jahren, werden wir unweigerlich einen Zustand erreichen, in dem sich niemand mehr sicher fühlen kann: In zehn Jahren wird die Kriminalität drastisch zugenommen und die Volkswirtschaft sich verschlechtert haben, und die freie Presse wird durch rechtspopulistische Regierungen massiv unter Druck gesetzt werden. In zwanzig Jahren werden Slums, in die Polizei und Rettungsdienste keinen Fuß mehr setzen, deutsche Normalität sein. Die Wohlhabenden werden sich in Nobelghettos umgeben von Metallzäunen, Überwachungskameras und privaten Sicherheitsdiensten zurückziehen. Und dann werden Sozialwissenschaftler und Theologen aus Südafrika und Brasilien in Fernsehreportagen erklären, wie Deutschland im Jahr 2017 die Chance verpasst habe, aus den Fehlern ihrer Länder zu lernen.

Was können wir tun? Was können die Leute, die sich sowohl Anstand als auch Verstand bewahrt haben, tun, um das Ruder in Deutschland noch herumzureißen? Nun, wir können inner- und außerschulisch mehr für die politische Bildung tun. Wir können uns über Leserbriefe, Blogs, Demonstrationen und andere Formate in die öffentliche Debatte einmischen und gegen Angst und Hass argumentieren. Aber das ist nicht einfach und hat nur eine begrenzte Reichweite. Wer „AfD“ wählt, auf „Pegida“-Demonstrationen geht und friedliche Flüchtlings-Familien wie Terroristen behandelt, der tut dies aus emotionalen Gründen – und nicht, weil erdie richtigen Argumente nicht kennt. . Mit noch so wissenschaftlichen Argumenten kann man nicht gegen die negativen Gefühle von Menschen vorgehen. Das ist so, als riefe man bei einem Hausbrand nicht die Freiwillige Feuerwehr, sondern die zuständige Staatsanwältin, die den lodernden Flammen dann den Strafrechtsparagraphen gegen Brandstiftung vorlesen würde.

Was wir aber tun können und müssen, ist, gegen die beispiellos schlechte Laune anzukämpfen, die sich in unserem Land breitgemacht hat. Lächeln, Helfen und Verzeihen sind gute   Waffen, die wir einsetzen können. Machen wir uns gegenseitig und vor allem die Miesmacher etwas heiterer, damit all die verklemmten, verängstigten und hasserfüllten Heinis langsam einsehen , dass es sich in Deutschland noch nie so gut leben ließ wie heutzutage. Seien wir im Alltag freundlich und aufmerksam.

Wie sollen wir das anstellen? Zum Beispiel so:

Ich hatte kurz an einer Tankstelle an einer Bundesstraße gehalten und bekam mit, dass ein junger Mann die Verkäuferin nach dem Weg fragte, sie ihm aber nicht helfen konnte. Nach seinem Aussehen gehörte der Mann eindeutig zur rechtsextremen Szene und hatte zu allem Überfluss auch noch ein – Klischee wie bist du schön – Nummernschild aus Mecklenburg. Nach kurzem inneren Kampf sprach ich ihn und seine Beifahrerin an und gab ihnen die Wegbeschreibung, die sie an der Kasse nicht bekommen hatten. Soll man nett zu Nazis sein? Scherlich nicht zu Nazis als solchen; aber der Mensch in dem Nazi, dieser chronisch aggressiv-deprimierte Mensch, der sich einer extremen und unmenschlichen Ideologie bedient, um sein schwaches Ego zu stützen – dieser Mensch braucht ein Lächeln und eine helfende Hand umso mehr.

Als in meiner Straße Asphaltarbeiten stattfanden, war ich verärgertüber die Verkehrsbehinderungen. Hinterher war der neue Asphalt aber so viel glatter und angenehmer zu befahren, dass ich bei der Baufirma angerufen und mich als Anwohner für die gute Arbeit bedankt habe.

Ein Bekannter von mir arbeitet freiwillig in einem Sozialkaufhaus. Vor einiger Zeit betrat eine junge Frau mit Baby das Geschäft. Mein Bekannter und die Kundin kamen ins Gespräch und er erfuhr, dass sie mit ihrer Familie gerade ganz neu in der Stadt sei und dort noch niemanden kenne. Außerdem sei ihr Mann beruflich viel unterwegs. Kurzerhand lud mein Bekannter die Dame zu seiner in den nächsten Tagen anstehenden Geburtstagsparty ein, wo sie gleich ein paar Kontakte knüpfen konnte.

Als ein Kollege und ich eines Abends recht spät die Firma verließen, saß noch eine Dame einsam im Foyer der Abteilung, die mein Kollege leitet. Es stellte sich heraus, dass die Dame zu einem Termin gekommen aber ihre Ansprechpartnerin nicht anwesend war. Der Abteilungsleiter konnte seine Mitarbeiterin in dem Moment auch nicht telefonisch erreichen. Da die Dame nun umsonst mit dem Bus gekommen war, fuhr mein Kollege, der selbst in den Feierabend wollte, sie spontan mit seinem Dienstwagen nach Hause.

Dies sind nur ein paar wenige Beispiele, was wir atäglich leisten können, um Deutschland wieder zu einem freundlicheren Land zu machen. Es geht noch viel einfacher: Spendieren Sie wildfremden Personen beim Bäcker ohne Anlass einen Kaffee. Kaufen Sie kleine Blumentöpfe und schmücken Sie damit besonders triste Straßenecken. Apropos Straße: Verhalten Sie sich rücksichtsvoll im Verkehr. Denken Sie sich Kleinigkeiten aus, wie Sie anderen Leuten im Alltag kleine Freuden machen können.

„Und das soll funktionieren?“, fragen Sie.
„Na, sicher“, sage ich. „Wenn Sie mir nicht glauben, glauben Sie einem der großen Weisen des Abendlandes.“

Die Rede ist natürlich von Gandalf, der erklärt:

„Saruman glaubt, dass nur große Macht das Böse in Schach halten kann. Aber ich habe etwas anderes herausgefunden. Ich habe erkannt, dass es auf die kleinen Dinge ankommt. Alltägliche Handlungen einfacher Leute halten die Dunkelheit fern; simple Taten der Freundschaft und der Liebe.“ (Eigene Übersetzung aus: „The Hobbit: An Unexpected Journey“, Warner Bros. Entertainment Inc. 2013)

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