Rapper im Interview

Nico Suave: "Unsere Gesellschaft verstumpft immer mehr"

15.03.2015 - Tahir Chaudhry

Er macht Musik mit dem Anspruch der Zeitlosigkeit. Die 2000er Rap Generation feiert ihn noch heute für seinen Hit "Vergesslich". Mit viel Zeit, Liebe und Inspiration schraubte Nico Suave mit seinem Team an dem kürzlich erschienen Album "Unvergesslich". DAS MILIEU sprach mit dem Rapper über den aktuellen Zustand der Rapbranche, die ursprünglichen Werte des HipHop und Kollegen wie Bushido, Haftbefehl oder Cro.

DAS MILIEU: Bitte vervollständige den Satz - Ein Rapper, der das rappt, was andere hören wollen, ist…
 
Suave: nicht authentisch!
 
DAS MILIEU: In deinen Raps werden keine Mütter beleidigt und du beschimpfst niemanden. Kannst du es verstehen, wenn dich Jugendliche gemäß heutigen Maßstäben nicht als Rapper ansehen?
 
Suave: Wie lauten denn die Maßstäbe? Jeder, der zu meinen Konzerten kommt und meine Alben hört, wird schnell vom Gegenteil überzeugt. Darüberhinaus war es nicht meine Absicht mit "Unvergesslich" die Kids von mir zu überzeugen. Also ist das kein Problem für mich.
 
DAS MILIEU: Auf der Hauptseite unseres Magazins steht ein Leitgedanke unserer Philosophie "Wer sich mit dem Zeitgeist verheiratet, der wird ganz schnell Witwer“. Was bestärkt dich im Widerstand gegen die Macht des Zeitgeistes?
 

Suave: Für mich, aus musikalischer Hinsicht, war es wichtig ein zeitloses Album zu produzieren. Eine Scheibe, die auch in 20 Jahren noch gehört wird, ohne sie an ein bestimmtes Jahr festmachen zu können. Ich mag den aktuell angesagten Sound, aber mag es nur bedingt zeitgemäße Mucke zu machen. Ich will zukunftsorientiert denken, oder das ist zeitlose Musik für mich.
 
DAS MILIEU: Würdest du mir zustimmen, dass der ursprüngliche Hip-Hop viel gehaltvoller war, als wir ihn heute erleben?
 
Suave: Schwer zu sagen. Ich glaube, dass vieles was man mitbekommt genau den Zeitgeist trifft und die Gesellschaft verstumpft leider immer mehr. Die Menschen brauchen leichte Kost, weil nachdenken auch anstrengend ist (lacht). Es gibt seeehr viel gute Musik in der heutigen Zeit, nur ist die Masse an Musik so gewaltig, dass man etwas länger suchen muss.


Natürlich gibt es auch einige Rapper, die begriffen haben, wie leicht Menschen zu manipulieren und täuschen sind. Viele Blender laufen da draußen herum und machen viel Geld mit "ihrer" Story. Ich meine, am Ende des Tages befinden wir uns in der Entertainment-Branche und es geht um Unterhaltung, deshalb kann ich nachvollziehen, warum Kids sich davon blenden lassen. Früher ging es immer darum real zu sein und heute nur noch begrenzt.
 
DAS MILIEU: Früher fand Hip Hop hauptsächlich in der Musik statt, die dann einen ganzen Lebensstil inspirierte. Heute gibt es aber Rapper, die selbst ganze Marken sind und versuchen jeden Bereich des Lebens von Entertainment über Mode bis Fitness abzudecken. Siehst du das kritisch?
 
Suave: Nicht wirklich, weil im Endeffekt ist es ja auch unser Geschäft und wenn es jemand schafft über das Musikding hinaus seinen Namen zu einer Marke zu machen, dann hab ich Respekt davor. Ich meine, in Amerika gibt es jede Menge große Rapper, die das gemacht haben z.B. Dr Dre mit seinen Kopfhörern.
 
DAS MILIEU: Du selbst warst schon immer ein Rapper, dessen Musik seine Lebensrealität wiederspiegelt. Natürlich machen auch Samy Deluxe, Prinz Pi, Casper, Marteria oder Curse Rap-Musik dieser Art, aber es ist zu beobachten, dass der Image- und Battlerap derzeit einen regelrechten Boom erlebt. Was würdest du Rappern entgegnen, die deine Art von Rap aufgrund der fehlenden „Härte“ als Pop-Musik abstempeln?
 
Suave: Gar nichts (lacht). Meine Platte ist Pop! Genauso wie sie Rap ist. Das eine schließt das andere ja nicht aus. Materia, Casper, Cro uvm. machen Pop-Musik. Ich find das nicht wild, solange man sich selbst treu bleibt und die Betonung liegt auf sich selbst. Viele sagen: er ist sich treu geblieben oder auch nicht, aber was heißt das genau? Solange ich in den Spiegel gucken kann und weiß, dass alles was ich mache zu 100% real ist, kann mir auch keiner was sagen oder vorwerfen.
 
HipHop Kultur bedeutet für mich Freiheit! Das machen und leben zu können, was ich für richtig halte und dass niemand mich davon abbringen kann. Es ist das Zusammenkommen vieler unterschiedlicher Menschen, die alle Fans dieser Musik oder dieses Lifestyles sind. Der Austausch auf verschiedenen Ebenen und vorallem der Respekt voreinander, was im HipHop sehr groß geschrieben wird. Leider begreift das ein Großteil der Leute da draußen nicht. Das ist HipHop für mich.
 
DAS MILIEU: In Bushidos CCN3 werden nicht nur Rapper, sondern auch reihenweise Personen des öffentlichen Lebens gedisst. Was sagst du, cool oder eher uncool?
 
Suave: Ich hab das Album nicht gehört, aber generell ist es mir egal! Soll er machen und auch die möglichen Konsequenzen tragen. Wir sind alle keine 20 mehr und zum Teil Familienväter, ab diesem Zeitpunkt übernimmst du Verantwortung für ein Baby, was sich irgendwann auch Lyrics von dir anhört und ich hätte keinen Bock drauf, dass meine Tochter sich für mich schämt, weil ich grundlos verbal um mich geschossen habe. Battlen und sich gegenseitig dissen ist elementar im HipHop und steht auch für die Kultur und solange es Niveau hat: Kool, aber stumpf jemanden als „Hurensohn“ zu betiteln…zzz...das machen Kids auf'm Schulhof. Insofern bin ich da raus (lacht).
 
DAS MILIEU: Einem Rapper wie Haftbefehl wird eine Glorifizierung von Hass und Gewalt vorgeworfen. Haftbefehl selbst vergleicht es oft mit Hollywoodfilmen, die ebenfalls diese Themen behandeln würden. Was hältst du von diesem Vergleich?
 
Suave: Wie gesagt, ich glaube, dass man relativ schnell Kids klarmachen kann, dass Schauspieler in Filmen eine Rolle übernehmen. Rapper hingegen verkörpern etwas anderes und sind Vorbilder, Idole und das kann in meinen Augen gefährlich sein. Man kann es tun, muss es aber nicht.
 
DAS MILIEU: Mehr als 10 Jahre nach deinem ersten Hit „Vergesslich“ bist du mit deinem neuen Album „Unvergesslich“ wieder zurück im Rapgame. Welches Statement wolltest du damit setzen?
 
Suave: Gute Musik.
 
DAS MILIEU: Was unterscheidet den Nico Suave von vor 10 Jahren von dem heutigen Nico Suave?

Suave: In erster Linie das Leben und gewisse Erlebnisse haben mich geprägt. Ich bin Vater geworden, hab die Verantwortung für einen kleinen Jungen übernommen, war viele Jahre und bin immer noch für's Goethe Institut unterwegs und gebe Rap-Workshops für Kids und Studenten in allen Ländern. Ich hab mich der Musikwelt geöffnet und hab die Scheuklappen abgelegt. Es sind unzählige Dinge, die mich verändert und geprägt haben. Dafür bin ich dankbar.
 
DAS MILIEU: Wie du bereits erwähnt hast, bist du 2009 im Auftrag des Goethe-Instituts durch die Welt gereist, um Workshops für Schüler zu geben. Welche Erfahrungen hast du gemacht?
 
Suave: In vielen Ländern haben die Kids nix! Die Schulen sind mies ausgestattet und die Menschen sind extrem dankbar dafür, wenn jemand wie ich oder Roger Rekless vorbei kommt. Ich glaube, dass der große Unterschied der ist, dass wir hier in Deutschland vieles als selbstverständlich nehmen und man sollte lieber mal einen Schritt weitergehen und schauen, was in anderen Ländern geht. Das hört sich erstmal lehrermäßig an, aber ich hab diese Erfahrung gemacht und kann es nur so weitergeben, wenn du mich so fragst.
 
DAS MILIEU: Was möchtest du zum Abschluss an junge Künstler und allgemein an unsere Leser weitergeben wollen?
 
Suave: An junge Künstler? Lest Verträge oder nehmt euch einen Anwalt (lacht). Bleibt bei euch und lasst euch nicht von anderen verwirren oder auf den falschen Weg bringen. Solange man selbst fühlt, was man macht und auch tut, kann es nur richtig sein. An eure Leser? Hört mal in mein neues Album "Unvergesslich" rein!

 

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Nico!

 

 

 

Nico Suave: "Unvergesslich" (Audio CD), 14,99 Euro.

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