Eine Frage des MILIEUs

"Macht Faulsein glücklich?"

15.12.2014 - Prof. Ralf Konersmann

Ob Faulsein glücklich macht? Wohl kaum. Schon mit der Wortwahl ist die Sache entschieden. Faulsein ist eine besondere Form des Nichtstuns – jene nämlich, die kein Verhältnis zur Zeit findet und alles, was das Leben bietet, verstreichen lässt, verdaddelt und verdämmert. Der Faule lebt eine Variante der Gleichgültigkeit, der Gleichgültigkeit vor allem gegen sich selbst.

Das Faulsein ist eine Haltung, der jede Haltung fehlt. Auf einer ganz anderen Ebene ist das „Lob der Faulheit“, das im 19. Jahrhundert aufkam, angesiedelt. Friedrich Schlegels teils spottlustige, teils melancholische Beschwörung dieses „einzig gebliebenen Fragments aus dem Paradies“ muss als Reaktion auf diejenigen verstanden werden, die sich die Gesellschaft nach dem Modell einer straff organisierten Fabrikationsanlage dachten, in der Arbeiter und Bauern auf Geheiß einer Funktionärselite ihre Pflicht tun.


Die geistigen Verbindungen, die damals geknüpft wurden, wirken noch heute nach: Mit der Arbeit und dem Fleiß machten sich die Parteien des Fortschritts die Grundzüge der protestantischen Ethik zu eigen und legten sich die religiöse Praxis der innerweltlichen Bewährung als geschichtlichen Vorschein der irdischen Erlösung zurecht. Nicht anders als Calvin oder Kant bestimmt Marx die Arbeit als „Lebensbedürfnis“, und es ist dieser parteiübergreifende Konsens der unbedingten Tätigkeitsbejahung, den das Lob der Faulheit untergraben will. Die romantische Heroisierung der Dropouts und Taugenichtse probt den geistigen Aufstand gegen das blinde Einvernehmen der Tüchtigen und besinnungslos Strebenden. Der Protest gilt einer Art des Tätigseins, dem jede Zweckbestimmung entglitten und das, beflügelt von der Erwartung des Fortschritts, zur Obsession geworden ist.


Die Faulheit ist also wenig geeignet, die Leute glücklich zu machen, und sie will es auch gar nicht. Das Paradies lässt sich nicht erzwingen, und niemandem fällt es einfach in den Schoß. Aber – und das war die Intuition all derer, die einst die Faulheit priesen – sie könnte provozieren und nachdenklich stimmen. Bei Licht besehen, ist die Faulheit ein Problemdenkmal. Denn mag auch die Leistungslogik der Arbeit inzwischen die Gefühle der Menschen („Trauerarbeit“) und ihre Partnerschaften („Beziehungsarbeit“) erfasst haben, das letzte Wort kann und darf die Arbeit nicht haben.

 

 

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