Eine Frage des MILIEUs

"Ist Burnout nur eine Modeerscheinung?"

15.08.2015 - Alexander Hirschfeld

Bei der Diagnose ‚Burnout‘ gehen die Reaktionen auseinander: Die einen begreifen psychische Erschöpfung durch Arbeit als unterschätzte Krankheit, für andere ist sie eine Modeerscheinung, die Drückebergern als Ausrede dient.

Diese Debatte verdeutlicht vor allem eins: Unser Leben ist heute ausschließlich dem Leistungsdenken verpflichtet. Gerade der Begriff Burnout eröffnet jedoch die Möglichkeit, diesen Imperativ kritisch zu hinterfragen.

Es ist noch nicht lange her, da war das Verhältnis zwischen Arbeit und psychischem Wohlbefinden ausschließlich positiv konnotiert. Es galt: Wer Arbeit hat, ist glücklicher, selbstbewusster und damit auch gesünder. Fällt man in die Arbeitslosigkeit, dann leidet darunter nicht nur der Lebensstandard, sondern vor allem die Psyche. Strukturen und damit häufig auch der Lebenssinn gehen verloren. In Folge dessen nimmt die Wahrscheinlichkeit einer psychischen Krankheit zu.

In den letzten Jahren ist dieses Bild deutlich ins Wanken geraten. Berichte mehrerer Krankenkassen weisen darauf hin, dass psychisch bedingte Arbeitsausfälle deutlich angestiegen sind. Der Zusammenhang zwischen Arbeit und psychischer Gesundheit wird deshalb neu verhandelt. Insbesondere der Begriff Burnout ist dabei zu einem Synonym für psychische Leiden geworden, die nicht in Ermangelung von Arbeit, sondern durch Arbeit entstehen.

Burnout wurde zu Beginn als neue Krankheit dargestellt, die auf veränderte Arbeitsbedingungen zurückzuführen ist. Damals hieß es, dass besonders diejenigen, die unter enormem Leistungsdruck stehen oder zu hohe Anforderungen an sich selbst stellen, betroffen sind. Zudem galten technische Entwicklungen und damit einhergehende Veränderungen des Arbeitsalltags – vor allem die ständige Erreichbarkeit via E-Mail und Smartphone – als zusätzliche Belastungen. Das Gesundheitssystem musste auf dieses neue Problem reagieren. Doch die Medizin konnte mit dem Konzept Burnout wenig anfangen – zu undeutlich sei das Krankheitsbild und zu nahe an der Depression, erklärten Ärzte. So sprach sich Ulrich Hegerl, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Uni Leipzig und Vorsitzender der Stiftung Deutsche Depressionshilfe 2011 klar gegen das ‚Modewort Burnout‘ aus. Laut Hegerl leiden Betroffene entweder unter einer Depression oder an normalen Formen von Stress und gelegentlicher Überforderung.

Die Vorstellung, dass es sich bei Burnout lediglich um eine Modeerscheinung handelt, scheint in den letzten Jahren an Attraktivität zu gewinnen. Entweder ist man krank – leidet beispielsweise unter einer Depression – oder man ist gesund und damit eben auch arbeitsfähig. Von den Anforderungen der Leistungsgesellschaft wird nur befreit, wem eindeutig das zugewiesen wird, was der US-amerikanische Soziologe Talcott Parsons eine ‚Krankenrolle´ genannt hat. Man begibt sich in die Hände des Arztes, gibt einen Teil der eigenen Souveränität auf und wird im Gegenzug von bestimmten Verantwortungen – in diesem Fall der Pflicht zu arbeiten – befreit. Nimmt man den unscharfen Begriff ‚Burnout‘ in den Mund, läuft man also immer Gefahr, als Drückeberger zu gelten, der die Modekrankheit als Ausrede benutzt. In der Arbeitswelt wird Burnout kaum noch als Krankheit begriffen, sondern eher als Risikofaktor, dem alle Arbeitenden ausgesetzt sind. So widmet sich eine Heerschar neuer Experten – allen voran selbstständige Coaches – der optimalen Nutzung psychischer Ressourcen. Auch Unternehmen bieten eine immer größere Bandbreite an Maßnahmen zur Risikoevaluation und Prävention an. Statt ‚Burnout‘ als Krankheit zu behandeln, gilt es nun dem Risikofaktor ‚Burnout‘ vorzubeugen, also Leistung effizient zu nutzen und so Reibungen zu minimieren. Der Erwerbstätige wird zum Manager der eigenen psychischen Energie.

Was hier beobachtet werden kann, ist eine ökonomische Optimierung der Psyche. Die Debatte um Burnout kreist paradoxerweise ausschließlich um den Leistungsgedanken. Dabei sollte dieses Problem vielmehr Anlass sein, die alleinige Orientierung an Leistung in Frage zu stellen. Warum neigen wir beispielsweise dazu, Menschen, die von Burnout betroffen sind, Faulheit und Schwindel zu unterstellen? Weil wir ihre Arbeitsleistung mit unserer eigenen vergleichen und uns betrogen fühlen? Wir selbst kommen mit der hohen Belastung ja auch zurecht. Letztendlich machen wir uns gegenseitig zu Sündenböcken, anstatt den Leistungsgedanken kritisch zu hinterfragen. Auch die psychische Belastbarkeit hat ihre Grenze und diese Grenze ist nicht für jeden gleich. Das gilt es anzuerkennen, anstatt jede Person an einem festen Richtwert zu messen.

 

 

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