Eine Frage des MILIEUs

"Ist gesunde Ernährung nutzlos?"

15.10.2016 - Uwe Knop

Ein ganz klares Nein. Gesunde Ernährung ist ganz was Feines. Denn wer sich gesund ernährt, trägt dazu bei, seinen Körper und Geist vor Krankheiten zu schützen und gefährlichem Übergewicht vorzubeugen. Ergo liebe Leser: Ernähret Euch gesund! So klingt der Traum aller Ernährungsapostel und ihrer Predigten zur gesunden Nahrung – den wir jetzt leider platzen lassen, weil:

Niemand weiß, was gesunde Ernährung ist. Ja, ich weiß, einige von Ihnen intervenieren gerade innerlich lautstark „Was schreibt der da für einen Quatsch, natürlich weiß man das: Viel Obst und Gemüse, reichlich Ballaststoffe und Vollkorn, aber wenig rotes (ganz böse!) Fleisch essen, das ist gesund. Fast Food und Süßigkeiten hingegen sind ungesunde Dickmacher.“ Doch das sind nicht mehr als leere Phrasen, frei erfundene Ernährungsnaseweisheiten, für die kein einziger wissenschaftlicher Beweis existiert. Warum das so ist, erklären Ihnen nun einige Kollegen aus der deutschen Wissenschaft.

„Bemitleidenswerte Ernährungsforschung“

Der desolate Zustand ökotrophologischer Forschung ist in der Fachwelt schon lange bekannt. So erklärte der Direktor des deutschen Cochrane-Zentrums, das die Qualität wissenschaftlicher Studien bewertet, Prof. Gerd Antes bereits 2011: „Die Ernährungswissenschaften sind in einer bemitleidenswerten Lage. Studien in diesem Bereich sind von vielen unbekannten oder kaum messbaren Einflüssen abhängig. Deswegen gibt es immer wieder völlig widersprüchliche Ergebnisse.“ [1] Nur ein Jahr später ergänzte sein „Studienbewertungskollege“ vom staatlichen IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen), Dr. Klaus Koch, zur Kernschwäche dieser Ernährungs-Beobachtungsstudien:

„Epidemiologische Studien können normalerweise keine Beweise liefern. Punkt.“ [2]

Daher ist für Prof. Gabriele Meyer, ehemalige Vorsitzende des DNEbM e.V. (Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin) und aktuell Mitglied im Sachverständigenrat von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe, klar: „Beobachtungsstudien sind nicht geeignet, präventive oder therapeutische Empfehlungen abzuleiten.“ [3] Einer der Gründe: Beobachtungsstudien liefern ausschließlich Korrelationen (statistische Zusammenhänge), jedoch niemals Kausalitäten (Ursache-Wirkungs-Beziehungen/Beweise).

Zum besseren Verständnis nachfolgend ein sehr stark vereinfachtes Beispiel einer klassischen Korrelation: In einer Studie mit 100.000 Teilnehmern wurde beobachtet, dass die Leser von DAS MILIEU mehr Herzinfarkte haben als die Spiegel- und Stern-Schmökerer. Die Ernährungsforschung deutet daraus die Kausalität: „Spiegel & Stern reduzieren Herzinfarktrisiko.“ Das ist natürlich völlig frei konstruierter Nonsens, denn warum die Leser von DAS MILIEU mehr Herzinfarkte haben, das weiß niemand. Tauschen Sie nun die drei Zeitschriften gegen Rotes Fleisch (DAS MILIEU) und Obst und Gemüse (Spiegel und Stern), dann kennen Sie das luftleere System der Ernährungsforschung. Man kann sagen: Wir bewegen uns auf dem Niveau des Glaskugellesens.

Auch in zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen wurde jüngst immer wieder auf die systemimmanente Kernschwäche der Ernährungsforschung hingewiesen: Viele ihrer Ergebnisse seien „völlig unglaubwürdig“ – und auch eine „weitere Million Beobachtungsstudien“ würde keine endgültigen Lösungen liefern [4]. Aufgrund zahlreicher Schwächen dieser Untersuchungen werden Politiker zu „größerer Vorsicht bei Ernährungsempfehlungen“ angemahnt, da diese primär auf Beobachtungsstudien basieren, die nicht durch klinische Studien bestätigt wurden [5].

„Nicht genügend wissenschaftliche Evidenz“

Dementsprechend war es nur eine Frage der Zeit, bis im Februar 2016 mit Prof. Peter Stehle erstmals ein Präsidiumsmitglied der DGE e.V. (Deutsche Gesellschaft für Ernährung) öffentlich bekannte, dass die Ernährungsforscher ein Problem haben: „Wir können nicht genügend wissenschaftliche Evidenz liefern.“ Denn das sei „tatsächlich schwierig, das Liefern von Belegen.“ Die beobachteten Ergebnisse der Ernährungsforschung seien daher „argumentativ natürlich sehr, sehr schwach. Aber das war immer so und wird so bleiben.“ Denn zu diesen Studien, die harte Evidenz, also Beweise für beispielsweise gesunde Ernährung liefern, erklärt Stehle: „Solche Interventionsstudien wird es nie geben.“ Auch auf die Frage, wie hoch der Einfluss der Ernährung auf die Gesundheit (Verfassung) ist, spricht Stehle Klartext: „Das lässt sich nicht quantifizieren. Niemand weiß das.“ [6]

„Gesunde Ernährung? Kann man nicht so genau definieren“

Ach wie gut, dass jemand weiß, warum das niemand weiß ? so erklärte der wissenschaftliche Vorstand des DIfE (Deutsches Institut für Ernährungsforschung), Prof. Tilman Grune, im August 2016: „Gesunde Ernährung kann man gar nicht so genau definieren.“ [7] Dementsprechend dünn ist auch das Fazit zu gesunder Ernährung von Prof. Jana Rückert-John, Hochschule Fulda: „Was am Ende dann bleibt, ist sich ausgewogen zu ernähren.“ Dabei solle man von allem essen und die „Lust und den Spaß am Essen im Zuge des ganzen Gesundheitswahns nicht verlieren.“ [8] Wie einfach das geht, erläuterte Dr. Margareta Büning-Fesel, Vorstand des aid infodiensts und designierte Leiterin des von Bundesminister Christian Schmidt für 2017 geplanten „Bundeszentrum für Ernährung“, im Mai 2016: „Ich bin überzeugt davon, dass jeder Mensch in der Lage ist, die für ihn beste Ernährung für sich zu entdecken. In erster Linie sollte man dabei seinem Geschmack folgen. Und dem Gespür für den eigenen Körper.“ [9]

In diesem Sinne folgt abschließend ein kulinarisch adaptiertes Zitat des hoch geschätzten Philosophen Paul Watzlawick: Es gibt so viele gesunde Ernährungen wie es Menschen gibt – denn jeder Mensch is(s)t anders. Lassen Sie sich Ihre ganz persönliche „gesunde Ernährung“ schmecken!

 

 

[1] Süddeutsche Zeitung „Falsche Früchtchen“
[2] Spiegel online, „Überschätzte Gesundheitsstudien:„Wer zu viel glaubt, bleibt dumm“
[3] Novo Argumente, „Ernährungsregeln – wo bleiben die Daten?“
[4] Implausible results in human nutrition research – Definitive solutions won´t come from another million observational papers or small randomized trials
[5] Limitations of Observational Evidence: Implications for Evidence-Based Dietary Recommendations
[6] Bonner General Anzeiger, „Der Verbraucher versteht das Wort Risiko nicht“
[7] Märkische Allgemeine: Wissenschaft in Potsdam
[8] n-tv.de: „Günstiges Essen ist Wohlstandsindikator“
[9] GEO Wissen Gesunde Ernährung, Nr.1 2016, S.111


Uwe Knop (geb. 1972) ist Diplom-Ernährungswissenschaftler, Buchautor (Ernährungswahn, Hunger & Lust) und Publizist. Als einer der prominentesten Kritiker der Manie um gesunde Ernährung möchte er mit seinen Aufklärungsbüchern für mehr „mündige Essbürger mit eigener Meinung“ sorgen.

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