Gesellschaft

Pluralismus ohne Vielfalt?

15.12.2014 - Goran Vidovic

Seit der verstärkten Zuwanderung in unser Land, die nicht zuletzt auf Krisenherde und kriegerische Auseinandersetzungen im Nahen Osten und einigen Teilen Zentralafrikas zurückzuführen ist, verstärkt sich wieder einmal die Diskussion um Spracherwerb und Integrationsfähigkeit. Selbsternannte Integrationspropheten übertreffen sich mit origineller Ideenvielfalt. Aus meiner persönlichenSituation heraus erscheint mir ein Beispiel … sagen wir mal … besonders innovativ.

Danke CSU! Die kleine Schwester der Union auf einer neuen stimmungsmachenden Mission unterwegs. Dieses Mal dreht sich ihr Sermon um die deutsche Sprache. Vertreter der Partei betrachten es als ein Hindernis beim Erwerb der deutschen Sprache einer anderen Sprache im familiären Leben Gebrauch zu machen. Partei-Chef Horst Seehofer versuchte zwar zwischenzeitig zu intervenieren und sagte am 12. Dezember für die ZEIT ONLINE, dass „in dem Entwurf für den Parteitag ursprünglich stand, dass Zuwanderer dazu angehalten werden sollten, im öffentlichen Raum und in der Familie deutsch zu sprechen“, doch bleibt die Kernbotschaft dieselbe: hemmungslose Mehrsprachigkeit ist nicht drin!
 
Persönlich wurde ich nun vollends aufgeklärt: Ich kann nicht mehr integriert werden, weil ich die deutsche Sprache nicht erlernen konnte. Und warum blieb es mir verwehrt? Es blieb mir verwehrt, weil meine frisch nach Deutschland gezogenen Eltern zu sehr mit ihrem Beruf als Fachkräfte und Bezahlen von Steuern beschäftigt waren und damals (!) kein Wort Deutsch sprachen. Leider musste ich also bilingual (ich bitte um Verzeihung, für die CSU: zweisprachig) aufwachsen und muss bis heute unter Mehrsprachigkeit leiden! Aufgrund dieses familiären Defizits wurde mir das deutsche Abitur freundlicherweise geschenkt. Gott sei Dank lernte ich kürzlich einen Leidensgenossen, den in Istanbul geborenen Germanistik-Professor Öndal kennen. Die bei uns beiden bestehenden Mängel in der deutschen Sprache erschwerten zwar unsere Kommunikation, nichtsdestotrotz gelang es uns ein, wenn auch nur oberflächliches Gespräch über die deutsche Sprachgeschichte zu führen.
 
Jetzt mal ernsthaft gesprochen: Wer in unserem Land leben darf, sollte sich wirklich um den Erwerb unserer schönen Sprache bemühen. Die Vorteile liegen auf der Hand.  Aber potentielle Mehrsprachigkeit zu verweigern ist Wissensdiebstahl und kaum in der Gesellschaft durchzuführen. Um solche Verstöße tatsächlich ahnden zu können, müsste ein genauer Einblick in jeden Haushalt möglich sein. Hinzu kommt noch unsere ohnehin reiche kulturelle europäische Vielfalt, die kaum mit derartigen Ideen vereinbar sein dürfte. Vermutlich ist dies nur ein Grund, warum der besagte Vorschlag bislang nur wenig Anklang finden konnte. Derzeit werden auch keine ernsthaften Umsetzungsvorschläge publik gemacht. Insofern: Glück für die schleswig-holsteinischen Dänen und die Niederlausitzer Sorben u.a., die ihre Kultur behalten dürfen! Ich bin sehr froh mit zwei Muttersprachen auf einem höheren Level großgeworden zu sein. Hätten meine Eltern in ihren ersten Jahren in Deutschland ernsthaft versucht mit mir Deutsch zu sprechen, hätte ich mit Gewissheit kein gutes Deutsch zu Hause aus gelernt und hätte die Gelegenheit nicht nutzen können, eine weitere Sprache zu lernen.
 
Im Rahmen der Debatte um Integration und Spracherwerb beschloss die Unionsbeilage einen Aspekt von Pluralismus zu verbannen. Ja, so sieht's aus. Mehrsprachigkeit macht zwar Menschen weltoffener, flexibler und einsatzfähiger, aber "nicht integrierbar" im Sinne von Vollhorst Seehofer und seinen "Heinzelmännchen". Im letzteren Sinne: "Guten Abend"!

 

 

 

 

 

Foto: © Pietro Forti

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