Musiker im Interview

Philipp Dittberner: „Eine Tür muss zubleiben, damit sich eine andere öffnen kann“

01.09.2017 - Penelope Moysich & Astrid Knauth

Nach seinem erfolgreichen Debütalbum „2:33“ hat der Berliner Musiker nun die Arbeit an seiner neuen Platte „Jede Nacht“ beendet. DAS MILIEU sprach mit dem Singer und Songwriter Philipp Dittberner über Melancholie, das Studiensystem in Deutschland, das Scheitern, Träumen und die Hoffnung, dass alles im Leben doch irgendwie einen Sinn hat.

DAS MILIEU: Dir ist es wichtig als Person eher in den Hintergrund zu treten. Die Leute sollen über die Musik Identifikation finden und Nähe spüren. Musik wird als Sprache der Gefühle bezeichnet, die Unaussprechliches zu vermitteln und die Tiefen der menschlichen Psyche anzusprechen vermag. Du wolltest einmal Medizin studieren – glaubst du, dass Musik eine „kranke Seele“ heilen kann? Wenn ja, warum?

Philipp Dittberner: Ich glaube, dass Musik generell immer einen heilenden Prozess, aber auch einen begleitenden Prozess haben kann. Ob sie wirklich – ich sage mal – eine „heilende Wirkung“ hat, ist fraglich. Musik hat die Möglichkeit für ganz bestimmte Menschen ein Gefühl hervorzurufen. Wenn man traurig ist, kann man auch mal traurige Musik hören. Das unterstützt das Gefühl, danach geht es einem aber auch besser. Ich glaube, Musik kann immer Wegbegleiter sein und ganz bestimmte Lebenssituationen besser darstellen. Womöglich findet man sich selbst mit Musik und man weiß vor allem, wie es einem wirklich geht.

MILIEU: Deine Musik wird als ehrlich und gefühlvoll, aber auch voller Melancholie beschrieben. Die Dichterin Damaris Wieser sagte einmal: „Warum sehen alle Menschen Melancholie als etwas Schlechtes an? Für mich ist es intensive Zeit, die ich ganz allein mit mir und meiner Seele verbringe.“ Glaubst du, dass der Mensch heutzutage Angst hat, allein zu sein, und sich mit sich selbst auseinander zu setzen? Wenn ja, woran liegt das? 

Dittberner: Wenn ich Musik mache, ist es auch melancholisch. Ich glaube, es gehört einfach zum Leben dazu, dass man in seinem Leben Melancholie zulässt. Wenn man es richtig zulässt und auslebt, kann man das Gefühl der Lebensfreude erst richtig empfinden, weil man als Mensch beide Seiten braucht. Ich habe es vielleicht einfach für mich gefunden, dass ich es in der Musik auslebe. Ich glaube, manche Menschen brauchen die Musik, um diese Melancholie zu empfinden, weil manche vielleicht mehr empfinden als andere und sich das dann da raussaugen. Wie in der Frage formuliert, finde ich es nichts Schlechtes, sondern eher etwas Positives. 

MILIEU: Dein neues Album „Jede Nacht“ enthält Songs voller Sehnsucht, trotzdem drückt sich immer wieder Hoffnung auf die Zukunft aus. Schon Ovid sagte: „Hoffen und Harren macht manchen zum Narren.“ Gerade im Anbetracht der heutigen Zeit – Kriege, Auseinandersetzungen, zunehmender Egoismus, …um nur einige zu nennen – blickt der Mensch skeptisch und zum Teil voller Angst in die Zukunft. Beantworte in diesem Zusammenhang bitte folgenden Satz: „Meiner Meinung nach sollte man nie die Hoffnung verlieren, weil…“

Dittberner: …weil – ich finde es immer sehr schön, wenn man dieses Bild vor Augen hat – am nächsten Tag die Sonne sowieso wieder aufgeht. Wenn man das jetzt aufs Leben bezieht, gehören dunkle und helle Seiten immer wieder dazu. Und es wird immer wieder so kommen. Man sollte einfach darauf vertrauen, dass es weitergeht. 

MILIEU: Da wir gerade von Sehnsucht sprachen…wonach sehnst du dich?

Dittberner: Man sehnt sich nach vielen Dingen. Ich habe jetzt nichts im Speziellen, wohin mich die Sehnsucht treibt. Als Künstler, wenn man Musik schreibt, sucht man immer irgendwas, was man nicht finden kann, um dann darüber Musik zu machen, zu schreiben oder zu malen… Ich sehne mich - bei egal was im Leben -, dass man irgendwann ein Stück weit sagen kann, dass man angekommen ist. Heutzutage habe ich das Gefühl, dass man immer irgendwie auf der Suche nach etwas ist, was man gar nicht so richtig definieren kann. Wenn man dann irgendwann – vielleicht in zehn Jahren – sagen kann, jetzt bin ich angekommen, dann ist die Sehnsucht erfüllt. 

MILIEU: Und was ist das für dich?

Dittberner: Das weiß ich jetzt noch nicht – das kann alles sein. Das kann weiterhin die Suche sein, das kann Haus, Kind, Hund sein – das weiß man ja alles nicht. Aber dass man das irgendwann findet, das ist wichtig im Leben.

MILIEU: Einer meiner Lieblingssongs von dir ist „Das ist dein Leben“. Ein Satz darin heißt: „Und du wirst es nie verstehen“ – Glaubst du, dass man zu viel Zeit damit verbringt, zu verstehen und zu hinterfragen, anstatt das Leben einfach zu akzeptieren, wie es ist, gerade weil man manche Dinge nicht ändern kann? Wenn ja, wie kann man das ändern und auch die kleinen Freuden im Leben wieder genießen?  

Dittberner: Dass man Sachen im Leben nicht verstehen kann, das gehört dazu. Ob man sie nun akzeptiert oder nicht, ändert an dem Punkt nichts, dass man sie nicht versteht. Das ist einfach so. Ich glaube, manche Sachen muss man auch gar nicht verstehen und es ist gut, nicht die ganze Zeit darauf zu pochen, diese zu hinterfragen, sondern sie dann einfach passieren zu lassen. Letztendlich kommt es immer auf die einzelne Person drauf an, ob man die kleinen Dinge genießen kann. Manche Menschen können das nicht. Das ist schon schade, denn diese Kleinigkeiten machen ja den Genuss des Lebens erst möglich. Ich weiß es nicht, es ist einfach von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Ich habe da meine Strategien, ein anderer hat da andere. 

MILIEU: Du wolltest immer Medizin studieren, hast sogar eine Physiotherapeutenausbildung gemacht, um diesen Wunsch/Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Trotzdem ist er nicht in Erfüllung gegangen. Hast du vor, das noch einmal anzugehen?

Dittberner: Ich weiß es nicht…momentan läuft es mit der Musik ja ganz gut. Es war einfach ein Plan. Von Natur aus bin ich eigentlich Realist. Hätte mir damals während meiner Physiotherapeutenausbildung jemand meinen Lebensweg erzählt, hätte ich gesagt, das ist eine Utopievorstellung. Es wird definitiv nicht in Erfüllung gehen. Dann ist es einfach passiert. Das hat mich im Leben gelehrt, dass man manche Sachen im Leben einfach nicht vorhersehen kann. Wer weiß, was ich in fünf Jahren mache. Ob ich dann Musik studiere oder weiterhin Musik mache – vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Momentan fühlt es sich sehr gut an und macht Spaß. Dann wird man irgendwann sehen, wie es sich weiterentwickelt. Dadurch, dass sich das Leben aber so willkürlich entwickelt hat, habe ich mir vorgenommen, gar nicht mehr so viel zu planen, sondern einfach das zu machen, worauf man Lust hat. 

MILIEU: Werden in Deutschland zu viele Träume durch hohe Numerus Clausus  oder Kosten, die viele nicht aufbringen können, zunichte gemacht? Hättest du eine Idee, wie man das ändern könnte, um das System „gerechter“ zu machen?

Dittberner:  Das grundlegende Problem an dem Medizinstudium, was ich festgestellt habe, ist, wie man in Deutschland dazu kommt. Du gehst auf eine Internetseite, gibst da deine Daten rein, dann wird es irgendwo durch irgendeine Maschine gefiltert und wenn du dann ganz bestimmte Punkte nicht erfüllst, bist du schon mal raus. In gewisser Weise kann ich es verstehen, weil wir hier eine Leistungsgesellschaft haben. Die Leute mit einem Abi von 1,0 werden bevorzugt, können schneller studieren. Man erhofft sich, dass sie ein besseres Studium machen, bessere Leistungen bringen, den Laden voranbringen und mehr Geld verdienen. Was man aber bei dem Beruf vergisst, dass man mit einer Leistung im Alter von 16 oder 17 Jahren noch nicht relevant einschätzen kann, was man im Leben will. Und die hormonelle Situation in meinem Gehirn lässt es auch einfach nicht zu, dahin zu denken, ob ich dann später Arzt werden will, oder eben nicht. Das weiß ich zu dem Zeitpunkt einfach noch nicht. Grade dieser Beruf ist natürlich geprägt von einem hohen Fachwissen, aber auch gleichzeitig von einer gewissen Empathie und einer gewissen Menschlichkeit. Die besten Ärzte, die ich in meiner Zeit im Krankenhaus kennengelernt habe, das waren meistens nicht die Leute, die das krasseste Studium gemacht haben. Ich kenn Leute, die da jeden Tag operieren und sagen: „Naja, das Studium habe ich schon ganz gut gemacht, aber der Beste war ich jetzt auch nicht.“ Und das sind meistens die Leute, die Einfühlsamkeit für ihre Patienten haben und trotzdem auch viel Fachwissen, das sie sich über die Jahre aneignen. Und danach wird für mich einfach zu wenig sortiert. Ich glaube, das große Problem ist, dass es eben ziemliche Kosten sind, sich die Bewerbungen wirklich anzuschauen und die Leute einzuladen, um zu gucken, was das eigentlich für Typen sind. Ich denke, es wäre wichtig, das umzustellen. Es sagen ja immer alle, es gibt diesen Ärztemangel aber auf der anderen Seite gibt es tausend Leute, die gerne Arzt werden wollen. Ich kenn so viele Leute, die das Land verlassen mussten, weil sie hier nicht studieren konnten. Die haben dann Kredite aufgenommen, um auf irgendwelchen Privatuniversitäten, z.B..in Budapest zu studieren. Es kann doch nicht sein, dass es hier in unserem Land so eine Planlosigkeit gibt. Andere Leute haben dann das Geld, sich einen Anwalt zu leisten und die Unis dann auf einen Vergleich zu verklagen- Andere warten fünf Jahre oder länger auf einen Platz. Ob das am Ende dann gerecht ist - ich weiß es nicht. Das finde ich wirklich schade, denn es scheint ja nach wie vor ein großes Problem zu sein, aber das ist dann echt die Aufgabe des Staates und der ZVS, sich da ein besseres System zu überlegen. 

Ich hatte mal ein Gespräch bei der Studienberatung vom Arbeitsamt, weil ich mir unsicher war, was ich machen soll. Da saß eine Frau und ich sagte ihr, wie mein Abi war, und was ich vorhabe, und dass ich gerne Medizin studieren würde. Die Antwort drauf war dann folgende: „Dann mach das doch! Also ich kenn auch einen, der hat Medizin studiert und verdient jetzt gutes Geld.“ So, dass war dann meine Studienberatung, die vom Staat finanziert wurde und bei der ich mir so denken, da kann auch irgendwas im System nicht richtig sein. So was ist die Anlaufstelle für junge Menschen - irgendwie Schwachsinn. Es gibt also auf jeden Fall Mängel. 

MILIEU: Viele Menschen und insbesondere viele junge Menschen kennen das Gefühl, Träume zu haben, die sich nicht verwirklichen lassen. Sei es, weil der NC nicht stimmt, die finanziellen Mittel nicht vorhanden sind oder persönliche Gründe dazwischen kommen. Denkst du, dass es eine Art höheren Plan oder so etwas wie Schicksal gibt und unser Werdegang in gewisser Weise vorbestimmt ist? 

Dittberner: Dass alles vorbestimmt ist, glaube ich nicht. Denn dann verliert man sich irgendwann in dieser Ungenauigkeit: „Ich kann mein Leben sowieso nicht beeinflussen, denn es ist ja alles vorbestimmt.“ Ich glaube aber, dass ganz bestimmte Punkte im Leben, andere Dinge beeinflussen und nach sich ziehen. Dass ich mein Studienplatz nicht bekommen hab, dass mich die Privatuniversitäten, für die ich einen Kredit aufgenommen hätte, auch nicht gewollt haben, hat für mich bedeutet, dass eben was Anderes klappen musste. Dass mich genau zu dem Zeitpunkt jemand im Internet aus Hannover anschreibt und fragt, ob ich denn Lust hätte mit ihm Musik zu machen und dann so ein Lied wie „Wolke 4“ entsteht, das ist so absurd, dass man schon irgendwie daran glauben muss, dass die eine Tür zubleibt, damit sich eine andere öffnen kann. Und es war ja sogar so, dass, als wir das im Internet veröffentlicht haben, noch mein Studienplatzverfahren lief. Dann war die Frage, was ich denn eigentlich machen soll. Wir hatten die Plattenverträge von mehreren Firmen auf dem Tisch und ich habe mich gefragt, was ich denn machen soll, wenn ich jetzt doch einen Studienplatz bekomme. Ich bin froh, dass ich damals den Studienplatz nicht bekommen habe, weil das für mich eine furchtbare Situation gewesen wäre, mich zwischen dem Medizinstudium und der Musik entscheiden zu müssen. Die eine Tür ist zu geblieben, die andere ist aufgegangen. Das ist woran ich glaube, dass manche Sachen nicht klappen, damit andere funktionieren können. Deswegen muss man auch Rückschläge hinnehmen. Anders geht es im Leben gar nicht. Wenn natürlich alles immer doof läuft, kann man zwar nicht sagen: „Ist halt so. Ist ja alles vorbestimmt.“ Man muss natürlich immer sein eigener Herr bleiben und sich sagen, dass man sein Leben selbst in der Hand hat, aber ein bisschen glaube ich an Vorherbestimmtes. 

MILIEU: Dein neues Album ist vielfältig wie das Leben. Du singst du von Sehnsucht und Schmerz aber auch von Liebe und Hoffnung. Wie war es für dich, nach deinem Erfolg mit 2:33 an dem neuen Album „Jede Nacht“ zu arbeiten?  

Dittberner: Im Prinzip hat sich nicht so wahnsinnig viel verändert. Ich habe einfach versucht, weiterhin Songs zu schreiben, wie ich es vorher auch gemacht hab. Man hat natürlich eine gewisse Soundvorstellung, die man umsetzten will. Zum Beispiel mal mit mehr Streichern in einem großen Raum aufzunehmen, damit das nach Orchester klingt und so etwas. Aber in allem, was ich gemacht habe, was Erfolg oder auch keinen Erfolg hatte, war immer daran gebunden, dass ich versucht habe, mich davon fernzuhalten, mir zu sagen: „Ich schreibe jetzt Hits für irgendwelche Leute.“ oder „Ich muss irgendwas machen, was dem und dem gefällt oder in dieses oder jenes Muster passt.“ Viel besser ist doch, dass man mit „Wolke 4“ ein Muster erschaffen hat, das es vorher noch gar nicht so im Radio gab. Ich habe versucht, mir nicht so einen Druck zu machen. Das ist immer leichter gesagt, als getan, gerade für einen Menschen wie mich, der sich gerne mal viele Gedanken macht, zweifelt und Schiss bekommt, aber auch das gehört irgendwie dazu. Ich habe einfach weitergemacht und weitergeschrieben, so wie ich es immer mache, und versuche mich davon eben fernzuhalten. Das funktioniert in Berlin auch ganz gut. 

MILIEU: Du hattest ja einen enormen Erfolg mit deinem Debutalbum. Hast vor ausverkauften Konzerten gespielt mit einem Chor aus hunderten Fans und auch die erste Single „Jede Nacht“ geht direkt ins Ohr. Wie schaffst du es trotzdem nicht abzuheben? 

Dittberner: Ich glaube, das ist irgendwie in mir drin. Ich habe irgendwie immer eher die Problematik gehabt, dass jeder Erfolg und jedes Gold an der Wand mich eher dazu gebracht haben, zu denken: „Ach du Scheiße, was passiert denn jetzt?“. Das große Problem, dass mich ins Zweifeln oder ins Schwanken bringt, ist, dass ich in der Öffentlichkeit bin und man dadurch das Gefühl hat, dass man mit seiner Musik die ganze Zeit beobachtet wird. Und je mehr Erfolg man hat, desto mehr fragt man sich, ob man jetzt anders sein muss. Aber im Prinzip muss man das ja gar nicht. Es kommt darauf an, zu sagen: „Das ist mir jetzt egal. Ich mach einfach so weiter wie bisher.“ Jeder Höhepunkt bringt mich eigentlich immer eher dazu nachzudenken, statt mich nach der Tour auf eine Couch zu setzten und mir selbst zu sagen, wie gut ich bin. Ich glaube, das hat man entweder in sich drin oder eben nicht. Manche machen das vielleicht auch showmäßig und spielen sich daher auf. Aber für mich passt das überhaupt nicht und das würde auch jeder merken.  

MILIEU: Gibt es ein Lied auf der neuen Platte, das dir besonders am Herzen liegt oder auf das du besonders stolz bist und wenn ja, welches ist es und warum? 

Dittberner: Also die neue Platte hat natürlich viele unterschiedliche Lieder. Die sind mitten aus dem Leben gegriffen. Ein wichtiges Thema bei Leuten, die über Melancholie schreiben, ist immer die Liebe und der Verlust. Ich habe beispielweise über ein Thema geschrieben, das mich sehr berührt. Das Lied heißt „Winter“ und es geht um eine Person, der es in einer Zeit sehr, sehr schlecht geht, in der ich nicht da sein konnte. Diese Person ist schwer krank, schafft es aber trotzdem irgendwie. Das war mir ganz wichtig, das in diesem Lied zu schreiben und da bin ich auch ganz froh, dass das so geklappt hat. 

MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Philipp!

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