Kurzgeschichte

Kopftuch - Ein kleiner Stein im Mosaik

01.06.2015 - Nadia Chaudhry

Ich schlendere durch die Straßen meiner schönen Heimat und fühle mich gut. Wie an so vielen Tagen. Ich fühle mich wohl. Jawohl. Deutschland ist ein Land, in dem ich mich sehr wohlfühle, im Vergleich zu vielen anderen Ländern, die ich bisher bereist habe.

 

Doch was dieses „Dazugehören“ angeht, wie war das Wort noch? Ja, ich meine dieses assimilierte, klar ansehbare: „Die ist Deutsche!“ Das war bei mir noch nie der Fall gewesen, was ich auch nie bedauert habe. Ich finde es sogar schön und bereichernd aus verschiedenen Kulturen abzustammen. Doch weder in meinem „Vaterland“ Pakistan, noch in meinem „Mutterland“ Polen, in keinem dieser Länder sehe ich auch nur annähernd einheimisch aus.  Warum das so ist?
Ich selbst fühle mich deutsch, doch biologisch betrachtet sind es die unterschiedlichen Gene, die mich wohl nicht deutsch aussehen lassen. Das wäre eventuell noch eine Bereicherung, wäre da nicht das Kopftuch...
Das erklärt sicherlich auch diesen optischen „Dazugehörigkeitskonflikt“ dem ich ausgesetzt bin.

Von daher verstehe ich, warum mich Menschen darauf ansprechen und fragen, woher ich komme. Denn hier geboren sein, bedeutet nicht gleich auch deutsch auszusehen und das Kopftuch verwirrt noch mehr. Und nach einigen Minuten des Wortwechsels kommt sie, wie immer: die Frage nach dem Kopftuch.

Ich bin es nicht leid diese Frage zu beantworten. Ich freue mich über das Interesse und fühle mich sogar verpflichtet Rede und Antwort zu stehen. Genau so sollte doch eine offene und integrierte Muslima sein oder?

Doch warum in aller Welt muss ich mich dafür rechtfertigen? Damit meine ich nicht, meinen Gegenüber, aus höflichen Interesse heraus zu informieren, sondern rechtfertigen in dem Sinne, dass ich mich verteidigen oder fast schon entschuldigen muss.

Auch wenn es zu einem festen Bestandteil meines Lebens geworden ist, warum muss das Kopftuch immer als erstes erklärt oder ich hab das Gefühl fast schon „entschärft“ werden, bevor ein Gespräch zu einem anderen Thema überhaupt möglich ist?

Nehmen wir doch mal das Beispiel einer Frau, die sich gerne in freizügigen Kleidern präsentiert. Das wird wahrscheinlich als ästhetisch empfunden und manch einer denkt sich „Die zeigt wenigstens was sie hat“. Doch keiner würde sie als „Unterworfene“ bezeichnen, geschweige denn dies als sexistische Versklavung anprangern. Die Provokation ihrer Kleidung wird nicht als Anlass genommen sie zu fragen, was nun die Absicht dahinter sei. Sie hat sich eben dafür entschieden.
Jede wie sie mag. Klar.

Aber das Mädchen mit dem Kopftuch? Hat sie sich möglicherweise freiwillig dafür entschieden? Nein! Das kann in unserer aufgeklärten, modernen Gesellschaft nicht sein. Das hat doch nichts mehr mit common sense. Klarer Realitätsverlust...
Oft wird gesagt, die bösen Medien sind an dem ganzen„unterdrückten Frauenbild“ einer Muslima schuld. Es wird alles verzerrt und überspitzt dargestellt. Und da sind wir die doppelten Opfer. Ich stimme zwar zu, dass die Medien Mitschuld tragen, das negative Bild des Islam in die Köpfen unserer Mitbürger gebracht zu haben, doch was ist wirklich der Grund der Ablehnung?
Ich möchte es nicht unbedingt als generelle Ablehnung bezeichnen, denn ich kenne Menschen, die es tolerieren und die eine „Wenn du's  gerne und aus Überzeugung machst, dann find ich's echt gut!“- Einstellung vertreten.

Toleranz und Akzeptanz sind jedoch ganz unterschiedliche Haltungen.
Meiner Meinung nach kann Toleranz mittlerweile durch das Wort „dulden“ ersetzt werden, was nicht gerade positive Gefühle in einem Menschen auslöst. Man kann eben damit leben.

Dagegen bedeutet für mich akzeptieren, etwas als einen Teil anzusehen, als etwas ganz Selbstverständliches.
Erinnern wir uns: Noch bis Mitte des 20. Jahrhunderts war eine Kopfbedeckung bei Frauen nichts Ungewöhnliches. Sei es nur als Wetterschutz oder als vorgeschriebene Arbeitskleidung. Es mögen verschiedene Gründe gewesen sein, doch es war gesellschaftliche Normalität.

Aber das waren die alten Zeiten. Die passen ja gar nicht mehr in unser heutiges Weltbild, nicht wahr?
Heute plädieren wir für grenzenlose Freiheit. Unsere Norm ist das selbstbestimmte, unabhängige Individuum, das tun und lassen darf, was es möchte, weil es aus dem Garn der Freiheit gestrickt ist.

Doch mein Verständnis ist da ein ganz anderes. Freiheit ist für mich immer mit Grenzen verbunden. Schon die Pädagogik weist auf den Grundgedanken hin, dass der Mensch immer auch von seinen Genen und seiner Umwelt abhängig ist. Er kann nur innerhalb dieser Grenzen „frei“ leben. So braucht der Mensch zum Leben immer auch Grenzen, trotz seiner noch so idealen Freiheitsvorstellung.

Daraus folgere ich, dass das Kopftuch seinen Sinn darin erfüllt, gewisse Grenzen einzuhalten. Nämlich die Grenze der Geschlechtertrennung, die im Islam vorgeschrieben ist. Ist diese Geschlechtertrennung als Konzept wirklich so fragwürdig wie immer behauptet wird?

Wenn wir uns die heutige westliche Gesellschaft vergegenwärtigen, sind wir unglaublichen Reizüberflutungen ausgesetzt. Nicht nur in den Einkaufszentren sehen wir immer häufiger riesige Werbeplakate mit Frauen in Unterwäsche und provokanten Blicken. Nicht einmal neutrale Plätze, wie Bushaltestellen sind davor sicher. Die Frau dient der Werbeindustrie oft zu kommerziellen Zwecken. Sex sells eben. Und gerade diese geschmacklose Reduzierung der Frau auf ihr Äußeres, diese abgestumpfte Betrachtungsweise, die Frau kaum noch mehr als Mensch, sondern nur noch als Objekt zu sieht, das möchte der Islam vermeiden.

Durch das Tragen des Kopftuchs und meinen auch sonst bedeckten Kleidungsstil, zeige ich, dass ich andere nicht auf meine körperlichen Reize aufmerksam machen möchte, sondern primär auf meine Persönlichkeit, das Wesentliche. Und genau das ist doch das Entscheidende: der Charakter eines Menschen.

Abgesehen von diesem positiven Nebeneffekt des Kopftuchs ist mein primäres Ziel, die Liebe Gottes zu erlangen. Es ist ein Symbol für die Liebe zum Schöpfer.
Ich versuche, so wie jede andere Gläubige einer Religion, die Gebote meines Glaubens einzuhalten. Und dabei ist das Kopftuch nur ein kleiner Stein im Mosaik. Ich werde weiterhin aufklären müssen, was die Gründe für mein Kopftuch sind, um falsche Vorstellungen gerade zu rücken. Jedoch sollte sich jeder Gedanken machen, ob es nicht mittlerweile an der Zeit ist, das Kopftuch endlich als Teil einer Muslima zu sehen.

 

 

 

 

 

Foto: © Hernán Piñera

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