Politik

Syrien, ein Land von Vielfalt und Einfältigkeit II

15.12.2013 - Lubna Yousef

Während unseres Telefonats hält sich Al-Almanie in der Türkei auf. Zwei Tage zuvor war er noch „an der Front“, an einer Kaserne vor Aleppo. Seine Stimme klingt zeitweilig enthusiastisch. Das Ziel vor Augen: Eine bessere Zukunft für seine Kinder und die kommenden Generationen zu schaffen. Aber gleichzeitig gequält, entsetzt und traurig über das Gesehene und Erlebte.

Ich frage ihn nach seinem Umgang mit Minderheiten, obwohl ich bereits den Eindruck gewonnen habe, dass es ihm nicht um konfessionelle Unterschiede geht. Seine Brigade kämpft nur gegen das Regime, sagt er und bestehe selbst aus unterschiedlichen Ethnien und Konfessionen, was keine Rolle spiele. Er plädiert für eine auf Wahl basierte Demokratie. Jede Konfession soll wählen und gewählt werden dürfen. Ich sage, dass die Opposition keinesfalls eine Einheit bildet. Er stimmt mir bedauernd zu. Ich weise darauf hin, dass es „Islamisten“ gebe, die kurdische Dörfer überfallen und Frauen und Kinder ermorden. Er antwortet, dass er auch mit seinen Männern darüber geredet hat, und dass sie es als genauso schlimm empfinden, wie er: „Ich verurteile das ganz, ganz arg!“ Abu Yasins Meinung nach, sollten derartige Kriegsverbrecher „einem Gericht übergeben werden“, ganz gleich, ob sie der FSA (Freie Syrische Armee), der Al- Nusrat Partei, oder anderen Gruppierungen angehören. „Auch wenn es mein eigener Bruder wäre“ fügt er hinzu. Ihm sind viele Fälle von Menschen bekannt, die sich zur Opposition bekennen und das Geld in „die eigene Tasche stecken“, in Hotels wohnen und andere für sich kämpfen lassen. Zudem sei zu beachten, dass sich nicht jeder  der sich als FSA Mitglied bezeichnet, bzw. von Medien so genannt wird, auch wirklich einer von ihnen ist. Auch die „Islamisten“ bereiten ihm Probleme, sagt er.  Dass im Namen der Opposition Verbrechen geschehen und zusätzlich auch noch die Religion instrumentalisiert wird, scheint ihn sehr zu schmerzen. Deshalb wünscht er sich mehr Aufklärung und Moral. Auf Zivilisten zu schießen, kommt für Abu Yasin nicht in Frage. „Dass wir das Gleiche machen wie das Regime, das geht nicht.“  Er und seine Soldaten seien müde und er wolle keinen Krieg. Wenn jemand Spaß am Krieg hat, könne er das nicht nachvollziehen und es demjenigen nur verübeln. Abu Yasin will, dass das Regime so schnell wie möglich gestürzt wird und Wahlen stattfinden. „Es muss eine neue Sozialstruktur aufgebaut werden“. Ihm geht es nicht um die eigene Generation, sondern um die Kommende, um seine Kinder. Er will, dass sie in Syrien ihre Meinung frei äußern dürfen.

 

Doch wie sieht der Weg dorthin aus? Ich frage Ammar Al-Jamous und die Völker- und Strafrechtlerin Sabine Birken welche Lösungswege sie sehen.
Al- Jamous sieht leider nur „militärische Lösungswege.“ Die beste Lösung sei, wenn die UNO dem Regime Flugverbot erteile und man von diesen Flugverbotszonen, direkte Angriffe auf das Regime führen würde. „Gäbe es eine politische Lösung, hätte man das Problem schon gelöst.“, bekräftigt Al-Jamous seinen  militärischen Vorschlag.

 

Auf meine Frage nach der Rolle von Konfessionen und Minderheiten, antwortet Al-Jamous, dass Minderheiten im syrischen Leben, kein Thema waren. „Wir sind so aufgezogen worden, dass wir alle Syrer sind.“ Er liefert mir einen differenzierten Überblick der unterschiedlichen Positionen der Minderheiten Syriens. Man könne nicht jede Minderheit als kollektives Ganzes, dem Regime oder der Opposition zuordnen. Es gebe beispielsweise Kurden, wie die PYD (Partei der Demokratischen Union), die seit 2011 mit dem Regime das Abkommen haben, ihre eigene Verwaltung aufzubauen; unter der Bedingung, dem Regime dafür nicht in den Rücken zu fallen. Ebenso gebe es Kurden auf der Seite der Opposition, die sich Brigaden der FSA angeschlossen haben. Was die assyrischen Christen betrifft, steht die Mehrheit von ihnen auf der Seite der Opposition, doch trafen einige Brigadeführer der FSA mit den christlichen Geistlichen die Übereinkunft, dass sich die Anhänger der assyrischen Kirche zurückziehen sollten, um dem Regime den Eindruck zu vermitteln sie stünden auf dessen Seite. Durch diese Strategie, wurden kirchliche Einrichtungen insgeheim als Lazarette für Verletzte genutzt. Ein Fakt, der hervorhebt, dass es sich nicht um einen konfessionellen Krieg handelt ist, dass der Premierminister des Iraks, Nuri Al- Maliki (ein gläubiger Schi'it), das Assad Regime scharf kritisierte oder wie Al Jamous sagt „verbal angriff“, obwohl es in den Medien gewöhnlich heißt, die Schiiten stünden auf der Seite des Assad-Regimes. Die Konfession ist also unbedeutend und die Verallgemeinerung angeblicher politischer Positionen von ethnischen und religiösen Gruppierungen, lenkt vom eigentlichen politischen Geschehen ab. Der Grund für die Kritik Al-Malikis (irakischer Premier) ist, dass das Assad-Regime in Syrien unter den Druck der USA, militärisch zu operieren versucht und mit Gegendruck antwortet, indem es in Syrien Terroristen ansammelt, die in den Irak geschickt werden, um Anschläge zu verüben. Hierdurch wurde die US-Armee geschwächt und die Stabilität des Landes gefährdet, weshalb der irakische Premierminister Al- Maliki? aufforderte, seine „Todeskämpfer“ gefälligst im eigenen Land zu behalten.

 

Auch der USA sind Anschläge, die nicht mehr ihre Armee betreffen, ein Dorn im Auge, da sie 2011 auszogen, weil sie  die Stabilität des Iraks gefährden. Denn ein „stabiler“ d.h. sich ihnen beugender Golfstaat, ist eine vergleichsbar sichere Ölquelle, als ein unkontrollierter chaotischer Irak. Doch weshalb lässt sich die Weltmacht USA, von dem Regime um den Finger wickeln und zögert so lange, die Opposition zu unterstützen. Weshalb setzt sich der rechtsstaatliche Westen nicht für einen Haftbefehl oder Gerichtsverfahren gegen das Al-Maliki Regime ein? Al-Jamous erinnert mich an die verlässliche ruhige Feindschaft zwischen Syrien und Israel. Assad ist ein Feind, auf den sich der israelische Staat verlassen kann, da er mit dem Westen kooperiert, Israel nicht anzugreifen. Die Gesamtheit der westlichen Staaten, USA und Deutschland eingeschlossen haben sich verpflichtet, dem Staat Israel, sein Existenzrecht zu gewähren. Wenn nun Assad durch eine Regierung ersetzt werden würde, die den israelischen Staat angreift, so muss der Westen politisch und militärisch Israel beistehen. Dies wäre eine politische, militärische und wirtschaftliche Belastung, da die Existenzsicherung Israels, bei Angriff eines Feindes, mit überaus teuren Waffen sichergestellt werden muss, für die der Westen aufkommen muss. Dies ist womöglich nur ein kleiner Aspekt und wir müssen uns wieder einmal eingestehen wie wenig wir wissen.

 

Zurück zu den Lösungsansätzen der Syrien Krise. Die Strafverteidigerin Sabine Birken sieht keine Lösung in Gewalt-Interaktionen. Für sie ist ganz klar, dass Assad vor ein Gericht, nach Den Haag gehört. Sie ist sich jedoch auch im Klaren darüber, wie schwierig es ist dies zu realisieren, und dass gegen den Präsidenten des Sudans, bereits ein Haftbefehl vorliegt, welcher jedoch bis jetzt nicht verhaftet wurde. Vielleicht wäre eine Möglichkeit, die Konfliktparteien in Syrien vom Kampf abzuhalten, eine hohe Anzahl an Blauhelmen, nach Syrien zu schicken, die sich als Instanz der UNO zwischen die Opposition und das Regime stellen. Eine  militärische Operation wie in Lybien, ist für Frau Birken kein Lösungsweg, denn wer sich als Rechtstaat bezeichnet, muss diesen Ansprüchen nicht nur im eigenen Land,  sondern auch gegenüber Menschen in anderen Ländern, gerecht werden. „Können wir uns nicht auf den Weg machen, die enormen technischen Entwicklungen für eine Weiterentwicklung unserer Zivilisation zu nutzen, in der das Wort "Krieg" nicht mehr als selbstverständliche Notwendigkeit angesehen wird? Und in einem weiteren Schritt das Wort ganz an Bedeutung für die Menschen verliert?", fragt sie und ich möchte ihre Position, wie auch die Positionen der anderen Experten, in Vielfalt nebeneinander stehen lassen. Der Konsens meiner vier Interview-Partner ist, dass die Medien unser Bild des Kriegszustandes bestimmen und dass ihre Berichterstattung undifferenziert und gefiltert ist, weshalb unser Bild dementsprechend unvollkommen ist. Das Puzzle in unseren Köpfen muss durch weitere Puzzleteile ergänzt werden. Jeder Wissende sollte sein Wissen mit der Welt teilen. Haben wir denn nicht ein Recht darauf?

 

 

 

 

Foto: © FreedomHouse

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