Indie-Pop-Band im Interview

Tonbandgerät: "Perfektionismus ist nicht unser wichtigstes Ziel"

15.08.2017 - Penelope Moysich

Seit zehn Jahren machen die Hamburger nun schon gemeinsam Musik. Mittlerweile ist Tonbandgerät weit über die Grenzen Hamburgs bekannt. Sie haben in den USA, Israel und China gespielt. Ole Specht und Sophia Poppensieker haben dem MILIEU Fragen zur Band, Politik und Träumen beantwortet und einen kleinen Ausblick in die Zukunft gegeben. Zusammen mit Isa Poppensieker und Jakob Sudau arbeiten die beiden an ihrem neuen Album, mit dem sie im nächsten Jahr auf Tour gehen wollen.

DAS MILIEU: Ihr seid jetzt seit zehn Jahren eine Band und habt schon unzählige Konzerte gespielt. Gibt es eins, das euch ganz besonders in Erinnerung geblieben ist?

Ole Specht: Da sprechen wir auch öfter drüber, weil wir ja schon so einige Konzerte gespielt haben und ich glaube, jeder von uns hat da eins, das für einen ganz besonders ist und an das er sich immer wieder zurückerinnert.

Bei mir war das zum Beispiel ein Konzert, das wir in Salt Lake City gespielt haben, als wir mit dem Goethe-Institut in den USA unterwegs waren. Am Ende ist es so ausgeufert, dass die Leute die Bühne gestürmt haben. Das ist, glaube ich, das verrückteste Konzert gewesen, das wir bisher gespielt haben und mein Lieblingskonzert.

Sophia Poppensieker: Bei mir ist es ein Konzert in Hamburg im Knust. Das war das erste Mal, dass wir in so einem großen Laden gespielt haben, wo 500 Leute reinpassen und wir hatten vorher echt Angst, ob genug Leute kommen. Und dann standen wir da und haben zum ersten Mal gesehen, wer so unsere Fans sind. Damals habe ich mir gedacht, geil wie die Leute so mitsingen. Ich hoffe, dass ich mich die nächsten Jahre genauso drüber freuen werde und es nicht irgendwann normal wird.

Specht: Aber, wenn man ehrlich ist, wechselt das auch immer wieder mal und man hat gar nicht das eine Konzert, sondern ganz viele, die auf ihre Weise besonders sind. Wir haben einfach schon so viele Konzerte gespielt, dass uns immer wieder tolle Sachen dazu einfallen.

MILIEU: Jeder Mensch hat Träume, die er nie alle umsetzt und sich dann von Zeit zu Zeit fragt, warum er so viele Sachen, die er machen wollte, nicht einfach mal gemacht hat. In eurem Song „Sekundenstill“ singt ihr „aus Träumen wurden Dinge, die wir einfach machten, obwohl alle dachten, dass wir es niemals schaffen.“. Was spornt euch an, trotz aller Widrigkeiten eure Träume zu verwirklichen?

Poppensieker: Ich denke, das Wichtigste ist, einfach nicht so dran zu denken, was alles schiefgehen könnte, sondern einfach mal was zu machen. Was wir auch relativ früh gelernt haben, ist, zeitlich gesehen einfach nicht so weit zu denken, sondern sich immer zu sagen: „Ok, jetzt kommt die nächste Woche und dann der nächste Monat und da kann so viel passieren.“ Wenn man in der Musikbranche immer versucht nur das ganz Große zu sehen, dann hört man wahrscheinlich auf.

MILIEU: Dann lasst ihr im Grunde das Leben auf euch zukommen und guckt, was es bringt?

Poppensieker: Es geht darum, das Leben schon aktiv zu gestalten, aber trotzdem nicht zu versuchen, alles immer sehr stark zu lenken oder zu verkrampfen.

Specht: Was wir auch relativ früh gelernt haben, ist, dass wir als Band Tonbandgerät schon in dem Sinne was Besonderes sind in dieser deutschen Musiklandschaft, weil wir ja wirklich noch als Schülerband angefangen haben. Wir haben uns in der Schule gegründet und einfach zusammen Musik gemacht. Gerade die deutschen Bands, die man so auf den Festivals trifft, von denen haben viele mit der Musik angefangen mit so einem professionellen Hintergedanken. Sie wollten gerne professionelle Musiker werden, haben einen großen Plan aufgestellt und das dann irgendwie durchgezogen. Und wir sind irgendwie so ein bisschen dahin gestolpert, wo wir jetzt grade sind, weil wir einfach nie aufgehört haben. Das zieht sich irgendwie so durch unsere Bandgeschichte - Das ist total schön. 

MILIEU: In einigen Eurer Songs wie z.B. Superman aber auch „Mauern aus Beton“ übt ihr gut verpackte Kritik an der Gesellschaft. Würdet ihr euch selber als politisch bezeichnen?

Poppensieker: Da haben wir lange sehr viel drüber diskutiert. Gerade am Anfang war da immer unsere Antwort, dass wir als Menschen politisch sind, aber nicht als Band. Aber mittlerweile würde ich das nicht mehr so unterschreiben.

Specht: Dadurch, dass wir einfach so viel zusammen sind und natürlich auch über alles sprechen, was grade so passiert, ist es zwangsläufig so, dass auch Songs dann politisch werden.

MILIEU: Glaubt ihr, dass eure Fans eure Songs auch deshalb so gerne hören, weil sie eben auch eine gesellschaftliche Kritik enthalten?

Specht: Gute Frage. Darüber haben wir uns, ehrlich gesagt, noch nie Gedanken gemacht.

Poppensieker: Ich glaube, es ist so eine Mischung. Mein Anspruch bei den Songs ist, dass sie verschiedene Ebenen haben und jeder das darin sehen kann, was er eben in dem Moment darin sehen will und was für ihn richtig und wichtig ist. Wenn jemand in einem Song etwas nicht sieht, was wir vielleicht darin sehen, und einfache eine gute Zeit mit uns verbringen will und Lust auf unsere Musik hat, dann finden wir das völlig ok. Und wenn dann jemand die Kritik dahinter erkennt, dann ist es doch umso besser. 

MILIEU: Ihr wart mit dem Goethe-Institut in den USA auf Tour, um jungen Amerikanern mit eurer Musik die deutsche Sprache näher zu bringen. Wenn ihr jetzt auf die USA schaut, was sind da eure Gedanken?

Specht: Wir haben ein Amerika kennengelernt, das uns ziemlich offen aufgenommen hat. Wir waren aber natürlich auch in so einer „Goethe-Institut-Blase“ unterwegs. Eigentlich haben wir ja nur Leute kennengelernt, die uns gegenüber sehr offen waren. Dadurch empfanden wir Amerika als sehr offen und freundlich. Wenn man jetzt so schaut, was drüben passiert, dann wird einem natürlich schon mulmig.

Wenn wir jetzt also über Amerika reden, dann ist es natürlich nicht so positiv, weil gerade einfach nicht so gute Dinge dort passieren. 

MILIEU: Auf der Welt gibt es viele verschiedene Sprachen, trotzdem heißt es immer, dass Musik verbindet. Glaubt ihr, dass man eure Musik und die Intention dahinter auch versteht, selbst wenn man nicht der deutschen Sprache mächtig ist?

Poppensieker: Ja, auf jeden Fall! Das haben wir auch in den USA total gemerkt, denn dort war das Level der deutschen Sprache unter den Schülern sehr, sehr unterschiedlich. Da gab es welche die konnten „Hallo“ und „Guten Tag“ sagen und dann gab es andere bei denen du dich gefragt hast: „Alter, wie haben die das in so jungen Jahren nur so schnell und gut gelernt?“

Und als wir in China und Israel waren, war das auch nochmal ganz anders.

Aber gerade bei den Konzerten hat man dann gemerkt und sie haben’s auch selber gesagt, ok die wissen oder fühlen, worum es in den Songs geht, ohne eben die ganzen Texte verstehen zu müssen. Das ist dann auch ein tolles Kompliment an uns.

MILIEU: Also habt ihr die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, bestimmte Gefühle in einem Song zu transportieren, ohne die Zuhörer dazu zu bringen, die Texte zu verstehen?

Specht: Ja, genau. Bevor wir nach Amerika gefahren sind, haben wir uns einfach nur gefreut, nach Amerika zu fahren und dort eine gute Zeit zu haben. Und ehrlich gesagt, waren wir am Anfang nicht so super überzeugt von diesem „Goethe-Institut-Konzept“, weil wir nicht sicher waren, ob das wirklich funktioniert. Die Idee war ja, dass man da Bands hinschickt, die auf der Bühne spielen, und dann passiert da was. Aber schon beim ersten Konzert waren wir so geflasht davon, wie die uns aufgenommen und die Musik verstanden haben, ohne sie zum Teil zu verstehen. Das war echt ganz besonders.

MILIEU: Dizzie Gillespie hat gesagt: „Es hat mein ganzes Leben gedauert, um zu wissen, was ich nicht spielen kann.“ Wisst ihr, was ihr nicht spielen könnt/wollt und wenn ja, warum

Poppensieker: Wir haben uns dieses relativ breite und große Gebiet der Popmusik ausgesucht, das zum Glück sehr viele Facetten hat. Deshalb ist für uns da noch ein bisschen was offen. Aber ich glaube nicht, dass wir je Metal machen werden, obwohl du sehr schön shouten kannst.

Specht: Dankeschön. Aber man muss auch sagen, dass sich das immer mal wieder verändert. Deshalb kann ich das natürlich verstehen. Wenn wir vor zehn Jahren die Demos hören würden, die wir heute machen, dann hätten wir die wahrscheinlich nicht so gut gefunden, weil wir damals einfach was ganz Anderes gut gefunden haben. Sowas verändert sich natürlich auch.

Poppensieker: Oder wir hätten gedacht: „Oh wie krass! So was können die mittlerweile spielen.“

Specht: Das kann natürlich gut sein. Damals waren auf jeden Fall nicht mehr als drei Akkorde drin. 

MILIEU: Ihr engagiert euch sozial. 2015 habt ihr zum Beispiel ein Benefizkonzert für syrische Flüchtlinge gespielt und diesen Mai habt ihr für das Hospiz Sternenbrücke gespielt. Gibt es ein Projekt, das euch besonders am Herzen liegt?

Specht: Diese Hospiz-Geschichte ist natürlich toll. In Wilhelmshaven haben wir auch schon einmal ein Hospiz besucht. Das war für uns sehr ergreifend. Wir sind da reingegangen und hatten vorher überhaupt keine Berührung mit Hospizen. Es war schon ergreifend, die Arbeit von den Menschen zu sehen, die da gemacht wird.

Poppensieker: Wo wir einfach immer gerne „Ja“ sagen und mitmachen, ist, wenn wir sehen, da ist ein Projekt, wo die Leute richtig viel reinstecken und tolle Sachen zustande bringen. Wir können dann mit unserem „kleinen“ Beitrag indem wir Musik spielen, auch noch was dazu geben und das freut uns dann immer.

MILIEU: Also geht es euch vor allem darum, Projekte zu unterstützen, bei denen ihr merkt, dass da Leute dahinterstehen, die mit Herzblut dabei sind und wo ihr einen kleinen Beitrag leisten könnt, um die Leute zu motivieren und auf diese Projekte aufmerksam zu machen?

Poppensieker: Ja, genau. Wir haben zum Glück einfach eine mediale Plattform und haben einen gewissen Bekanntheitsgrad. Es ist einfach toll, wenn wir unsere Fans auf Sachen aufmerksam machen können.

Wir machen ja zum Beispiel auch bei „Pfand-gehört-daneben“ mit. Was eigentlich eine sehr kleine Sache ist, aber viele von unseren Fans haben auch gesagt: „Cool, dass ihr uns das gezeigt habt. Wir haben bisher noch nie darüber nachgedacht, dass es doof ist, wenn eine Pfandflasche im Mülleimer landet.“

MILIEU: Ihr wollt eure mediale Präsenz also auch nutzen, um Leute auf kleine Dinge aufmerksam zu machen, die dann im Ganzen aber große Auswirkungen haben?

Specht: Ja, und vor allem machen wir viele Dinge, auf die wir auch Bock haben und die wir wahrscheinlich auch so privat machen würden. Das ist natürlich toll, wenn man so etwas als Band zusammenmachen kann. Wenn wir mit dem, was wir sowieso machen, nämlich Konzerte spielen, anderen eine Freude machen können, dann ist das doch super.

MILIEU: Bislang ist die weit verbreitete Ansicht ja, dass Klassik den oberen Gesellschaftsschichten vorbehalten ist und mit Pop eigentlich nicht wirklich kombinierbar ist. Als eine der ersten Bands seid ihr in der Elbphilharmonie aufgetreten, habt eure Musik an die akustischen Gegebenheiten angepasst und gezeigt, dass sich auch deutsche Popmusik und die Elbphilharmonie nicht ausschließen, sondern ein echt gutes Paar sind. Denkt ihr, es ist an der Zeit die strenge Trennung von Pop und Klassik hinter sich zu lassen?

Specht: Ja, das sowieso. Ich finde, das ist sowieso immer so ein Quatsch zu sagen, man hört nur das eine oder das andere. Jede Musik hat seine Berechtigung und dieses ganze Elbphilharmonie-Projekt hat uns sehr gefreut. Gerade wir als Hamburger haben es natürlich mitbekommen, wie viel Kritik an der Elbphilharmonie im Vorwege geübt wurde. Im Vorwege gab es einen großen Aufschrei, dass sie für die Oberschicht gebaut und man sowieso keine Karten bekommen würde, weil die viel zu teuer sind. Jetzt ist es aber so, dass man tatsächlich auch sehr günstig Karten bekommen kann. Gerade diese Verbindung von Klassik und Pop hat uns ziemlich überzeugt, da mal reinzugehen. Es war ein fantastischer Abend: Als Hamburger mal in der Elbphilharmonie auf der Bühne zu stehen, war ganz schön beeindruckend.

MILIEU: Könntet ihr euch denn auch vorstellen, ein komplettes Konzert akustisch zu spielen oder sogar eine Akustik-Tour zu machen? Das scheint ja momentan ziemlich hip zu sein….

Poppensieker: Nach der Elbphilharmonie haben wir viel darüber nachgedacht, weil das einfach unglaublich Spaß gemacht hat. Wir hatten da auch noch ein Cello und ein Klavier dabei. Das ist schon was Besonderes gewesen und war schade, dass es nur zwei Abende hintereinander waren. Die Chancen, dass wir mal eine Akustik-Tour machen stehen also ganz gut.

MILIEU: Agnetha Faltskog von ABBA sagte einmal: „Es gibt die Gefahr, auf der Suche nach Perfektion zu viel zu verändern.“ Erwartet ihr von euch einen perfekten Song oder könnt ihr auch hinterher noch einmal etwas ändern?

Poppensieker: Das kommt darauf an. Natürlich wollen wir die Songs gut machen, aber ich glaube, es ist noch nie jemand in den Proberaum mit dem Wort Perfektion reingekommen. Das ist aber auch was, was wir nie wollten. Wir haben uns ja auch damals als Schüler gegründet. Das Wichtigste war für uns immer, dass wir daran Spaß haben. Wir haben unsere Instrumente auch nie richtig professionell gelernt. Von daher ist Perfektionismus nicht unser wichtigstes Ziel.

Specht: Aber ich finde, manchmal kommt das schon raus. Beim Songwriting zum Beispiel, wenn man im Studio ist, geht es schon darum, dass man das Beste aus dem, was man gerade gemacht hat, rausholt. Und manchmal arbeitet man dann wirklich sehr lange an einem Song und an kleinen Dingen. Dann geht es schon in gewissem Maße um Perfektion. Also eher, damit man selber dann total glücklich mit dem Ergebnis ist. DEN perfekten Song gibt es doch eigentlich gar nicht.

MILIEU: Danke für das Interview, Sophia und Ole!

 

 

 

 

Foto: Alex Bach

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