Musiker im Interview

Ryan Leslie: "Es sind Visionen, die mich wach halten"

15.12.2013 - Tahir Chaudhry

Er ist ein Ausnahmetalent: Harvard-Absolvent, Erfolgs-Produzent, Songwriter, Multiinstrumentalist, Rapper und Self-Made-Millionär. DAS MILIEU sprach mit dem US-Künstler Ryan Leslie über seinen Bildungsweg, sein Leben als Workaholic, über sein neues Geschäftskonzept und seine kreative Gedankenwelt.

DAS MILIEU: Guten Tag, Herr Leslie! Sie sind ein exzellenter Redner. Ich habe Ihre Rede vor Harvard-Absolventen gehört, Ihre Rede zu einem Festakt der Harlem Jets und erst kürzlich Ihre Rede in der Gründerkonferenz IdeaLab in Deutschland. Es sind immer Reden, die die Menschen bewegen und inspirieren. Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, in die Politik zu gehen?

Ryan Leslie: Ja, aber ich denke, das Beste an dem Künstler-Dasein ist, dass ich diese Aufgabe erfüllen kann, ohne irgendwelchen Beschränkungen zu unterliegen, denen Politiker für gewöhnlich unterliegen. Daher kann ich nach wie vor Veränderungen bewirken und Einfluss auf Kultur und Gesellschaft nehmen. Politiker dagegen sind sehr eingeschränkt in ihrem Wirken.

DAS MILIEU: Für viele Menschen ist es eine Überraschung: Sie sind ein hochqualifizierter Mensch. Im Alter von 14 Jahren schlossen Sie Ihr High School mit dem Ergebnis von 1600 SATs (mind. 99,93 %) ab. Danach gingen Sie auf die Harvard Universität und machten im Alter von 19 Jahren Ihren Abschluss in Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre. In welcher Weise hat das Ihr Denken als Mensch, als Künstler und als Geschäftsmann beeinflusst?

Ryan Leslie: Ich würde sagen, dass Harvard als das angesehenste Institut für höhere Bildung, junge Menschen dazu ausbildet, sich Strategien anzueignen, mit deren Hilfe sie in der Gesellschaft selbst als Problemlöser agieren können. Im Studium stehen kreative Ansätze im Fokus. Die Welt schreitet voran und somit tauchen ständig neue Herausforderungen auf. Diese Absolventen sind es dann, die dazu ausgebildet sind und sich in einer wegweisenden Positition befinden, sich diesen Herausforderungen zu stellen. Deshalb bin ich sehr dankbar für die Zeit in Harvard. Zudem denke ich, dass die Schulzeit – wenn sie denn gut genutzt wird – dazu dienen kann sich langfristig zu vernetzen. Und in Harvard war die Dichte der Überflieger ziemlich hoch. Daher sind viele meiner Kommilitonen heute Führungspersönlichkeiten in unterschiedlichen Feldern der Expertise. Das Netzwerk, das ich heute habe, wurde dadurch sehr gestärkt.

DAS MILIEU: Aber nachdem Sie Harvard absolviert hatten, haben Sie sich keinen Job gesucht. In “Ups and Downs” heißt es: “I used to be homeless behind a barber shop.” Was passiert da genau?

Ryan Leslie: Ich entschied mich dazu, unternehmerisch meinen eigenen Weg zu gehen. Dort machte ich einige sehr optimistische Vorhersagen, wie mein Einkommen sein würde. Doch diese Vorhersagen standen ziemlich im Gegensatz zu dem, was ich tatsächlich einnahm. Ich komponierte unablässig und versuchte mich dadurch über Wasser zu halten. Es klappte nicht immer. So kam es dann, dass ich dort landete.

DAS MILIEU: Dann kam die Wende. Sie produzierten Instrumentalstücke für die größten Stars der Musikbranche. Und jetzt, 10 Jahre später haben Sie mehr als eine halbe Million Twitter-Follower und über 60 Millionen Youtube-Aufrufe. Nun sind Sie ein unabhängiger Künstler, der durch die Welt reist und seine Erfahrungen mit den Menschen teilt. Was sind die Säulen Ihres Erfolgs?

Ryan Leslie: Für mich ist Erfolg, wenn ich das tun kann, was ich liebe und dabei jeden Tag diese Freude zu spüren. Nachdem ich Harvard abschloss, war genau das mein Maßstab und mein Antrieb. Seit dem Moment, als ich es herausfand, verfolge ich diesen Weg unermüdlich.

DAS MILIEU: Bekannt wurden Sie durch Studioaufnahmen, wo man Sie dabei beobachten kann, wie Sie von Grund auf neue Instrumentalstücke produzieren. Was ist aus Ihrer Sicht „Kreativität“? Und kann man Kreativität erlernen?

Ryan Leslie: Kreativität ist für mich, dass du deinem Gehirn, dem Verstand, der Essenz deines Wesens erlaubst, dich inspirieren zu lassen. Und dann zu verstehen, wie du diese Inspiration zur Entfaltung bringst, damit sie andere inspirieren kann.
Und ja, ich glaube, dass Kreativität auch sehr davon abhängt, inwiefern du dich von anderen überragenden Künstlern inspirieren lässt. In vielen Fällen ist es auch ein Imitieren von jemandem, den du bewunderst. Dies geschieht über verschiedene Bereiche hinweg. Und dann bist du letzendlich dazu in der Lage, dich selbst zu finden und dir der Welt gegenüber Ausdruck zu verleihen.

DAS MILIEU: Nach „Transition“ verließen Sie Universal Music und gründeten Ihr eigene Plattenfirma. Was hat Sie am meisten daran gestört, unter einem fremden Label zu arbeiten?

Ryan Leslie: Ich habe nichts gegen Verträge bei den führenden Musiklabels. Ich glaube, dass sie für Leute sehr vorteilhaft sein können, die das System verstehen und akzeptieren. Ich selbst habe meinen eigenen Weg vorgezogen. Noch einmal: Mein Maßstab ist die Freude, die ich jeden Tag bei meiner Arbeit verspüre. Glückseligkeit für mich ist, dass ich meine Fähigkeiten dazu nutzen kann, auf eine uneingeschränkte Weise schöpferisch tätig zu sein. Durch meine Unabhängigkeit kann ich mir diesen Luxus jeden Tag meines Lebens leisten.

DAS MILIEU: Erst vor kurzem haben Sie den #Renegades-Club gegründet, mit dem Sie einen direkten Draht zu ihren Fans aufbauen können. Welche Vorzüge hat dieses Konzept?

Ryan Leslie: Uneingeschränkte Kreativität. Darum geht es in erster Linie. Renegades erlaubt mir, eine Beziehung zu meinen wahren Unterstützern aufzubauen, ohne diese als passive Gefolgschaft den Sammelstellen wie Twitter, Instagram oder Facebook zu überlassen.

DAS MILIEU: Ein exklusiver Club bedeutet in diesem Fall, dass die Mitglieder Ihnen schreiben können und Sie antworten manchmal sogar telefonisch. Bald werden Sie die 10.000er Mitglieder-Marke erreichen. Dann müssen Sie ja permanent mit Ihrem Mobiltelefon beschäftigt sein…

Ryan Leslie: Mein Mobiltelefon ist permanent ausgelastet. Doch aus irgendeinem Grund finde ich immer die Zeit, um zu antworten. Das ist auch der Grund dafür, dass wir dieses Interview führen können.

DAS MILIEU: Aber wie lange wird das gut gehen? Lassen Sie uns an die nächsten fünf Jahre oder sogar nur über das nächste Jahr sprechen. Meinen Sie, dass Sie all dies weiterhin mühelos schaffen können?

Ryan Leslie: Die Technologie erhöht die Geschwindigkeit, die mir ermöglicht, nur an einem Tag mit Tausenden von Menschen zu kommunizieren. Während mehr und mehr Menschen diesem privaten Musikclub beitreten, wird sich - gemäß Vorhersagen von Experten - gleichzeitig die Technologie auf solch eine Weise weiterentwickeln, dass ich dazu in der Lage sein werde, großangelegte Unterhaltungen mit Hunderttausenden und möglicherweise Millionen von Menschen zu führen.

DAS MILIEU: Sie schlafen lediglich zwei bis drei Stunden. Wenn keine Schlafstörung die Ursache ist, was hält Sie in den Nächten wach?

Ryan Leslie: (lacht) Ich habe einen strikt organisierten Tagesablauf. Und ich habe ständig Ideen und Visionen in meinem Kopf, die mich wach halten. Diese muss ich dann sofort festhalten.

DAS MILIEU: Aber welche Kernkompetenz besitzt Ryan Leslie? Was macht ihn besonders?

Ryan Leslie: Ich denke, dass jeder Mensch diese Kernkompetenz und damit verbunden eine Verantwortung hat. Und ich glaube, dass wenn man eine ungeahnte Wirkung in dieser Welt erzielen möchte, dann sollte man die Leidenschaft für etwas entdecken und wenn man sie entdeckt hat, dann muss ein unermüdlicher Einsatz beginnen. Das ist, was ich tue und wie ich lebe.

DAS MILIEU: Viele Menschen sind sehr darüber erstaunt, wenn Sie sich mit Ihnen treffen. Sie sagen, dass Ryan Leslie ein sehr demütiger Mensch ist. In einigen Videos sieht man einen Ryan Leslie, der über Geld, Autos und Goldketten rappt. Und dann sieht man in anderen Videos einen Ryan Leslie, der sehr diszipliniert, sehr einfach, höflich und immer nett zu jedem Menschen ist. Wie passen diese zwei Persönlichkeiten zusammen? Und welche Wirkung haben Ruhm und Erfolg auf das Ego?

Ryan Leslie: Ruhm und Erfolg lasse ich nicht an mein Ego heran. Und zur Frage nach den zwei Persönlichkeiten: Jeder Mensch besteht aus komplexen Seinsschichten. Viele nette und einfache Menschen, die ich getroffen habe, sind gleichzeitig auch die gefährlichsten Sicherheitsfachleute mit der Fähigkeit einem Menschen in wenigen Augenblicken das Leben zu nehmen. Es sind diese komplexen Seinsschichten, die uns zu einem Menschen machen. Das ist das Großartige an der Menschheit. Und all das, was man in meinen Videos oder in meinem realen Leben sieht und egal welche Meinung man über mich hat, sie stellen mich als einen Menschen dar, der diese vielfätigen Seinssichten verkörpert.

DAS MILIEU: Auf Black Mozart haben Sie ein Stück, das den Titel “Full Moon” trägt. Dort bringen Sie die Nacht mit bösen Taten in Verbindung. Können Sie sich vorstellen mehr solcher Songs zu produzieren, die tiefer und nachdenklicher sind?

Ryan Leslie: Die Interpretation der Songs, die ich schreibe, überlasse ich dem Hörer. Daher würde ich jedem raten, diesen Song mehrmals zu hören und Parallelen zu dem individuellen Erfahrungskontext zu ziehen. Generell sind meine Songs oft sehr nachdenklich. Es geht meist um das Gute und das Böse im Leben. Sie regen zum Nachdenken über die guten und bösen Seiten des Ruhms, des Erfolgs und des Wohlstandes an. Und genau das ist der Punkt. Ich drücke meine persönliche Stimmung sozusagen für das Protokoll aus. Was ist Gut und was Böse? Was ist erfüllend und was nicht-erfüllend? Welche Wünsche und Träume verfolgen wir Menschen? Jeder Song ist das Resultat dieser Überlegungen.

DAS MILIEU: Welchen Rat können Sie jungen Menschen geben, die mit ihrem Wirken ihr Leben, ihre Gesellschaft oder die Welt verändern wollen?

Ryan Leslie: Sei ein “Finisher”! Wenn du eine Idee hast, dann tue alles im Rahmen deiner Möglichkeiten, Ressourcen und Beziehungen, die du hast, um diese Idee im wahrsten Sinne zur Manifestation zu bringen.

DAS MILIEU: Recht herzlichen Dank für das Gespräch!

 

              Ryan Leslie (geb. 1978) ist ein US-amerikanischer Komponist, Musikproduzent, Songwiter und Rapper aus New York City. Er ist Begründer des Medienunternehmens NextSelection Lifestyle Group. Außerdem ist er ein vielbeachteter Redner in Fragen des Wandels in der Unterhaltungsbranche und der kreativen Nutzung von Sozialen Netwerken. Schon im Alter von 15 Jahren besuchte er die Havard Universität in Boston und machte dort im Jahre 1998 seinen Abschluss in Politikwissenschaften und Volkswirtschaftslehre. Seinen Bekanntheitsgrad erlangte Leslie mit Youtube-Videos, die ihn im Musikstudio beim Komponieren von Instrumentals zeigen. Seitdem wird er rund um die Uhr von Kameras begleitet und die Aufnahmen werden auf seinem Youtube-Kanal RyanLeslieTV veröffentlicht. Im Laufe der Zeit produzierte er unter anderem Musikstücke für Usher, P. Diddy, Beyoncé, Mary J. Blige und Snoop Dogg. Daraufhin veröffentlichte er zwei Solo-Alben und gründete schließlich 2011 seine eigene Plattfirma. Er wurde zwei Mal für die BET Awards und für den Grammy nominiert. Sein aktuelles Album „Black Mozart“ veröffentlichte er ausschließlich für die Mitglieder seines exklusiven #Renegades-Clubs. In den nächsten Monaten startet er auch seine eigene Modekollektion.

 

 

 

 

 

Das Interview führte Tahir Chaudhry am 06. Dezember 2013 via Skype.

Original Transcript (Englisch)

 

Foto: © ANDREA D'AQUINO PHOTOGRAPHY

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