Die Farbe Rot
15.12.2017 -“Nie hat eine Bewegung einen solchen Friedhof zerbrochener Existenzen, vernichteter Talente, zensierter, konfiszierter, verbrannter Manuskripte oder Kunstwerke hinterlassen.” (Seite 1031) Ein kolossales Werk legt Gerd Koenen hier vor. Sicherlich nicht fürs Durchlesen vom Anfang bis zum Ende. Eher ein halb ideengeschichtliches, halb faktengeschichtliches Handbuch.
In dieser Kategorie lässt Koenen allerdings kaum einen Aspekt unbearbeitet. Wenn man Koenens Buch durchgeht, “durchlesen” wäre sicher ein zu vermessener Anspruch, bekommt man den Eindruck, der Kommunismus ist überall und zu allen Seiten anwesend. Und etwas scheint das auch die Perspektive des Autors zu sein, der das Phänomen Kommunismus nicht mit Marx und Engels einsetzen lässt oder mit der sowjetischen Revolution 1918 in Russland. Der ganze erste Teil des Buches (von vieren insgesamt) ist der Zeit vor 1848 gewidmet, unter anderem der französischen Revolution und der Utopiengeschichte christlicher und nicht-christlicher Provenienz.
Erst auf den Seiten 300 bis 400 kommen die Autoren des Kommunistischen (endlich!) Manifestes in Spiel. Danach bleibt Koenen auch auf den Untertitel seines Buches fokussiert und nicht verwunderlich bringt das auch die Konzentration auf die Sowjetunion mit sich, die dortige Herrschaftsabfolge von Lenin über Stalin zur Entstalinisierung; das Entstehen der sowjetischen Satellitenstaaten in Osteuropa; der Zusammenbruch der Sowjetunion und natürlich ein intensiver Blick auf das kommunistische China.
Zu einem solchen Werk gehört Mut und ein langer Atem, dazu kann man Koenen gratulieren. Auch, dass er sich entschlossen hat, mit seinem Buch mehr zu liefern als nur eine enggeführte Kommunismus-Geschichte, sondern den Kommunismus auch immer in breitere historische Perspektiven zu stellen. Wer sich diesen über 1000 Seiten als LeserIn “stellen” will (diese Formulierung ist angesichts des Umfangs sicherlich keine übertriebene Formulierung) wird von Fall zu Fall entscheiden, welche historischen Abschnitte in der Kommunismus-Geschichte ihr/ihn besonders interessieren. Leider macht es uns der Autor dabei mit seinen eher blumenreichen, manchmal auch etwas kryptischen Überschriften nicht leicht. Auch wäre mehr Ausleuchten der Gegenwart wünschenswert gewesen; ebenso eine Vertiefung des digitalen Finanzkapitalismus, den Koenen zwar auf einer Seite erwähnt, ihn dann aber doch nicht in eine kommunistisch-analytische Perspektive hineinstellt. Diese Verdünnung bei der Beschreibung der Gegenwart wird aber durch den höchst einprägsamen Epilog des Autors ausgeglichen, wo Koenen in eindrucksvoller Weise über die Entstehung des Buches schreibt und wie dessen Thema mit seiner eigenen Biografie verknüpft ist. In früherer Diktion formuliert haben wir hier “ein Lebenswerk”, vor uns dessen Ausführlichkeit und Intensität für jeden einen Gewinn darstellt, der sich durch den Seitenumfang nicht abschrecken lässt.