Politik

Russland verdient mehr Respekt!

15.01.2014 - Shayan Ahmed

Nein, dieser Text ist keine Satire. Er mag so erscheinen, da die deutschen Mainstream-Medien tagtäglich feinstes Russland-Bashing abliefern. Russland ist ein Thema, bei dem sich die Mehrheit der Bevölkerung schnell einig ist. Sie zeigt sich geschlossen frustriert im Angesicht der mangelnden Demokratisierung und die Menschenrechtsproblematik. Dabei werden sogar Maßstäbe angesetzt, die der Westen selbst nicht erfüllt. Daher ist es höchste Zeit, für einen angemessenen Umgang mit Russland und einen ehrlichen Versuch, den Riesen im Osten zu verstehen.

Übersehen wir die Bedeutung Russlands?

Die deutsche Öffentlichkeit behandelt Russland so, als würde dieses Land für das Leben im Westen und für die Weltpolitik eine keine bedeutende Rolle spielen. Fakt ist jedoch: Russland ist fast 50 mal so groß wie Deutschland und fast doppelt so groß wie die USA. Damit ist es das größte Land der Welt, das sich über neun Zeitzonen erstreckt; vom äußersten Osten Asiens bis nach Osteuropa, an die  baltischen Staaten, Polen, Finnland, Weißrussland und die  Ukrainegrenzend. Russland  hat durch seinen Reichtum an Rohstoffen eine wichtige Position auf globaler Ebene. Durch seine hohen Erdgasvorkommen ist Russland einer der wichtigsten Versorger Deutschlands und spielt auch für die Energiesicherheit Europas eine wichtige Rolle. 2012 war Deutschland noch mit 8,7 % Anteil am Außenhandelsvolumen Russlands sein drittwichtigster Handelspartner weltweit, wobei verstärkt Rohstoffe, insbesondere Erdöl und Erdgas beziehungsweise metallurgische und petrochemische Erzeugnisse importiert wurden.

Seit Anfang 2013 werben viele russische Regionen - durch Vorgaben der russischen Regierung - aktiv um ausländische Investitionen. Somit kann sich Russland durch die Erschließung neuer Märkte positiv für deutsche Unternehmen entwickeln, so dass Russland als Handelspartner in Zukunft immer wichtiger wird. Russische Spitzenpolitiker betonten bereits mehrfach, dass sie in Deutschland ein Vorbild und einen führenden europäischen Partner sehen. Durch den Besitz des zweitgrößten Waffenarsenals ist Russland nach den USA die größte Weltmacht. Lassen wir für das Erste die ökonomischen Fakten sprechen, dann wird deutlich, welche Stellung Russland innehat und wie viel, insbesondere für Europa, von ihm abhängt.

Ist das „Russische Wunder“ vergessen?

Es scheint gar so, als habe man das „Russische Wunder“ schon vergessen. Durch den Zerfall der Sowjetunion 1990 wurde solch ein Fortschritt erreicht, der als das „Russische Wunder“ bekannt ist. Nach der Auflösung der Sowjetunion verzichteten die Russen stark auf militärische Vorteile, um stattdessen die wirtschaftlichen Bedingungen ihrer Bevölkerung zu verbessern und sich dadurch innenpolitisch zu stabilisieren. Durch dieses Vorgehen haben sie bewusst ihren Einfluss auf die globale Weltpolitik verringert. Diese Bemühungen wurden vom Westen nie ausreichend anerkannt und gewürdigt.

 

Der populäre Boris Jelzin leitete in den Jahren nach 1990 die Umstrukturierung der Staatsmonopolwirtschaft in eine privatere Marktwirtschaft umstrukturiert ein. Außerdem kommt hinzu, dass Jelzin in mitten eines nichtfunktionierenden Finanzsystems den damaligen sowjetischen Rubel in die heutige Form umwandelte hat. Jelzin riskierte ferner durch seine Reformen eine gesellschaftliche und wirtschaftliche Instabilität Russlands, um eine festere politische Position in der Welt zu erlangen. Aus diesen Beobachtungen wird deutlich, dass Russland sich auf der einen Seite aus eigener Kraft aus der alten politischen Fehlstellung befreite und auf der anderen Seite durch Reformen in der Politik und Liberalisierung in der Wirtschaft ein Stück Weltbedeutung zurückerlangte. In der Weltgeschichte werden wir kein einziges Land finden, das wie Russland seine eigenen Ideale und Bedürfnisse opferte und sich ohne jegliche Unterstützung wieder nach oben kämpfte. Dieser Erfolg verdient Respekt.

Putin – Freund oder Feind des Westens?


Im Jahr 2000 übernahm Putin das russische Präsidialamt mit dem Ziel das Land während seiner Amtszeit zu stabilisieren. Einige Beobachter vertreten die Meinung, dass er für die Annäherung Russlands an den Westen sogar einen Friedensnobelpreis verdiene. Immerhin erhielt Obama seinen Nobelpreis als Anstoß für zukünftige Leistungen auf dem Weg des Friedens. Putin versucht, in diesem neuen Russland ein demokratisches System zu etablieren, wird allerdings vom Westen aufgrund der geringen Geschwindigkeit dieser Transformation kritisiert. Was die besagten Kritiker jedoch nicht beachten, ist, dass Demokratie dem Volk nicht von einer Obrigkeit aufgezwungen werden kann, sondern sich aus dem Inneren eines Volkes herausbilden muss und Zeit benötigt. Putin ist bisher das einzige Staatsoberhaupt in der russischen Geschichte, das sich für die Etablierung einer Demokratie eingesetzt hat. Allein die Bereitschaft sollte von uns mehr gewürdigt werden.

Im September 2013 äußerte sich der russische Präsident Putin überraschend in der US-amerikanischen „New York Times“ zur geplanten militärischen Syrien-Intervention der USA. Fest steht, dass diese persönliche Botschaft an die Amerikaner ein einzigartiger Schritt eines russischen Präsidenten für eine friedliche  Lösung eines Konflikts war. In seinem Artikel warnte er das Weiße Haus vor der militärischen Intervention, die eine neue Terrorismuswelle auslösen könnte, die ohnehin komplizierte Beziehung zum Iran verschlechtern und das Konfliktpotenzial im Nahen Osten steigern würde. Es wurde deutlich, dass Putin zudem die Gefahr sieht, dass sich ein Krieg nicht nur auf die Region beschränken würde, sondern zu einem Weltkrieg mit verheerenden Folgen führen würde. Gerade deshalb war Putins Artikel strategisch sehr klug, da dieser dazu führte, dass die Großmächte ihre Ansichten überdachten und sich der diplomatischen Lösung zuwandten. Putin hat somit die gesamte Welt vor einem großen Fehler bewahrt. Er hat sicherlich Schlimmes verhindert, vielleicht sogar den dritten Weltkrieg. 

Nun kam auch noch die überraschende Amnestie gegenüber dem Kremlkritiker Michail Chodorkowski hinzu, die der Westen seit Jahren anstrebte. Damit macht Putin einen weiteren wichtigen Schritt zur Annäherung an den Westen. Dabei wissen jedoch nur wenige hierzulande, dass Chodorkowski kein lupenreiner Demokrat ist, sondern zu den Oligarchen zählt, die sich nie wirklich die Etablierung einer Demokratie in Russland zu ihrem Ziel gemacht haben. Vielen ist ebenso unbekannt, dass der freigelassene Chodorkowski einst Vorsitzender des mittlerweile insolventen Ölkonzern Yukos war, der auf Kosten des Staates und der Bevölkerung mutmaßlich mit Hilfe des organisierten Verbrechens zu seinem Vermögen gelangte. Wladimir Putin war der erste Politiker der sowohl Chodorkowski und seinen Freunden als auch dem organisierten Verbrechen die Stirn bot. Es war Putin, der die Einmischungen stoppte, der die Herkunft ihrer Vermögen nachging und sie festnehmen ließ. Die Straftaten, die ihnen vorgeworfen wurden, wären auch im Westen strafbar gewesen. Aber warum wird dann seine Freilassung bei uns gefeiert? Der Grund hierfür ist offensichtlich: Chodorkowski finanzierte Oppositionsparteien gegen Putin, darunter liberale aber kommunistische Parteien. Seine Gegnerschaft zu Putin steigerte die Sympathie für ihn  im Westen. Schluss für ihn war, als er die für Russland strategisch wichtigen Konzerne Yukos und Sibneft fusionieren wollte, um sie an die amerikanische Firma ExxonMobile (Rockefeller) zu verkaufen. Offenbar kam es daraufhin zu einem Streit zwischen ihm und Putin, den der Westen nun als Kampf Chodorkowskis für die Demokratie einstuft.

Ist das Russland-Bashing gerechtfertigt?

Harte Kritik gegenüber Russland ist seit Jahren Gang und Gebe. Für viele Russen ist verwunderlich, in welch einer Art und Weise über ihre Regierung geurteilt wird. Der Kreml fühlte sich in den letzten Jahren immer mehr ausgeschlossen und zurückgedrängt. Als es beispielsweise zu den Attentaten des 11. September kam, sprach Moskau den Vereinigten Staaten gegenüber ihre Solidarität aus. Diese wurden jedoch nicht zur Kenntnis genommen. Hinzu kommt die Ausschließung der Russischen Föderation aus bedeutenden weltpolitischen Vorgängen. Seinen Unmut äußerte Putin in einer Rede im Jahre 2007 in München. In seiner Rede machte er auf das zerrüttete Verhältnis des Westens zu Russland aufmerksam, an dem Russland nicht die alleinige Schuld trägt, sondern ebenso die Europäische Union und die NATO.

In der Vergegangenheit wurde Russland häufig als Aggressor dargestellt wie zum Beispiel im Kaukasuskrieg  im Jahre 2008, in dem Georgien Südossetien besetzte. Nach mehrmaliger unbeantworteter Aufforderung Russlands, diese Besetzung zu beenden, wurde schließlich mit einem Militärschlag reagiert. Die USA missbilligten Russland für ihr Vorgehen, obwohl alle vorherigen russischen Lösungsvorschläge gerade von den Vereinigten Staaten nicht beachtet wurden. Erst später wurde bekannt, dass die USA sich schon seit Jahren als Freund Georgiens bekennen. Als Konsequenz für diesen Schritt wurde Russland aus dem Nato-Russland-Rat ausgeschlossen, wo gerade die Fehler analysiert werden sollten. Wie sollte sich Russland jetzt rechtfertigen wenn ihm die Möglichkeit der Stellungnahme genommen wird? Es scheint, als würde man versuchen, Russland systematisch aus dem Weltgeschehen und der Weltpolitik zurückzudrängen, vielleicht sogar zu isolieren. Allein der Gedanke an solch ein Bestreben wäre bei der momentanen ökonomischen Abhängigkeit von Russland vollkommen absurd.

Im selben Jahr legte der damalige Präsident Medwedew seine Idee für eine Sicherheitsarchitektur für ganz Europa vor. Sie  sollte  neben dem Ziel, für mehr Sicherheit zu sorgen, auch die Ost/West-Konfrontation überwinden. Medwedew erntete nur Hohn, Spott und die kalte Schulter des Westens. Der Westen hat somit einen großen Anteil daran, dass die Welt immer mehr auf die Zerstörung des ohnehin brüchigen Weltfriedens und  einen neuen Weltkrieg zugeht. Deutschland kann in dieser Situation eine entscheidende Rolle  spielen und die ungerechte Politik gegen Russland stoppen, in dem es innerhalb der EU und der Nato von seinem Vetorecht Gebrauch macht. Wenn westliche Politiker weiter auf Russland hinabschauen und dieses Land abwertend behandeln, sollte man sich nicht wundern, dass die Russen im angenehmeren Fall empört darauf reagieren. In den vergangenen Jahren kritisierten die Amerikaner immer wieder den Kreml beispielsweise für die Lebensverhältnisse in ihren Gefängnissen. Aber wie sieht es eigentlich im Westen aus? Abu Ghuraib oder Guantanamo Bay sollten jedem ein Begriff sein. Seit Jahrzehnten werden unschuldige Menschen an solche Orte verschleppt und auf bestialischer Weise gefoltert – Deutschland unterstützt sogar dieses Vorgehen. Wo ist hier die Gerechtigkeit?

Was muss sich ändern?

Russland-Themen sind für viele Zeitungen als Lückenfüller immer gut. Es werden gezielt Probleme angesprochen, mit denen man sich im Gegensatz zu den anderen aufwerten kann. Schnell ist ein gesellschaftlicher Konsens erzeugt, der sich dann einheitlich gegen die Politik eines ganzen Landes richtet. Gerade gegenüber einem Land, das viele Menschen nur aus Hollywood-Filmen kennen, funktioniert das Bashing widerstandlos. Traurigerweise ist die Recherche aus Faulheit und Bequemlichkeit dementsprechend mangelhaft. Von einem, Land, das als Land der Dichter und Denker bekannt ist, erwarte ich zumindest mehr.

Die Konfrontation mit Russland kann nur auf eine Weise überwunden werden: Man muss anfangen, Russland auf gleicher Augenhöhe zu begegnen. Erst dann entsteht die Möglichkeit, gemeinsam Lösungen für Probleme zu finden. Nur durch Selbstkritik, Ehrlichkeit und Gerechtigkeit können wir in der Lage sein, die Russen zu überzeugen, einen gemeinsamen Weg einzuschlagen. Zudem bietet sich dadurch die Möglichkeit, endlich mit dem Russland-Bashing aufzuhören und Vorurteile zu beseitigen. Der Gedanke, dass wir selbst aufgeklärter, zivilisierter und rationaler seien, muss aus der westlichen Diplomatie beseitigt werden. Die vergangenen Krisen haben gezeigt, dass sowohl Russland als auch der Westen ein Umdenken dringend nötig haben. Die Zeit rennt uns allmählich davon. Meist wird uns erst durch Katastrophen deutlich, dass wir alle in einem Boot sitzen. Wir sollten jedoch nicht versuchen, Löcher in das Boot zu schlagen und darauf zu hoffen, dass der andere untergeht, während wir sicher ans Land treiben. Warum lernen wir nicht aus der Geschichte?

 

 

 

 


Foto: © World Economic Forum

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