Muslime und Juden

Die orientalischen Schindlers

15.08.2014 - Emran Feroz

Im Zweiten Weltkrieg haben auch Muslime viele Juden vor der Deportation gerettet – mit großer List und unter Einsatz ihres Lebens. Doch ihre Taten sind in Vergessenheit geraten. Eine Erinnerung aus aktuellem Anlass.

Der Nahostkonflikt wird gern als Religionskrieg bezeichnet, das ist aber nur ein Aspekt der Sache. Denn Juden und Muslime konnten durchaus immer wieder und für lange Zeit friedlich zusammenleben, und zwar sowohl im Orient wie im Okzident. Bloß sind die Beispiele für friedliche Koexistenz oder sogar gegenseitige Hilfe weit weniger bekannt als jene, die angeblich den ewigen Kampf der Kulturen belegen.

Während der Zeit des nationalsozialistischen Rassenwahns riskierten manche Muslime ihr Leben, um Juden zu retten. Doch ihre Taten gerieten in Vergessenheit. Ein solcher Fall ereignete sich an der großen Moschee in Paris. Die „Grande Mosquée de Paris“ wurde 1926 eröffnet und zählt wohl zu den schönsten islamischen Gotteshäusern Europas. Sie gilt als Zeichen des Dankes Frankreichs an jene Muslime, die bei den „Tirailleurs“, den kolonialen Hilfstruppen, gegen das Deutsche Reich kämpften. Damals starben 70.000 Muslime unter französischer Flagge.

Nach der deutschen Invasion Frankreichs 1940 waren die Juden auch dort in Lebensgefahr. Damals war Si Kaddour Benghabrit der Rektor und vorstehende Imam der Pariser Moschee. Er war algerischer Abstammung. So kam es, dass viele Mizrachim, orientalische Juden, sich Schutz suchend an ihn wandten. Unter ihnen war auch der junge Salim Halali, der später ein beliebter Sänger und Schauspieler werden sollte und 2005 starb. Benghabrit nahm viele dieser Juden in der Moschee auf und tarnte sie, indem er ihnen eine muslimische Identität verschaffte.

Sardari schlug die Nationalsozialisten mit ihrer eigenen Propaganda

Da orientalische Juden sich optisch nicht sonderlich von ihren muslimischen Brüdern und Schwestern unterscheiden, die gleiche Sprache sprechen und ähnliche Namen tragen, fiel es Benghabrit nicht allzu schwer, die Besatzer in die Irre zu führen. Er besorgte jedem Einzelnen von ihnen Dokumente, die ihre angeblich muslimischen Wurzeln belegten, und bewahrte sie damit vor der Deportation ins Konzentrationslager. Es ist nicht sicher, wie viele Juden Benghabrit erfolgreich verstecken konnte, es könnten bis zu zweitausend gewesen sein. Unter ihnen sollen sich viele Widerstandskämpfer und  zahlreiche Frauen und Kinder befunden haben.

Ein weiterer Mann, der während des Zweiten Weltkriegs ebenfalls in Paris viel riskierte, war Abdul Hussain Sardari, der zu jener Zeit das iranische Konsulat leitete. Er konnte rund zweitausend iranische Juden, die damals in Frankreich lebten, retten, indem er die Nationalsozialisten mit Hilfe ihrer eigenen Propaganda in die Irre führte. Da die Nazis die Iraner als Arier betrachteten, behauptete Sardari, dass iranische Juden im Grunde genommen auch Arier seien.

Bedauerlicherweise sind die Taten Sardaris mittlerweile nicht nur in Europa in Vergessenheit geraten, sondern auch in der islamischen Republik Iran. Sowohl die Geschichte Benghabrits als auch jene Sardaris erinnert an jene Oskar Schindlers. Schindler rettete durch seine heldenhafte Aktion weit über tausend Juden. Über ihn wurde ein brillanter, mehrfach ausgezeichneter Film gedreht. Nach dem Krieg wurde er für sein Handeln geehrt, unter anderem erhielt er das Bundesverdienstkreuz. Außerdem wird an ihn in Yad Vashem, der „Gedenkstätte der Märtyrer und Helden des Staates Israel im Holocaust“ in Jerusalem, erinnert. Die Namen Si Kaddour Benghabrit und Abdul Hussain Sardari kennt dagegen fast niemand. Beide Männer, die so viele Menschen wie Schindler retteten, vielleicht sogar mehr, und dabei ihr eigenes Leben aufs Spiel setzten, werden in Yad Vashem nicht geehrt.

Yad Vashem ist auf der Suche nach Zeitzeugen

In der „Allee der Gerechten unter den Völkern“, in der an die heldenhaften Taten in den Zeiten des Holocausts erinnert wird, sind fast 24000 Namen verzeichnet. Unter ihnen befinden sich nur sehr wenige Muslime. Im vergangenen Jahr nahm Yad Vashem den ersten Araber in diese Liste auf. Das war Mohammad Helmy, ein ägyptischer Arzt, der in den vierziger Jahren in Berlin gelebt hatte. Während dieser Zeit versteckte er jüdische Freunde in seiner Wohnung. Aufgrund seiner „nichtarischen“ Abstammung hatte er selbst mehrfach Probleme. Alle Juden, die Helmy versteckte, überlebten dank seines Einsatzes.


Doch das historische Gedenken hat immer auch Bezug zur aktuellen Politik . So sind mit der Verschärfung des Nahostkonflikts und nach der iranischen Revolution solche muslimischen Judenretter in Vergessenheit geraten. Yad Vashem bestreitet allerdings, dass dies mit Absicht geschehe und verweist immer wieder auf jene Muslime, die sich auf der Liste finden lassen – circa sechzig Namen.

Si Kaddour Benghabrit ist dort weiterhin nicht zu finden. Als der Krieg vorbei war, berichteten einige Personen, die damals Schutz in der Pariser Moschee fanden, von seinen Rettungstaten. Sie wollten, dass die nächsten Generationen erfahren, dass auch Araber viele Juden vor dem Tod bewahrten. Yad Vashem hat in der Vergangenheit versucht, Überlebende zu finden oder deren Nachkommen aufzuspüren. Es wurde auch nach einschlägigen Dokumenten aus jener Zeit gesucht.

Leider war bis zum heutigen Tage die Suche nach Zeitzeugen oder Dokumenten erfolglos. „Falls solche Beweise noch ausfindig gemacht werden, wird man es sicherlich in Erwägung ziehen, Si Kaddour Benghabrit in der ,Allee der Gerechten unter den Völkern‘, in der Oskar Schindler einen Johannisbrotbaum pflanzen durfte, aufzunehmen“, heißt es aus Yad Vashem. Dasselbe gilt wohl für den iranischen Diplomaten Abdul Hussain Sardari.


Dennoch zeigt das Handeln beider Männer, dass Muslime und Juden sich mehr als nur gut verstehen können. Gerade in der heutigen Zeit ist es wichtig, solche Erinnerungen zu bewahren und wiederaufleben zu lassen.

 

 

 

 

 

 

Erstveröffentlichung: FAZ

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