Rezension

On Building Peace

01.01.2018 - Dr. Burkhard Luber

“Das ist kein akademisches Buch” (Seite 275). Michael von der Schulenburg navigiert durch das Thema Peace Building, indem er zwei empirische Horizonte: die wissenschaftliche Diskussion und seine persönlichen Erfahrungen, und drei thematische Dimensionen: Das Problem der sog. “failed states”, die Bürgerkriege und die Reform der UN miteinander verbinden will. Nicht immer gelingt ihm das, weil er sich bisweilen nicht entscheiden mag, ob ihm seine langjährigen internationalen Erfahrungen als UN-Mitarbeiter oder der thematische Umgang mit den o.a. Problemen wichtiger sein sollen.

Das Problem der gescheiterten bzw. scheiternden Staaten und die Prominenz der sogenannten “Neuen Kriege” beherrscht die politikwissenschaftliche Debatte schon seit längerem. Hier kann der Autor keine wesentlich neuen Erkenntnisse liefern, wohl aber mit seiner Auflistung auf den Seiten 151 bis 154, wo v.d.Schulenburg die seiner Ansicht nach wichtigsten Erfordernisse für eine erfolgreiche Nationenbildung aufzählt, die eine nachhaltige Nachkriegsordnung ermöglichen. Diese Kapitel des ersten Buchteils sind, wenn auch nicht neu, wenigstens empirisch und argumentativ überzeugend.

Im zweiten Teil von Schulenburgs Abhandlung: seine Reflexionen über die Konsolidierung der UN-Charta, die von ihm gewünschte Ausweitung des UN-Mandats auf innerstaatliche Konflikte und die Ausweitung des UN-Entscheidungsprozesses in Richtung von Interventionen bei solchen Konflikten, sind die Argumente von Schulenburg weniger stringent. Hier scheinen den Autor mehr seine persönlichen Wünsche (die ihm natürlich unbenommen bleiben sollen) und nicht die tatsächlichen internationalen politischen Gegebenheiten zu leiten, und es unterlaufen Schulenburg auch eine Reihe von Fehleinschätzungen und empirische Ungenauigkeiten. Richtiggehend realitätsblind sind die Ausführungen Schulenburgs dann, wenn er - aus welchen Gründen auch immer - beharrlich seine These vom Abstieg der USA vertritt. Zwar mag es so sein, dass die wirtschaftliche Dominanz der USA im 21. Jahrhundert nicht mehr so eklatant ist als in dem halben Jahrhundert nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, aber ein nur kurzer Blick auf die wirklichen globalen big players wie zum Beispiel Google, Amazon, Facebook, Microsoft zeigt wo die treibenden Kräfte der Globalisierung beheimatet sind, zumindest was den Firmensitz betrifft.

Überhaupt muten verschiedene Interpretations- und Perspektivstränge des Autors so an, als ob er noch in der Wirtschaft des 19. Jahrhundert befangen ist und blind für das jetzige Zeitalter des digitalen Neo-Kapitalismus. Schließlich scheint v.d.Schulenburg auch in der modernen militärischen Diskussion und militärischen hardware-Entwicklung leider auch nicht up to date zu sein. Militärs mögen blind, arrogant oder auch zu selbstbewusst sein, aber dass die Generalitäten in Washington, Moskau und Peking - wie Schulenburg auf den Seiten 214 ff - annimmt, in der Kriegsführungsperspektive des 19. Jahrhunderts stecken geblieben sind, ist naiv und widerspricht sowohl der gegenwärtigen militärischen Debatte als auch der militärtechnologischen Entwicklung. Ein einigermaßen aufmerksamer Blick in Periodika wie Defense One, The D Brief, Politico´s Morning Defense (um hier nur beispielhaft einige zu nennen) oder die neuesten Field Manuals der US-Militärs hätten Schulenburg rasch belehrt, dass die Militärs durchaus nicht rückwärtsgewandt denken und handeln, sondern sich umfassend auf die aktuellen Kriegsbilder (zu denen auch die von Schulenburg thematisierten failed states gehören) konzentrieren und in der militärischen hardware längst die entsprechenden Konsequenzen gezogen haben: Zum Beispiel durch fortlaufende Miniaturisierung des militärischen Arsenals und immer größere Distanzbildung zwischen Abschussort und Zielobjekt, wie es der massiver Einsatz von Drohnen (Stichwort “Fire and Forget”) zeigt. Die Forderung Schulenburgs auf S. 222, dass das Militär nicht mehr den Kalten Krieg des 20. Jahrhundert als Blaupause benutzen sondern sich auf die “Neuen (innerstaatlichen) Kriege” konzentrieren soll, ist also antiquiert. Deshalb ist auch das Verdikt Schulenburg gegen den atomaren overkill allenfalls eine Form des besorgten Pathos, aber das militärstrategische Rationale und die militärtechnologische Entwicklung hat die veränderten innerstaatlichen Kriegsbilder längst im Blick.

Beim deutliche schwächeren Teil des Buches, der Reflexion über Status und wünschenswerte Fortentwicklung des UN-Regimes weist Schulenburg zwar auf das Versagen der UN beim Völkermord in Ruanda hin, warum er aber das ebenso eklatante Versagen der UNPROFOR Truppen beim Genozid in Srebrenica unerwähnt lässt, ist mehr als eine bloße Nachlässigkeit.

Bleibt dann noch die - soll man sagen? - “Glorifizierung” Chinas auf den letzten Seiten von Schulenburgs Buch. Sicherlich hat China nicht dieselbe unrühmliche historische koloniale Vergangenheit wie Spanien und Portugal in Südamerika oder England und Frankreich in Afrika, aber die massive Ausbeutung der afrikanischen Bodenschätze durch China und das Abhängig Machen afrikanischer Staaten durch breit angelegte Infrastrukturmaßnahmen Chinas als humanistisch uneigennützig zu interpretieren, wäre sicher an der politischen Realität vorbei geurteilt. Hier geht es schlicht um massive chinesische Machtinteressen und das in einem globalen Maßstab, so wie es die USA und Russland auch verfolgen.

Wie schon eingangs erwähnt, kann sich der Autor nicht recht entscheiden, ob er eine Auswertung seiner persönlichen Erlebnisse im Dienste der UN schreiben oder sich systematisch auf die Themen failed states, Bürgerkriege und UN-Reform fokussieren will. Ob man das letztere “akademisch” definieren möchte oder nicht, soll hier nicht weiter überlegt werden, aber ein Buch, dass im Rahmen der von Schulenburg behandelten Diskussion solche grundlegenden Monographien wie von Mary Kaldor zu den “Neuen Kriegen”, Peter Wallensteens “Understanding Conflict Resolution” oder Dieter Senghaas “Weltordnung in einer zerklüfteten Welt” nicht behandelt, ja sie sogar nicht einmal erwähnt (keiner dieser Autoren hat es auch mit nur wenigstens einem Titel in Schulenburgs Literaturverzeichnis geschafft!), erreicht leider nicht das Niveau der gegenwärtigen politischen, akademischen und militärischen Debatte.

Nur am Rande aber nicht unerwähnt bleiben sollen einige doch ärgerliche editorische Mängel: Zwar fügt Schulenburg seinem Buch ein Begriffs-Glossar von Begriffen bei, aber eine simple Abkürzung wie zum Beispiel “WMD” wird ohne jegliche Aufschlüsselung verwendet. Außerdem ist unverständlich, wieso ein Sach- und Personenregister fehlt, dass beim heutigen Stand elektronischer Publikationserstellung ohne Problem automatisch hätte generiert werden können. Und: Das Zitat “Brav alter Maulwurf’” stammt weder von Marx noch von Winkler, sondern ist originär aus Shakespeares “Hamlet”.

V.d.Schulenburgs Buch macht uns auf ein wichtiges Thema - die Neuen Kriege und die Probleme einer zunehmenden Zahl von failed states - aufmerksam, das aber nicht neu ist. In seiner Schlussfolgerung fällt er jedoch leider sowohl hinter den aktuellen militärtechnologischen Entwicklungsstand als auch das Niveau der gegenwärtigen politikwissenschaftlichen Debatte zurück. Wer Gewinn aus der Lektüre dieses Buches ziehen will, muss also dementsprechend viel ergänzendes Literaturstudium hinzuziehen.

 


Michael von der Schulenburg: On Building Peace. Rescuing the Nation-state and Saving the United Nations. Amsterdam University Press. 2017. 282 Seiten. 24 Euro

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