Profisportler im Interview

Sven Hannawald: "Viel Geld verdienen hat zwei Seiten"

01.04.2014 - Cihan Köse

Durch seine einzigartigen Erfolge wurde er zu einer Skispring-Legende. Nach seinem Höhenflug folgte aber der psychische Absturz ins Burn-Out. DAS MILIEU sprach mit Skispringer und Rennfahrer Sven Hannawald über die Gefahren des Erfolgs, die verlorene Kunst ‘Nein’ zu sagen, seine Diagnose: Burn-Out und das Leben nach der Heilung. Im letzten Jahr veröffentlichte er seine Biografie "Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben" und landete damit auf den Bestseller-Listen.

DAS MILIEU: Waren Sie in Ihrer Zeit als Leistungssportler jemals mit Ihren Erfolgen zufrieden?

Hannawald: Zum Schluss klar, aber es gab natürlich auch Zeiten, wo ich der Meinung war: 'Ok, jetzt stell ich die Skier weg, weil es in der Saison überhaupt nicht lief.' Grundsätzlich war immer ein Gefühl in mir, das mich dazu angetrieben hat, immer weiter zu machen. Klar habe ich das eine oder andere dann gewonnen, aber halt nicht immer. Ab der Tournee 97/98 ging es bei mir eigentlich los und es hat sich dann soweit hingezogen bis ich 2005 schließlich aufgehört habe, wobei mein offizieller letzter Sprung 2004 im Februar war. Zwischendurch hat es sich ab und zu mal nicht erfolgreich angefühlt, aber das ist halt normal. Es gibt keinen, der nur gewinnt.

DAS MILIEU: Sie gelten bis heute noch als einer der weltbesten Skispringer. 2004 beendeten Sie Ihre Karriere mit der Diagnose Burn-Out. Wann wurde Ihnen zum ersten Mal bewusst, dass irgendetwas nicht stimmt?

Hannawald: Da ich irgendwo nahe an der Grenze vom gesunden Körpergewicht gelebt habe, habe ich natürlich schon über die Jahre gemerkt, dass mein Körper immer müder wurde und sich nicht mehr so spritzig angefühlt hat, wie er es normalerweise hätte tun sollen. Das ist zwar leider so gewesen, aber Gewichtsabnahme war für mich der Weg zum Erfolg. Ich habe schon gemerkt, dass ich irgendwie so eine Müdigkeit verspürt habe und eine gewisse Unruhe, die ich bis dahin nicht deuten konnte.

Bei der Skiflug-WM in Harrachov habe ich mich dann in der Saison verletzt und musste mich operieren lassen. Drei Monate auf dem Sofa herumliegen brachten mir einen Abstand und das war gut. Aber als das Einzeltraining wieder angefangen hat, kam eine innere Unruhe auf, die dann, wenn ich trainiert habe oder wenn ich irgendwas gemacht habe, dadurch überlagert wurde, mich aber im Privatleben nicht in Ruhe gelassen hat. Einfach in Ruhe Fernsehen gucken ging nicht. Da war irgendwie so innerlich, ich weiß nicht, wie soll man es beschreiben, so ein Kribbelgefühl oder irgendwie so ein Aufgeregtheitsgefühl. Ich konnte es nicht deuten. Man muss ja sagen, dass die darauffolgende Saison noch bis zur WM in Predazzo ging. Da habe ich dann aber gemerkt: 'Es wird immer schlimmer!'. Ich habe zwar bis dahin noch sechs Weltcups gewonnen, hatte mich auch gut vorbereitet, was alles super war, aber innerlich war auch ein zwiegespaltenes Gefühl, diese ungedeutete Unruhe.

Ich habe dann mit unserem Mannschaftsarzt gesprochen und ab dann ging es eigentlich los mit den Arztbesuchen. Als ich Schmerzen im Fußgelenk hatte, konnte ich dem nachgehen. Aber diese Unruhe – wo fängst du da an, wo hörst du da auf?! Im Nachhinein waren es dann eineinhalb Jahre lang Arztbesuche, ohne dass man mir sagen konnte, was die Ursachen meines Problems sind. Die Blutwerte stimmen, die Organwerte stimmen, alles stimmt und es müsste mir, so sagte man, eigentlich gut gehen. Ab dann fing ich an, an den Ärzten zu zweifeln. Im Nachhinein weiß ich, dass es die falschen Ärzte waren. Da keiner wusste, woher es kommt, habe ich mich auch nicht aus dem negativen Kreislauf befreit, sondern weiter trainiert und war weiter in meinem Film. Sprich: Es ist immer schlimmer geworden.

DAS MILIEU: Das heißt, dass man sichergehen muss, ob man die richtigen Ärzte hat…

Hannawald: Mit dem Wissen von heute wäre damals alles schneller verlaufen. Ich glaube ich hätte zehn Arztbesuche gespart und wäre direkt zum Richtigen gegangen. Als mir damals gesagt wurde, dass ich ein Burn-Out habe, gab es nur den Fall Deisler. Bei ihm wusste keiner genau, was los war. Man sah nur, dass das Jahrhunderttalent sich vor dem Fußballspielen scheute und einfach aus einem Grund aufhören musste, der nicht greifbar war, wie etwa Grippe oder Arthrose im Knie. In der heutigen Zeit ist es ganz anders. Heutzutage sprechen mich Eltern bei Lesungen aus meiner Biografie an und wissen: 'Mein Sohn oder meine Tochter haben schon teilweise die gleichen Anzeichen.' Damals mussten die Betroffenen ohne diesen Wissensstand leben.

DAS MILIEU: Beim Thema Sebastian Deisler möchte ich nochmal nachhaken. Sehr erfolgreich Sport zu betreiben zieht natürlich öffentliches Interesse an und man steht ständig unter Beobachtung. Inwiefern gibt man da die Kontrolle über sich ab und lässt sich durch Medien und Öffentlichkeit fremdbestimmen ohne es bewusst zu wollen?

Hannawald: Ich glaube, dass da jeder für sich Wege sucht und auch findet, um beide Welten zu verbinden. Letzten Endes kann man nicht sagen: 'Ich mach alles ohne Medien, sie sind mir egal und ich habe trotzdem meine Erfolge.' Auf der anderen Seite, wenn man dann auch jedem Interview positiv entgegentritt und alles macht, was die Medien wollen, kann das Sportliche vergessen werden. Vom Grund her weiß ich immer, dass alles zwei Seiten hat – das ist einfach so! Wenn man dann Erfolg hat, muss man sich im Vorfeld schon darauf einstellen, dass man den nicht unbedingt so zelebrieren kann wie man vielleicht gerne wollte, da die tägliche Zeit dafür sehr beschränkt ist. Es gab da einfach viele andere Leute, Sponsoren usw. und das große Rad fängt dann an sich zu drehen. Besonders Einzelsportler wissen für sich selbst natürlich sehr, was sie zu tun und zu lassen haben. In Mannschaftssportarten wie z.B. Fußball hingegen organisiert und koordiniert der Verein die großen Teile der Medienarbeit.

DAS MILIEU: Die Wenigsten können sich wohl konkret vorstellen, wie ein Leben mit Burn-Out aussieht. Aber jeder Mensch kann im Leben einen Moment erleben, indem er merkt: 'Keine Ahnung wieso, aber ich kann einfach nicht mehr.' Wie weit ist dieses 'Gefühl' von einem Burn-Out entfernt?

Hannawald: Das kommt darauf an, wie lange sich das 'Ich-Kann-Nicht-Mehr' angekündigt hat. Ich hatte mich dann noch ein bis zwei Jahre im gleichen Umfeld und gleichen Tagesablauf aufgehalten. Wenn es ausbricht und ich ändere nichts, ist es klar, dass es dann schlimmer wird. Von Natur aus haben die Leute ja ein gewisses Gefühl für sich selbst. Wenn sie merken, dass sie nicht mehr können, machen die meisten Leute dann zwei Wochen Urlaub und es ist wieder besser. Wenn man sich aber zwei Wochen Zeit für sich selbst und Dinge, die einem Spaß machen, genommen hat und die gleichen Gedanken und die Unruhe sind danach immer noch da - dann stimmt irgendetwas nicht. Ist dieser Punkt erreicht, hat man seine Unruhe jahrelang nicht genug beachtet. Gewisse Typen sind anfälliger für solche Situationen, und zwar solche, die irgendwie perfektionistisch angehaucht sind und sich auch alle Aufgaben, die sie sich für einen Tag vornehmen zu 100% machen wollen. Wenn diese sich dann irgendwann z.B. ein Haus zumuten, es selbst finanzieren oder günstiger bauen wollen, einen normalen Job haben, um 17 Uhr nach Hause kommen und dann auch noch Familiennachwuchs haben – wenn sie das alles perfekt und jedem alles gerecht machen wollen, dann knallt es irgendwann! Der Tag hat nämlich nur 24 Stunden und der Körper braucht Ruhe. Es gibt andere wiederum, die dann sagen: 'Ich mach das nur so halb, das reicht mir.' Bei solchen Menschen gibt es weniger Beispiele, die dann ein Burn-Out erleiden.

DAS MILIEU: Ich kenne das ja auch aus eigener Erfahrung. Es gibt Menschen, die einfach Macher sind. Sie wollen und wollen und wollen, weil sie erfolgsorientiert sind. Wie wichtig ist es für einen, sich selbst zu sagen: 'Nein, ich mache das jetzt nicht mehr!', auch wenn es bedeutet weniger erfolgreich zu sein?

Hannawald: Das ist schwierig, denn wenn man erfolgsverwöhnt ist, sich in eine Sache hineinsteigert und dies dann aus dem Inneren kommt, will man es ja auch machen. Da einfach zu sagen 'Nein, mache ich nicht!' - ich glaube, das geht nicht. Ich habe gelernt, dass man für sich die Aufgaben sorgfältig auswählen muss. Im Vorfeld, bevor man es macht, muss man sich fragen: 'Habe ich die Zeit dafür, kann ich den Rest nebenbei noch koordinieren oder nicht?' Wenn nicht, dann sollte man es lieber lassen. Wenn doch, dann ist natürlich klar, dass das viel Zeit beanspruchen wird und so ist es auch bei mir. Daher bin ich nun auch sehr sensibel was Aufgaben und Anfragen angeht. Was meine Zukunft betrifft, mache ich ganz kleine Schritte und bin da ganz, ganz vorsichtig.

DAS MILIEU: Nachdem die Diagnose dann festgestellt wurde, wie sah dann eigentlich Ihr persönlicher Weg zur Heilung aus?

Hannawald: Ruhe und dann natürlich auch das 'normale' Leben. Für mich war es auf der einen Seite erholsam und auf der anderen Seite langweilig, da ich es natürlich gewohnt gewesen bin unter Adrenalin zu stehen, Action zu haben, von großen Schanzen zu springen und im Training alles dafür zu geben, es so perfekt wie möglich zu machen. In der Klinik war es aber so, dass ich froh war an einem Ort zu sein, wo ich zwar immer noch erkannt wurde, aber es keinen Hype drum herum gab. Ich konnte einfach ich sein und die Verbindung zu meinem inneren Ich wieder aufbauen. Dort war auch eine Heilpraktikerin, die sich auch um meine körperlichen Belange gekümmert hat, denn jahrelang immer an der körperlichen Gewichtsgrenze zu leben, fordert natürlich auch gewisse Opfer ein. Die Heilpraktikerin und die Klinik haben mich in den acht Wochen wieder super aufgebaut.

Das Problem war eigentlich dann, dass das wahre Leben wieder anfängt, wenn man die Klinik verlässt. Am Anfang habe ich viele Probleme gehabt, die aber am Ende wirklich nur die Zeit lösen konnte. Also da gibt es keine Regel, die man einhalten muss, die dann von heute auf morgen alles ändert, sondern man muss bedenken, dass die Krankheit sich über Jahre ankündigt und man dann aber wieder ein paar Jahre braucht, um sie auch wieder loszuwerden. Da sind dann natürlich auch wieder so Denkmuster, die einen herausfordern, weil man sie nicht einfach so weglassen kann. Klar, ich als Perfektionist habe dann ein eher langweiliges Leben führen müssen, aber am Ende bin ich wieder so, dass ich mit mir im Reinen bin. Ich habe das Gefühl für mich selbst wieder und ich weiß genau, was ich mir zumuten kann und was nicht. Dieser Prozess hat aber Zeit gekostet.

DAS MILIEU: Spielte im Heilungsprozess der Glaube eine Rolle?

Hannawald: Er ist natürlich wichtig. Ich bin jetzt nicht getauft, ich bin Agnostiker. Meine Eltern haben uns damals im Osten nicht getauft, aber trotzdem weiß ich, dass eine höhere Macht über uns wacht bzw. uns auch unseren Weg aufzeigt. Dementsprechend ist es klar, wenn jemand tiefgläubig ist, so denke ich, dass das positiv ist, weil man natürlich auch irgendwo den höheren Rückhalt empfindet. Aber nichtsdestotrotz ist natürlich auch die eigene Familie wichtig, weil man dort den näheren Rückhalt verspürt. Aber Glaube ist für mich dennoch ein großes Thema.

DAS MILIEU: Was ist die wichtigste Erfahrung und Erkenntnis, die Sie nach Ihrer Heilung aus Ihrer Vergangenheit ziehen?

Hannawald: Ich sehe nun, zu was ich hinzuarbeiten in der Lage und bereit war und dies trotz meiner Erkenntnis, dass ich meinen Körper damit ruinierte. Das sieht man meistens bei Sportlern, dass die dann teilweise zwar über ihre Grenzen hinausschießen, aber nichtsdestotrotz wie Pokerspieler einfach 'All In! Entweder es klappt oder es klappt nicht' sagen. Das konnte ich nun an mir erkennen und es macht mich auch irgendwie stolz.

Dass ich ein weiteres Mal auf so etwas zusteuere, wage ich zu bezweifeln. Es war ein wichtiger Punkt, zu erkennen wie sehr man sich trotz gewisser Konsequenzen auf bestimmte Aufgaben einlassen kann, nur um erfolgreich zu sein.

DAS MILIEU: Wie unterscheidet sich Ihr heutiges Leben von dem früheren Leben als Skispringer?

Hannawald: Das ist ein ganz anderer Lebens- und Tagesablauf. Ich genieße erst mal die Zeit, die ich früher nie hatte. Damals bin ich morgens früh aufgestanden und war in einem Film, in dem ich alles für den sportlichen Erfolg getan habe. Jetzt ist es so, dass ich erst mal Sachen nachhole, bei denen ich merke, dass ich sie damals nicht tun konnte – ich hätte ein schlechtes Gewissen gehabt. Nun lebe ich Hobbies wie z.B. Fußballspielen, Motorsport oder Kartfahren, also Dinge, die mich schon von klein auf interessiert haben. Dies ist alles Teil meines Genesungsprozesses.

DAS MILIEU: Gibt es die Gefahr eines Rückfalls und wenn ja, wie kann man diesem vorbeugen?

Hannawald: Also ich glaube die Gefahr eine Rückfalls ist größer, wenn man sich wieder in das gleiche Terrain begibt. Es gibt natürlich auch Leute die aus alten Fehlern lernen. Das Problem dabei liegt zum Beispiel daran, an Orten zu sein, die mit dem Burn-Out verbunden werden und dann mit den Erinnerungen umzugehen. Auch im privaten Umfeld war es dann oft so, dass viele zunächst in den alten Job mit den alten Erinnerungen mussten. Erst als sie dann den Job gewechselt haben wurde es besser. Ich habe mich natürlich damit auch befasst, eventuell wieder mit dem Skispringen anzufangen. Aber als das normale Training wieder losging hat mir das negative, unruhige Gefühl gesagt 'Ne, lass es!'. Am Ende ist man immer noch der Typ, der alles geben will und man weiß dann genau, wie es wieder enden wird. Ich musste mein Leben neu orientieren bzw. neu anfangen.

DAS MILIEU: Heutzutage sind wir immer und überall erreichbar. Mitarbeiter einer Firma haben Diensttelefone, die 24 Stunden am Tag angeschaltet sein müssen, und Schüler und Studenten haben ihre Smartphones mit denen sie z.T. den ganzen Tag beschäftigt sind. Inwieweit haben wir es verlernt, uns mal eine Auszeit zu gönnen und anderen nicht zur Verfügung zu stehen?

Hannawald: Tja, das ist eine gute Frage. Ich bin da so ein Zwischentyp und da muss ich Ihnen schon sagen, dass ich auch froh bin, dass es auf mobilen Wegen mehr Möglichkeiten gibt. Das ist aber immer nur der Anfangsmoment. Am Ende sieht man dann immer nur, das mehr Aufgaben in derselben Zeit zu erledigen sind und dementsprechend hat man viel, viel mehr zu tun. Ich bin jedoch auch froh, dass ich nicht in einem abhängigen Verhältnis zu einem Arbeitgeber stehe. Um mich herum sehe ich, wie Leute funktionieren müssen und ich denke, dass es schwierig ist, dieses Rad zurück zu drehen. Der eine oder andere macht einen radikalen Schnitt, wenn er für sich merkt 'Das ist mir zu viel'. Wenn er sich z.B. sagt, dass er im Urlaub ist, dann ist er im Urlaub. Dann ist es so einem egal, was der Chef sagt. Aber in der heutigen Zeit ist alles so, dass man das fünffache gleichzeitig machen muss, was hier und da gefordert ist. Genau das ist extrem schwierig und ich weiß auch nicht, wo das enden soll.

Ich denke, dass die heutige Generation ganz anders aufwächst als beispielsweise meine Eltern oder ich. Die haben dann zunächst weniger Probleme, weil sie gleich mit dieser Welt aufwachsen und somit der Mensch, Körper und vielleicht auch das Gehirn damit erst mal zurechtkommt. Die Probleme liegen später darin, dass sie während der Kindes- und Jugendphase zunächst zufrieden waren. Dann aber beim Erwachsenwerden mit Neuerem möglicherweise überfordert sein werden. Ich persönlich bin nicht aus der Generation Facebook und Twitter. Ich habe es zwar, es ist aber nicht so, dass ich jeden möglichen Scheiß da posten muss und bin da also eine Zwischengeneration, die auch ohne all dies auskommt. Man sieht an den heutigen Kindern, was die alles gleichzeitig machen können und sagen, dass es denen nichts ausmacht. Ob das dann am Ende noch gesund ist, sieht man leider immer erst im Alter und dazu wird es mit Sicherheit auch noch Studien geben.

DAS MILIEU: Wenn demnach Gesundheit Mathematik wäre, wie müsste die Formel lauten, dass man hohe Leistung bringen und Erfolg haben kann, ohne auszubrennen?

Hannawald: Das ist eine schwierige Frage. Da müsste ich mich erst mal hinsetzen und nachdenken, weil das Ergebnis muss natürlich Ausgeglichenheit sein. Nach dem ' = ' darf nicht Erfolg oder irgendetwas anderes stehen. Normalerweise müsste dann vorne die Formel so aussehen, dass ein Minus auftaucht und hinter der Gleichung die Null.

DAS MILIEU: Was würden Sie an dieser Stelle noch denen mitgeben, die in ihrem jeweiligen Berufszweig stark erfolgsorientiert sind?

Hannawald: Jeder von uns hat eine innere Stimme, die auch mir jahrelang gesagt hat 'Mach weiter!', obwohl auch ich zeitweise aufhören wollte. Am Ende hat die Stimme ja auch Recht gehabt, sodass ich das eine oder andere erfolgreich erreichen konnte. Dennoch darf man nicht nur auf den Erfolg schauen, sondern muss währenddessen immer wieder auf das Innere hören. Das gilt auch für den heutigen Beruf. Klar ist es immer schön, viel Geld zu verdienen, aber ich sage dann immer, dass es auch eine zweite Seite gibt und dieser sollte man Beachtung schenken.

DAS MILIEU: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hannawald!

                  In den letzten Jahren haben Sportler wie Sebastian Deissler den immensen Erfolgsdruck im Leistungssport zum Thema gemacht und der Öffentlichkeit wurde nach dem tragischen Tod von Robert Enke bewusst, dass auch Sportler unter Depressionen und Burn-Out leiden. Sven Hannawald, der 2001/02 als bisher einziger Skispringer alle vier Wettkämpfe der Vierschanzentournee gewann, war ein Ausnahmetalent, aber auch er konnte dem Druck nicht standhalten. Er, der in der DDR aufgewachsen war und immerzu gefordert wie gefördert wurde, musste seine Karriere aufgeben, nachdem sich Symptome einer Burn-Out-Erkrankung zeigten. Wie kam es dazu? Wie ist Sven Hannawald zu dem Erfolgssportler geworden, der er war? Was macht Skispringen so unglaublich fordernd? In seiner Autobiografie liefert Sven Hannawald spannende Hintergründe aus dem Innenleben eines Athleten, der sich den gnadenlosen Mechanismen seiner Sportart auslieferte, um erfolgreich zu sein. Wie ihn der Kampf um immer noch weniger Körpergewicht fast in die Magersucht, Erfolgsdruck und Zukunftsängste ihn in die Einsamkeit trieben. Und wie er sich und seine Balance schließlich findet – und seinen Weg zurück ins Leben.

 

Sven Hannawald: "Mein Höhenflug, mein Absturz, meine Landung im Leben", ZS Verlag Zabert Sandmann GmbH, 200 Seiten.

ISBN: 978-3898833875

 

 

 

Das Interview führte Cihan Köse am 25. März 2014.

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