Eine Frage des MILIEUs

"Macht Politik süchtig?"

15.03.2016 - Prof. Michael Klein

Eine auf den ersten Blick rhetorische Frage. Natürlich macht Politik süchtig, zumindest die meisten Menschen in irgendeiner Weise, wegen des Umgangs mit Macht und den vielen Stressfaktoren. Besser wäre es im Sinne des Gesundheitsschutzes auf Maßnahmen zu fokussieren, die vor persönlicher und gesellschaftlicher Beschädigung durch Suchtprozesse im Politikbetrieb schützen, und zwar die Politikbetreibenden und noch mehr deren Adressaten, das Volk. Letztlich waren auch der 1. und 2. Weltkrieg Folgen der Sucht nach Allmacht und Omnipotenz.

Aber machen wir es eine Nummer kleiner. Der zuletzt „auffällige“ Bundestagsabgeordnete der Grünen, Volker Beck, ist im klassisch-psychiatrischen Sinne wohl nicht suchtkrank. Er ist „einfacher“ Substanzkonsument. Das Thema kommt medial nur wieder mal kurzzeitig nach oben. Die politische Klasse in ihrer Mehrheit tut alles, dass genau dies nicht – oder so selten wie möglich – geschieht. Es ist aber schon lange bekannt, und in den 80er Jahren durch eine Abgeordnete der Grünen im Bundestag auch punktuell enttabuisiert worden, wie viele Menschen in diesem Beruf Suchtprobleme entwickeln. Und gemeint ist damit nicht die Klasse derjenigen, die immer mehr und immer länger Macht ausüben wollen. Das ist das Vordergründige an der Politik. In Hierarchien aufsteigen, eine wichtige Position einnehmen, real gestalten und Macht ausüben, all das übt bekanntermaßen auf Menschen –Männer wie Frauen – einen Kick aus und kann süchtig machen. Süchtig heißt dann: Immer mehr davon, nicht aufhören können, Angst vor Bedeutungsverlust, psychischer Entzug, wenn sich etwas ändert. Diese Art des Entzuges mag schwerwiegend und im Einzelfall existenziell („Fall Barschel“) sein, sie kann aber am Ende auch positiv zu mehr Gesundheit und tieferer Selbstreflexion führen. Dass der Machtbetrieb süchtig macht, liegt voll auf der Linie unseres „Primatengehirns“. Alles, was für Lust- und Glücksgefühle sorgt, wird gerne wiederholt und kann exzessive Gewohnheiten auslösen. Hier greift dann die hohe Kunst der Kontrolle, in der heutigen Psychologie als Selbstregulation. Kontrolle ist immer ein komplexer Balanceakt aus Lust und Versagung.

Es gibt jedoch noch eine zweite Ebene im Politikberuf, die mit Sucht zu tun hat. Diese ist profaner, aber auch tabuisierter als die zuvor beschriebene Symptomatik. Sie hängt mit dem Stress, der Routine, den Rollenstereotypen, den vielen Abwertungen und Kränkungen zusammen. Der Politikerberuf ist ein klassischer Stressberuf und wie alle Stressberufe (chronische Überforderung) sucht der Organismus nach einem Weg, den Stress zu bewältigen. Allzu oft sind die klassischen, biologisch vorgeprägten Reaktionsmuster (Angriff und Flucht) nicht möglich. So sucht der chronisch gestresste Organismus nach Alternativen. Die über allen Fraktionen und Parteien schwebende  Selbsthilfegruppe – vielleicht beim Italiener oder Inder um die Ecke in Berlin Mitte – mag es schon mal sein. Aber viel häufiger sind es die anfangs kleinen, später immer größer werdenden Fluchten aus der Realität mit Substanzkonsum. Eskapismus, Stressreduktion, Selbstmedikation von Einsamkeitsgefühlen, Schlafproblemen und anderen psychischen Dysfunktionalitäten sind sicher die häufigsten Motive, die im Verborgenen blühen. Der britische Drogenforscher Sir David Nutt schrieb schon 2012 im Guardian einen Beitrag, der die Öffentlichkeit wachrütteln sollte. Der Tenor des Beitrags lautete: Der Antrieb zum Drogenkonsum ist die Suche  nach Vergnügen und Lust und nicht Abhängigkeit. Die Lernaufgabe heißt Kontrolle und Regulation. Die gesellschaftliche und vor allem medizinisch-psychologische Aufgabe besteht in der Verhinderung oder Reduktion von Schaden beim Drogenkonsum.

Dass also Politiker heutzutage zu den sogenannten Risikoberufen für Suchterkrankungen gehören, ähnlich wie Ärzte, Piloten und Journalisten, aber auch Wirte, Kellner und Krankenpflegekräfte, ist weder neu noch originell. Einzig die Tabuisierung des Tatbestands ist im Politikbereich besonders stark und auffällig. Politiker sind im realen Leben nicht Vorbilder, sondern Spiegelbilder der jeweiligen Bezugsgesellschaften.

Um noch eine Ebene tiefer in die Problematik „Substanzkonsum, Sucht und Politik“ einzusteigen, lohnt eine Betrachtung des Politikbetriebs an der Stelle der Entscheidungsbildung. Auffällig ist hier die nachlässige Haltung gegenüber den legalen Drogen wie Alkohol und Tabak und die bisweilen übermäßig irrationale Schärfe gegenüber illegalen Substanzen wie Cannabis. Auf der einen Seite ist Alkohol im internationalen Vergleich in Deutschland skandalös preiswert, die letzte Steuererhöhung ist vor 30 Jahren geschehen, Werbeverbote oder –einschränkungen sind kaum vorhanden. Die Veränderungen in der Raucherschutzgesetzgebung wären ohne den Druck der EU-Kommission undenkbar gewesen. Die deutsche Regierung hatte noch bis zuletzt gegen Einschränkungen der Werbeeinschränkungen für Zigaretten geklagt. Auf der anderen Seite beruhen viele Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes auf dem Hintergrund der Handelseinschränkungen und –verbote für Heroin und Kokain in der Folge der Versuche der Siegermächte des 1. Weltkrieges die entsprechenden Patente Deutschlands zu brechen. Das BtmG gehört nicht zu den Gesundheitsgesetzen, sondern zu den Handelsgesetzen. Wir sind also weit von einer zu fordernden rationalen, gesundheitsfördernden Drogengesetzgebung entfernt. Und dass die Drogenpolitik als Teil der Gesundheitspolitik so vergleichsweise irrational ist, liegt nicht an gelegentlichen Räuschen einzelner Politiker, sondern an der Dauerintoxikation vieler. Dies ist dann Sucht. Und dann wird es schwierig bis unmöglich, zum Wohle des Volkes zu handeln.

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