Tierrechtler im Interview

Dr. Helmut Kaplan: "Ich verleugne das barbarische Erbe unserer Vorfahren"

01.07.2017 - Astrid Knauth

Wie selbstverständlich sollten Rechte für Tiere sein? Warum sollte man sich vegan ernähren? Und warum betreiben wir tagtäglich tausendfache Tierquälerei? DAS MILIEU sprach mit dem Philosophen, Autoren und Tierrechtler Helmut F. Kaplan über seine Tierethik.

MILIEU: Sie haben Psychologie und Philosophie studiert. Sie setzen sich sehr für Tierrechte ein. Einer Ihrer Schwerpunkte liegt auf der Philosophie und Psychologie der Mensch-Tier-Beziehung. Haben Sie selbst Tiere und wenn ja, in welcher Beziehung stehen Sie zu Ihnen?

Helmut Kaplan: Peter Singer berichtet im Vorwort zu seinem Buch „Die Befreiung der Tiere“ - das den Beginn der Tierrechtsbewegung markiert -, dass er nach seinen Haustieren gefragt worden sei. Und er schreibt dazu sinngemäß: Er habe keine Haustiere, sei auch kein „Tierfreund“ und es ginge ihm auch um etwas ganz Anderes: darum, Unterdrückung und Ausbeutung zu bekämpfen, wo immer sie vorkommen, dafür zu sensibilisieren, dass das fundamentale, moralische Prinzip der gleichen Interessenberücksichtigung nicht willkürlich auf die menschliche Spezies beschränkt werden darf. Zu glauben, jemand müsste deshalb ein besonderer „Tierfreund“ sein, sei genauso abwegig wie die Vorstellung, man müsste diskriminierte Minderheiten, für deren Rechte man sich einsetzt, besonders „lieben“. Ich habe auch keine Haustiere und finde diese Antwort aufschlussreich und erhellend.

MILIEU: Ihr Leitsatz auf Ihrer Homepage lautet: “Waren Tierrechte eine bloße Modeerscheinung oder werden sie einmal so selbstverständlich sein wie Menschenrechte?“ – Wie würden Sie selbst diese Frage beantworten?

Kaplan: Die Tierrechtsbewegung ist philosophisch die konsequente Fortsetzung anderer Befreiungsbewegungen wie etwa der Befreiung der Sklaven oder der Emanzipation der Frauen: Immer ging und geht es darum, moralische Diskriminierungen aufgrund moralisch belangloser Merkmale - Hautfarbe, Geschlecht, Spezies - zu erkennen und zu überwinden. Die entscheidende Frage ist nun, ob die antispeziesistische Tierrechtsbewegung politisch und historisch ähnlich erfolgreich sein wird wie die antirassistische und die antisexistische Bewegung. Die Antwort ist nicht naturgegeben - sondern hängt von den agierenden Menschen ab. Deshalb plädiere ich dafür, sich vom die Tierausbeutung verharmlosenden und zementierenden Gerede von „bio“, „öko“ und „artgerecht“ zu verabschieden und endlich wieder zur „revolutionären“ Rechte-Terminologie zurückzukehren: Tiere haben wie Menschen Rechte, die nicht relativierbar und nicht verhandelbar sind!

MILIEU: Sie fordern gewissermaßen die Gleichsetzung von Tier- und Menschenrechten. Würde das nicht auch viele Probleme hervorrufen oder blenden Sie diese einfach aus?

Kaplan: Dass Tierrechtler „Menschenrechte für Tiere“ forderten, ist ein häufig anzutreffender Unsinn. Tiere brauchen keine Menschenrechte, weil Tiere zum Teil andere Interessen als Menschen haben. So brauchen etwa Hunde und Katzen kein Wahlrecht und keine Religionsfreiheit. Worum es geht, ist, dass gleiche bzw. ähnliche Interessen auch moralisch gleich bzw. ähnlich berücksichtigt werden sollen. Zum Beispiel:

Weil alle Menschen ein Interesse an angemessener Nahrung und Unterkunft haben, sollen wir dieses Interesse auch bei allen Menschen gleich berücksichtigen - und dürfen nicht willkürliche Diskriminierungen aufgrund von Rasse oder Geschlecht vornehmen. Und weil sowohl Menschen als auch Tiere ein immenses Interesse haben, nicht zu leiden, sollen wir dieses Interesse bei Menschen und Tieren auch gleich berücksichtigen - und dürfen nicht willkürliche Diskriminierungen aufgrund der Spezies vornehmen.

Gleiche Interessen sollen also gleich zählen, unabhängig davon, wessen Interessen sie sind. Tierrechte bedeuten dann schlicht: Tiere haben das Recht, dass ihre Interessen gleich berücksichtigt werden wie vergleichbare menschliche Interessen.

MILIEU: Sie veröffentlichten den Text „Die Barmherzigkeit der Bombe“. Darin vertreten Sie die Meinung, dass der Weltuntergang ein Segen für die Tiere sei, da sie dadurch kein Leid mehr ertragen müssen. Eine sehr negative Sichtweise – ist es dann nicht naiv zu glauben, dass die eigene Arbeit etwas bewirken könnte oder stirbt die Hoffnung zuletzt?

Kaplan: Ich denke, meine Sichtweise ist schlicht realistisch! Jährlich werden - Fische nicht mitgezählt - über 60 Milliarden Tiere für die menschliche Ernährung getötet, meist nach einem grauenvollen Leben und meist auf grausame Weise! Jedem, der einen Funken Mitgefühl hat, muss schlecht werden, wenn er sich vergegenwärtigt, was jede Sekunde passiert.

Natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, dass es angesichts dieses Leidens naiv ist, an die Sinnhaftigkeit eigenen Helfens zu glauben. Nur: Das gilt gleichermaßen im Hinblick auf menschliches Leiden! Ich habe an anderer Stelle die implizierte Paradoxie wie folgt auf den Punkt gebracht: „Wer glaubt, die Welt verbessern zu können, ist ein Narr. Wer es nicht versucht, ein Verbrecher.“ Andererseits - ich zitiere aus „Die Barmherzigkeit der Bombe“: „Wenn wir auch nicht DIE Menschen oder DIE Tiere retten können, so können wir einzelnen Menschen und einzelnen Tieren sehr wohl helfen, sie glücklich machen – oder zumindest weniger unglücklich machen. Leiden lindern und Glück fördern sind Werte an sich. Letztlich vielleicht die einzigen Werte überhaupt.“

MILIEU: Sie setzen sich für eine vegetarische Ernährung - oder zumindest einen verminderten Fleischkonsum - ein, was Sie für eine der Ursachen des Leidens der Tiere ansehen. Aber glauben Sie, dass eine hypothetisch angenommene vegetarische Ernährung der Menschheit alle Probleme lösen würde? Was ist z.B. mit der Jagd auf Elefanten einfach nur wegen des Elfenbeins?

Kaplan: Ich setze mich für eine VEGANE Ernährung ein, aber selbstverständlich würde auch die nicht alle Probleme im Hinblick auf Tiere lösen - weil es viele tierschädigende Praktiken gibt, die mit dem Essen gar nichts zu tun haben, etwa Tierversuche und Stierkämpfe. Deshalb ist die übergeordnete Zielsetzung auch nicht eine Veränderung der Ernährung, sondern die Verwirklichung von Tierrechten - die eine vegane Ernährung impliziert.

MILIEU: Der Mensch war schon immer ein Tier- und Pflanzenfresser. Verleugnen Sie mit einer rein vegetarischen Ernährung nicht quasi Ihre Vorfahren?

Kaplan: Der Mensch war auch schon immer ein Mörder, Vergewaltiger und Krieger! Was ich - gemeinsam mit allen Menschenrechtlern! - „verleugne“, ist das archaische, barbarische Erbe unserer Vorfahren.

MILIEU: In weniger entwickelten Ländern gibt es noch die traditionelle Viehzucht. Sehen Sie auch diese als Tierquälerei an?

Kaplan: „Traditionell“ ist kein moralisches Gütesiegel! In weniger entwickelten Ländern gibt es auch noch die „traditionelle Steinigung“ und vielleicht gibt es auch noch irgendwo die „traditionelle Sklaverei“. Barbarische Praktiken werden nicht dadurch besser, dass sie eine „lange Tradition“ haben.

MILIEU: Sie haben Schlachtfabriken und Mastbetriebe vermehrt mit dem Holocaust und KZs verglichen und wurden dafür auch öffentlich kritisiert. Ist das nicht ein sehr übertriebener und vor allem den Opfern gegenüber unwürdiger Vergleich?

Kaplan: Ich habe mittlerweile den Versuch aufgegeben, der exklusiv deutschen irrationalen Holocaust-Vergleichs-Hysterie Fakten und Argumente entgegenzusetzen. In anderen Ländern, inklusive Israel, ist eine sachliche, differenzierte Diskussion dieser Thematik sehr wohl möglich. Das Zitat „Wo es um Tiere geht, wird jeder zum Nazi, für die Tiere ist jeden Tag Treblinka“ stammt im Übrigen vom jüdischen Literaturnobelpreisträger Isaac Bashevis Singer.

MILIEU: Wie würden Sie die Beziehung zwischen Mensch und Tier in der heutigen Welt mit wenigen Worten charakterisieren?

Kaplan: Tierproduzenten und Tierkonsumenten haben eine stillschweigende Vereinbarung geschlossen: Wir belügen euch - Wir lassen uns belügen. Ungestörte Profitmaximierung gegen gutes Gewissen. Aber hinter der Lügen-Wand aus schönen Worten - „Bio“, „Öko“, „Respekt“ - und schönen Bildern - auf den Verpackungen und in der Werbung - herrscht das pure Grauen, der reine Horror: absolute Rechtlosigkeit der Tiere, absolute Rücksichtslosigkeit ihrer Peiniger.

MILIEU: Können Sie folgenden Satz beenden: „Einen Erfolg in der Tierrechtsbewegung in den kommenden zehn Jahren würde ich verbuchen, wenn…“

Kaplan: „... ein Teil der Energie, die derzeit in interne Feindseligkeiten investiert wird, wieder in gemeinsame Arbeit investiert würde.

MILIEU: Viele Menschen setzen sich heutzutage privat oder öffentlich für Tiere und Ihre Rechte ein. Halten Sie das für ein wachsendes Bewusstsein in der Bevölkerung oder für ein vorübergehendes Phänomen?

Kaplan: Was als breites Engagement für Tiere wahrgenommen wird, ist nichts anderes als das Ergebnis von Marketingstrategien der Fleischindustrie: Bio-, Güte- und Tierwohl-Siegel am laufenden Band, Kampagnen für „bewusstes Essen“, „regionales Genießen“, eine „faire“ Landwirtschaft, „Respekt“ gegenüber Tieren und so weiter und so fort. Dass moralische Tierrechte hierbei mit Tierschutzgesetzen verwechselt werden, ist ein willkommenes und gefördertes Missverständnis: So wird der absurde Eindruck erweckt, dass alles „unter Kontrolle“ sei, dauernd „Schritte in die richtige Richtung“ erfolgten und überhaupt alles immer besser würde - „für Bauern, Konsumenten, Umwelt und Tiere“.

MILIEU: Zum Abschluss – haben Sie eine konkrete Zukunftsvision bezüglich der Tierrechte?

Kaplan: Dass Tierrechte historisch jene Rolle spielen werden, die ihnen aufgrund ihres philosophischen und moralischen Gewichts zukommt. Und dass die Menschen erkennen: Warum sollte man jemanden quälen dürfen, weil er zu einer anderen Spezies gehört? Gleicher Schmerz ist gleich schlecht, egal ob er von Weißen, Schwarzen, Männern, Frauen, Kindern oder Tieren erlebt wird. Die Ausbeutung und Diskriminierung aufgrund der Spezies ist genauso falsch wie Rassismus und Sexismus.

MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Herr Kaplan!

 

 

Hier geht es zur Homepage von H. F. Kaplan: www.tierrechte-kaplan.de 

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