Kriegsverbrechen

Staubiges Kabul

15.04.2014 - Emran Feroz

Vom Flugzeug aus sieht man die erhabenen Berge jenes Landes, dessen Volk sich nie unterwerfen ließ. Hier scheiterten sie alle – von Alexander dem Großen bis hin zu Barack Obama. Auf den Gipfeln der Berge liegt noch Schnee, was sie noch prächtiger aussehen lässt. Wer über Afghanistan fliegt, kann nur dessen einzigartige Landschaft bewundern. Dass hier seit über drei Jahrzehnten Krieg herrscht, merkt man vom Flugzeug aus nicht. Man sieht weder die zahlreichen, einzelnen Schicksale, noch das unschuldige Blut, was tagtäglich geflossen wurde und immer noch fließt.

Am Flughafen trifft man viele Ausländer, ja, »Westler«. Was sie hier zu tun haben, fragen sich sicherlich nicht wenige. Man könnte meinen, manche von ihnen seien Entwicklungshelfer, bei anderen wiederum denkt man eher an Söldner oder taffe Elite-Soldaten. Der blonde, sportlich aussehende Mann mit blauen Augen und Vollbart könnte vielleicht einer von ihnen sein. Der Flughafen ist stickig.

Die Flughafenmitarbeiter scheinen ihren Job halbwegs ernst zu nehmen. Allerdings sind sie unsympathisch, vor allem jene, die die Pässe kontrollieren. Ansonsten wirkt hier alles irgendwie chaotisch. Irgendwann kommt ein Bus, der die Reisenden ein Stück weg vom Flughafen fuhr. Der Fahrer trägt eine Kapuze und sieht nicht besonders freundlich aus. Wie und wo er gelernt hat, ein Fahrzeug zu lenken, will man lieber nicht wissen.

Im Bus tauchen immer wieder junge Männer auf, die das Gepäck der Neuankömmlinge tragen wollen. Man muss sie fast schon zwingen, es nicht zu tun. Und wer die Hilfe annimmt, wird danach solange verfolgt, bis er ein paar Scheine los ist. Die Straßen Kabuls sind staubig, außerdem ist die Luft schlecht. Einige Menschen tragen einen Mundschutz. Laut Berichten soll die Luft der afghanischen Hauptstadt schlechter sein als jene in manchen chinesischen Großstädten.

Dann – während man mit dem Taxi durch Kabul fährt – sieht man erst, was in der Stadt wirklich los ist. Verkehrsregeln sind praktisch nicht vorhanden. Jeder fährt, wie er will. Der Stärkere gewinnt. Dummheiten finden schnell Nachahmer. Manchmal sieht es so aus, als ob zwanzig andere Fahrer einen einzelnen Geisterfahren imitieren. Ein afghanisches Sprichwort besagt, dass Afghanistan viele kluge Köpfe hat. Allerdings ist es immer ein Dummer, der diese Klugen anführt.

Während man im Minutentakt Zeuge dieses Spruches auf Kabuls Hauptstraßen wird, laufen immer wieder Kinder, Greise und Burka tragende Frauen den Autos entgegen. Oftmals sind es nur wenige Zentimeter, die sie vor den Tod oder einer schweren Verletzung wahren. Bettler findet man auf allen Straßen. Sie klopfen an Autofenstern oder tauchen plötzlich vor dem Fahrzeug auf. Währenddessen sieht man alte Menschen, die nicht mehr richtig gehen können, Holz und andere schwere Sachen schleppen. Der Schweiß rinnt über ihre Stirn aber sie machen weiter. So wie eben das ganze Land seit Jahren weitermacht, egal was kommen möge.

Zur Zeit ist Kabul geprägt vom Wahlkampf. Die Straßen der Stadt sind voll mit überdimensionalen Wahlplakaten, die die jeweils verschiedenen Präsidentschaftskandidaten zeigen, mal in traditioneller Kleidung, mal mit Anzug und Krawatte. Wer Hamid Karzais Nachfolger wird, weiß niemand. Der einfache Afghane kämpft tagtäglich um sein Überleben, versucht jeden Tag aufs Neue, seine Familie zu ernähren. Da bleibt keine Zeit, um sich über Politik groß Gedanken zu machen. Zu alle dem Wahlkampfchaos ist nun auch der Vizepräsident Afghanistans, Mohammad Qasim Fahim, an einem Herzinfarkt verstorben. Fahim gehörte zu den berüchtigsten Warlords Afghanistans. Mehrere Menschenrechtsorganisationen machen ihn für zahlreiche Kriegsverbrechen verantwortlich.

Nun herrscht Staatstrauer. Fahims Anhänger strömen auf die Straßen, um Fahim, der sich selbst zum »Marschall« ernannt hatte, zu gedenken. »Das ist Afghanistan. Wenn ein Massenmörder, der sein Volk ausgebeutet wird, stirbt, herrscht Trauer. Aber wenn Zivilisten bombardiert werden, interessiert es niemanden«, sagt einer der zahlreichen Obstverkäufer, bevor er Feierabend macht.

 

 

 

 

Foto: © wil-

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