Eine Frage des MILIEUs

"Ist Homöopathie nur Placebo?"

01.02.2017 - Sven Sommer

Homöopathie ist Placebo-Medizin, ganz bestimmt. Doch ist sie nur Placebo? Anders als in der 5-Minuten-Medizin eignet sich das zeitintensive Patientengespräch in der Homöopathie zunächst hervorragend, zu einer fundierten Diagnose zu kommen. Gerade bei chronischen Beschwerden! Zudem hat sich die homöopathische Anamnese bewährt, bei der psychosomatische Zusammenhänge aufgedeckt werden.

Medizinstatistiken zufolge bedarf die Hälfte derer, die den Allgemeinmediziner aufsuchen, auch der psychologischen Hilfe. Für so etwas besteht im normalen Praxisalltag keine Zeit. Durch diesen Zeitmangel kommt es zwangsläufig zu Fehldiagnosen und Fehlbehandlungen. Der kranke Mensch erhält somit nicht das, was er eigentlich zur Gesundung bräuchte, sondern seine körperlichen und seelischen Beschwerden werden mit Medikamenten nur ruhig gestellt. Kein Wunder, wenn sich Krankheitsprozesse verschleppen und eine dauerhafte Abhängigkeit von Arzt und Arzneimitteln die Folge ist. Hier machen Homöopathen nicht nur aus menschlicher und therapeutischer, sondern auch aus klinischer Sicht gleich beim ersten Patientenkontakt etwas fundamental richtig - was das ganze weitere Verhältnis mit dem Therapeuten prägt und die erste Weiche für eine erfolgreiche Beratung und Behandlung stellt. Diese Beratung, die bei einem guten Homöopathen durchaus auch die Abklärung von klinischen Befunden und die Überweisung zu Fachärzten sowie Tipps zur Diät und Lebensführung beinhaltet, hat einen holistischen Ansatz, der  schon für sich selbst therapeutisch relevant ist. 

 

Weiterhin bietet die Homöopathie eine Art Psychotherapie, die mittels ihrer Globuli einen cleveren Feedback-Mechanismus in Gang setzt. Homöopathen sind aufs Zuhören geschult. Da der Patient endlich einmal seine Geschichte im Detail erzählen darf und ihm im Laufe dieses Gesprächs oftmals psychosomatische Zusammenhänge bewusst werden, fühlt er sich in aller Regel schon am Ende der ersten Konsultation gut aufgehoben und ein wenig besser. Obendrein bekommt er drei kleine Zuckerkügelchen. In denen mag nun im Einzelfall oder ganz generell nichts Wirksames sein, aber das bisschen Süße in den Globuli, die zudem an Zauberperlen aus der Kindheit erinnern, führt dazu, dass es ihm gleich ein wenig besser geht. Und jedes Mal, wenn er zu Hause wieder die Kügelchen nimmt, fühlt er sich an den netten Therapeuten, die lange Konsultation und die psychosomatischen Zusammenhänge erinnert. Kein Wunder also, wenn sich so sein Zustand Tag für Tag bessert. Das ist dermaßen effektiv, dass selbst Skeptiker von einem „Superplacebo“ sprechen. Meinen sie damit ein Medikament ohne chemischen Inhaltsstoff, das besser wirkt als Placebo? Anders würden Homöopathen allerdings ihre Hochpotenzen auch nicht beschreiben.

 

Die Aussage also, Homöopathie sei nur Placebo, ist somit nicht haltbar, selbst wenn in ihren Mitteln keine aktive Wirksubstanz sein sollte. Das therapeutische Umfeld bietet hier weit mehr als die reine Handreichung von Zuckerkügelchen.

 

Schon dies alleine dürfte den großen Zuspruch erklären, den die Homöopathie erfährt. Sie hat sich nicht nur als die beliebteste Methode der Komplementärmedizin etabliert, sondern zeigte sich auch bei den allermeisten Anwender- oder Kohortenstudien so erfolgreich, dass heute an einer klinischen Wirksamkeit nicht mehr gezweifelt werden kann.

 

Ich persönlich meine jedoch, dass noch weit mehr in der Homöopathie steckt. Anders als bei der Wirksamkeit der Heilmethode, die wissenschaftlich als klar belegt gilt, fehlt zur Wirksamkeit ihrer Mittel der endgültige Beweis. Zwar existieren Doppelblindstudien, die das zeigen wollen, diese genügen aber meist nicht den qualitativen Ansprüchen der evidenzbasierten Medizin von heute. Allerdings spricht nur die am häufigsten zitierte „große“ Metaanalyse von Shang et al. den Homöopathika eine Wirkung über Placebo vollkommen ab. Drei weitere umfassende Metaanalysen enthalten sich eines solch eindeutigen Urteils. Eine abschließende objektive Aussage über die Effektivität der Globuli steht m.E. aus. Das liegt teils an methodischen Mängel, da die Studien nicht nur wissenschaftlichen, sondern auch den spezifischen Anforderungen der homöopathischen Individualtherapie gerecht werden müssen, teils an Fehlern, die durch die analoge Arbeitsweise der Homöopathie bedingt sind, teils in dem fundamentalistisch geführten Gerangel von Gegnern wie Befürwortern. 

 

Gerne wird behauptet, die Wirksamkeit der Mittel sei nicht plausibel. Zumindest bei den homöopathischen Tiefpotenzen, bei denen noch chemische Restmoleküle vorhanden sind, möchte ich dem vehement widersprechen. Wir wissen heute, wie empfindlich biologische Systeme auf hohe bis höchste Verdünnungen reagieren. Haifische riechen Blut in einer Verdünnung bis zur homöopathischen Potenz D6, der Aal riecht gar bis zur D18 und Schmetterlingsmännchen reagieren auf das Pheromon eines lockenden Weibchens auf 20km Entfernung oder bis zur D23. Voraussetzung ist dabei jedoch immer eine gewisse Sensibilisierung. Pathologisch kennen wir ähnliches von Allergien.

 

Auch die hohen Verdünnungen in der Homöopathie können und werden nur dann etwas bewirken, wenn der Organismus auf den Wirkstoff sensibilisiert ist. Homöopathen meinen dies durch ihre Arzneimittelprüfungen herausgefunden zu haben, bei denen gesunden Testpersonen so lange eine Substanz gegeben wird, bis sich Symptome zeigen. Findet nun der Homöopath bei einem kranken Menschen eine ganz ähnliche Symptomatik, gibt er ihm diesen Wirkstoff verdünnt (analoges System und Ähnlichkeitsprinzip der Homöopathie). Übrigens verwendet auch die etablierte Medizin dieses Prinzip bei Desensibilisierungsverfahren und Impfungen. Dass Substanzen somit in Potenzen bis zur D23 Wirkung zeigen können, lässt sich heutzutage nicht mehr von der Hand weisen.

 

Übrig bleiben die Hochpotenzen. Ab der D24 ist chemisch nichts mehr, was noch wirken könnte. Sind sie aber wirklich nur Placebos oder rüttelt die Homöopathie mit ihnen am Paradigma der etablierten Medizinwissenschaft? Denn für wie wahrscheinlich halten Sie es, dass die Homöopathie bei den Tiefpotenzen erfolgreich auf chemisch erklärbarer Basis arbeiten dürfte, bei den Hochpotenzen dann nur noch mit dem Placebo-Effekt? Möglich ist das, sicher, aber wahrscheinlich?

 

Ich meine, an (in) den Hochpotenzen ist mehr dran (drin). Doch das ist bis dato nur das Glaubensbekenntnis eines kleinen Homöopathen.

 

Fakt bleibt: Homöopathie ist weit mehr als nur Placebo!

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