Islamfeindlichkeit

Symbolpolitik auf dem Rücken der Freiheit

15.12.2015 - Khola Maryam Hübsch

Der Rechtspopulismus erfährt in Europa eine Renaissance. Gefordert wird eine restriktive Religionspolitik gegenüber Muslimen. Doch gerade unser Umgang mit dem Islam ist ein Lackmustest für die offene Gesellschaft. Wir verteidigen freiheitliche Werte nicht, indem wir denjenigen ähnlich werden, die sie angreifen.

Wundern muss es uns ja nicht – wenn in Zeiten der Globalisierung, in Zeiten der Verlust- und Abstiegsängste, in Zeiten der Krisen, Terroranschläge und Flüchtlingsströme rechtspopulistische Bewegungen in Europa an Zulauf gewinnen. Die Frage ist eher, wie wir damit umgehen und ob uns bewusst ist, worum es geht. Wir stehen vor einer Richtungsentscheidung: Möchten wir in einer liberal-pluralistischen Gesellschaft leben oder möchten wir bestimmte laizistische oder „christlich-abendländische“ Werte verteidigen?


Der Paradigmenwechsel, der durch die Terroranschläge von 9/11 eingeleitet wurde, lässt Religion als Störfaktor im Integrationsprozess erscheinen. Das Fremde wird nun anhand der Religionszugehörigkeit etikettiert und problematisiert. Es geht gleichzeitig um die Frage, wie sich der säkulare Rechtsstaat in einer multi-religiösen Gesellschaft positioniert. In der Auseinandersetzung mit dem Islam wird exemplarisch deutlich, wie tolerant wir mit gelebter Andersartigkeit umgehen wollen und wie liberal wir als Gesellschaft bleiben möchten. Wie in einem Brennglas zeigt es sich, ob die Werte, die wir angesichts des Terrors vor unserer Haustür vorgeben verteidigen zu wollen, Bestand haben oder ob schon im Akt der Verteidigung eine innere Aushöhlung eben dieser Wert droht.


Wenn Donald Trump ein Einreiseverbot für Muslime fordert und die CSU-Vize Ilse Aigner ein Burka-Verbot verlangt, handelt es sich dabei natürlich um symbolpolitischen Aktionismus. Doch was signalisieren solche Vorstöße? Soll unsere Antwort auf die Einschränkung der negativen Religionsfreiheit in autokratisch-fundamentalistischen Regimen tatsächlich darin bestehen, dass wir lediglich die Vorzeichen einer freiheitsfeindlichen Politik umkehren? Dass wir auf Verschleierungszwang mit Verschleierungsverbot reagieren? Dass wir Terroristen, die unsere Gesellschaft spalten möchten, mit ausgrenzenden Narrativen entgegen kommen?  


Restriktive Religionspolitik läuft Gefahr islamistischen Gruppierungen in die Hände zu spielen. Denn sie bestätigt das negative Bild des Westens, das in der sog. Islamischen Welt verbreitet ist. Dem Westen wird Doppelmoral vorgeworfen, wenn er autoritäre Machthaber unterstützt, solange sie pro-westlich sind, um sie später im Namen von Menschenrechten zu stürzen. Die Religionsfreiheit ist ein zentrales Menschenrecht? Menschenrechte werden benutzt, um Kriege zu führen, so heißt es höhnisch, sie gelten nur einseitig. Gerade im streng laizistischen Frankreich ist dieser Diskurs unter Muslimen, die im Burka- und Kopftuchverbot eine Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes sehen, weit verbreitet.


Wem also nützt eine derartige Symbolpolitik, die mit Verboten versucht, das Fremde machtpolitisch in Schranken zu weisen und damit das Gefühl von Ablehnung verstärkt? Es ist Symbolpolitik, die zwischen Paternalismus und Moralismus schwankt und dabei rechtspopulistische wie islamistische Lager stärkt. Wenn in Deutschland ein Burkaverbot, das über alle Parteigrenzen hinweg Befürworter findet, nun deswegen auf Widerstand stößt, weil Vertreter der Wirtschaft Umsatzeinbußen fürchten, dann offenbart sich darin die Doppelmoral solcher Scheindebatte. Es sind dieselben doppelten Standards, die schon der westlichen Außenpolitik vorgeworfen werden. Geht es wirklich um Werte? Um Menschenrechte? Oder geht es doch nur um Vorherrschaft und wirtschaftliche Interessen?


Gerade in Zeiten der Flüchtlingskrise besteht eine Chance das Negativbild des Westens zu korrigieren. Nicht durch eine autoritäre Verbotskultur, sondern durch eine gerechte Kultur der Anerkennung. Wenn aber die CDU-Vize Julia Klöckner einen Migrationsvertrag fordert, in dem Migranten sich unter Androhung von Sozialleistungskürzungen zu demokratischen Grundwerten bekennen sollen, schürt das Misstrauensdiskurse. Einer Studie der Friedrich-Ebert Stiftung zufolge, möchten 75 Prozent der Ostdeutschen die Religionsfreiheit für Muslime erheblich einschränken. Ist das antidemokratische Potenzial, das hier sichtbar wird, auch Anlass dafür, von der herkunftsdeutschen Gesellschaft ein Bekenntnis zu demokratischen Werte abzuverlangen?


Es wird in Zukunft wichtig sein, der autochthonen Mehrheitsbevölkerung zu vermitteln, dass die religionspolitische Ordnung in unserem Land sich angesichts der Pluralisierung der religiösen Landschaft verändert hat und der Islam ein selbstverständlicher Teil Deutschlands ist. Dass Muslime keine Sonderrechte einfordern, wenn über islamischen Religionsunterricht oder islamischer Theologie an Universitäten verhandelt wird. Und dass die Neutralität des Staates vorrangig die Funktion hat, vor Diskriminierung zu schützen und nicht selbst zu diskriminieren, indem die Religionsfreiheit für Minderheiten beschränkt wird. Denn in der Praxis tangiert eine restriktive Gesetzgebung vor allem Muslime bzw. lässt sie sich nur dann durchsetzen.


So war die aufgebrachte Debatte um das Beschneidungsverbot schnell beendet, als deutlich wurde, dass auch die jüdische Minderheit davon betroffen sein würde. Das sog. Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen bei gleichzeitiger Erlaubnis als Nonne im Habit zu unterrichten, galt dagegen in einigen Bundesländern über zehn Jahre, bis das Bundesverfassungsgericht es dieses Jahr für verfassungswidrig erklärte. Und in Berlin wehrt man sich mit einem Neutralitätsgesetz immer noch gegen dessen Umsetzung, wogegen eine Muslimin kürzlich klagte. Soll sich die Neutralität des Staates darin ausdrücken, dass sich die Vielfalt religiösen Lebens in staatlichen Institutionen wiederspiegelt oder möchten wir ein repressives Regime, das religiöses Leben autoritär ins Private verbannt und Freiheitsrechte von Minderheiten einschränkt?  


Die Frage bleibt also: Wie kann es sein, dass wir im öffentlichen Diskurs so unterschiedlich mit Angehörigen verschiedener Religionen umgehen? Dass es einen Skandal um einen verweigerten Handschlag eines muslimischen Imams gibt, wohingegen diese Praxis seitens orthodoxer Rabbiner unhinterfragt bleibt. Dass wir uns kollektiv und zurecht darüber besorgt zeigen, wenn der Zentralrat der Juden sich aufgefordert sieht vor dem Tragen einer Kippa in bestimmten Problemvierteln zu warnen, es aber als unproblematisch empfinden, wenn Sikhs mit dem Turban oder kopftuchtragende Frauen tagtäglich und strukturell diskriminiert werden.


Der politische Diskurs offenbart: Der Rechtspopulismus ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen, er ist salonfähig. Das ist der Grund, warum die krudesten Thesen und verfassungswidrige, prohibitive Vorstöße ernsthaft öffentlich verhandelt werden, solange der Islam am Pranger steht. Was in Bezug auf andere Religionen als indiskutable und jenseits des Sagbaren gilt, ist dann plötzlich gesellschaftsfähig. Unsere Antwort auf den Angriff freiheitlich demokratischer Werte darf nicht darin bestehen, Ausgrenzungsdiskursen die Deutungshoheit über das kollektive Bewusstsein zu geben und damit rechtspopulistischen und islamistischen Kräften das Lager zu überlassen. Wir verteidigen freiheitliche Werte nicht, indem wir denjenigen ähnlich werden, die sie angreifen.

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