Kurzgeschichte

Freiheit

15.01.2015 - Steffen Finnern

"Believe in freedom in love and fortune And all we need Is a peace of heaven. Believe in freedom in love and fortune And all we need Is a peace of heaven. We all need love Freedom, come on everybody. We all need love Freedom, let's live for freedom." - DJ Bobo, Freedom

Der oben zitierte Song stammt aus dem Jahr 1995. Zwanzig Jahre mussten ins Land gehen, bevor mir die eigentliche Bedeutung der Wörter des Schweizer Interpreten auffiel. Natürlich hatten große Künstler seit je her Probleme, zu Lebzeiten den ihnen gebührenden Ruhm zu erfahren. Somit sind die 20 Jahre eventuell in diesem Falle zu verschmerzen.

Der Song ist nicht etwa eine komplett willkürliche Aneinanderreihung von Wörtern, die mit Euro-Dance Rhythmen hinterlegt wurde, wie ich ursprünglich dachte. Er übt subversive Kritik an dem kompletten Bedeutungsverlust des Wortes Freiheit.

Der Bedeutungsverlust eines Wortes ist in der Progression einer Sprache ein oft zu beobachtendes Phänomen. Es lässt sich am besten am Beispiel der modernen Kommunikationspraktiken im Bereich des Marketing darlegen. Diese Branche hat es kürzlich mit Produkten wie dem etwas anderen Minivan und dem rebellischen Rasierer geschafft, dass es kaum mehr ein Massenprodukt gibt, welches nicht die Individualität des Konsumenten betonen soll.

Aber zurück zum eigentlichen Thema, nämlich DJ Bobos politischen Statements. Denn ganz bewusst, so fiel es mir nun wie Schuppen von den Augen, wurde der Protestsong 'Freedom' in der Akzent-freien englischen Sprache vertont, wie man sie sonst am ehesten bei Journalisten aus dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten findet. Denn natürlich erkannte der Schweizer Whistleblower schon damals die paradoxe Situation, dass ausgerechnet das Land auf der Welt die Deutungshoheit über das Wort Freiheit besitzt, dass weltweit den größten Anteil seiner Bevölkerung ins Gefängnis sperrt. Dass Bobo die weltweite Überwachung durch die National Security Agency voraussah, dass möchte ich nicht einmal behaupten.

Dass mir die versteckte Botschaft des damaligen Chartbreakers ausgerechnet zum jetzigen Zeitpunkt deutlich wurde, ist selbstredend auf die aktuellen Vorfälle, die eine hitzige Nicht-Debatte zum Thema Freiheit auslösten, zurückzuführen. Von einer Nicht-Debatte zu sprechen, halte ich in dieser Situation für angebracht, weil das Wort Freiheit viel zu sehr als Totschlagargument verstanden wird, womit man absolut alles zu rechtfertigen sucht. In absurden Fällen sogar Gewalttaten. Das mag unglaublich erscheinen. Und damit meine ich nicht das ebenfalls komplett bedeutungslose Wort in einem Satz, den man Oliver Geißen zuordnen darf - „Mensch, was wir damals für verrückte Klamotten an hatten. Unglaublich!“ - sondern den buchstäblichen Sinn des Wortes.

Denn was passiert denn als das, was man in der klassischen Konditionierung als bedingte, also erlernte Reaktion bezeichnen würde, wenn in Europa ein paar Psychopathen ein abscheuliches Massaker anrichten?

Joachim Gauck kramt eine Rede zum Thema Freiheit hervor.

Die CSU fordert etwas, was an Absurdität nicht zu überbieten ist – die Rückkehr zur Vorratsdatenspeicherung, damit, so wörtlich, „hier so etwas wie in Frankreich nicht passieren kann“. Erstens gibt es in Frankreich eine Vorratsdatenspeicherung und zweitens kann sich ja nach wie vor ein Psychopath, der im Besitz einer Schusswaffe ist, eben jener bedienen und damit Menschen erschießen. Stehen die Damen und Herren dann da und sagen: „Na dees könne wa uns net erklären. Wäre eigentlich unmöglich gewesen. Wir hatten ja die Vorratsdatenspeicherung. Da muss er ein Schlupfloch gefunden haben.“ ?

Von ganz rechts außen kommen rassistische und menschenverachtende Hetzparolen. Unter dem Deckmantel der Meinungsfreiheit.

Der letzte Punkt beschreibt das eigentliche Dilemma am allerbesten. Denn aufgrund der Meinungsfreiheit darf man folgerichtig denken und äußern, dass man aus Bedingungen, die der Zufall geschaffen hat – wie zum Beispiel Nationalität und Hautfarbe – eine andere Wertigkeit als ein anderer Mensch besitzt. Es gibt eine Fülle von Gesetzen, die ein Handeln in derlei Wirrungen erschweren, allein die Meinung ist jedem gestattet. Dass diese Meinungen allerdings leicht zu Forderungen führen können, die mitunter andere Freiheiten, wie sie einem jeden Erdenbürger durch die UN Charta der Menschenrechte zugebilligt werden, angreifen, ist nicht nur nicht ausgeschlossen. Es passiert täglich.

Wenn in Zukunft Parolen auftauchen, die eindeutig rassistisch gefärbt sind, dann ist ja niemandem als dem Hass und der Verachtung gedient, wenn die gelernte Reaktion darauf nun: „Hey, voll gut, Meinungsfreiheit!“ wäre. Denn Rassismus Rassismus zu nennen, dürfte ebenfalls unter die Meinungsfreiheit fallen. Und so lange man diese Kritik mit Worten darlegt und nicht Zensur betreibt oder weiterreichende Maßnahmen ergreift, bedeutet sie mit Sicherheit keinen Einschnitt in die Meinungsfreiheit des Gegenüber.

Und wenn im Namen der Freiheit aus der Politik, und die Schwesterpartei der CSU tut sich hier ebenfalls hervor, neue Maßnahmen zur Überwachung gefordert werden, dann kann man das Wort Freiheit auch in den Ordner der nicht mehr ernsthaft nutzbaren Wörter verschieben. Da kann es sich dann neben anders und individuell auch gleich neben Neuland und alternativlos einrichten.


DJ Bobo hat das lange prophezeit.

 

 

 

 

 

 

Foto: © Alice Popokorn

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