Eine Frage des MILIEUs

"Wann bin ich intelligent?"

15.06.2017 - Prof. Aljoscha Neubauer

Es fällt uns nicht schwer, andere Menschen hinsichtlich ihrer Intelligenz oder auch ihrer Intellektualität zu beurteilen. Wir meinen ziemlich genau zu wissen, wann jemand intelligent ist, wer ein Genie ist, und wer eher nicht so schlau ist. Dabei sind wir auch gar nicht schlecht, wenn wir die Intelligenz von Bekannten aber auch von Menschen, die wir nur in kurzen aber aussagekräftigen Situationen (zum Beispiel beim Lösen eines Problems) gesehen haben; die Entsprechung mit der tatsächlich gemessenen Intelligenz, mit dem bekannten IQ, sind ähnlich, d.h. wir sind nicht perfekt in der Einschätzung der Intelligenz unseres Gegenübers, liegen aber oft auch nicht völlig daneben.

Tatsächlich ist Intelligenz einer jener menschlichen Charakterzüge, die wir an anderen Menschen relativ am besten beurteilen können, ähnlich gut wie wir sagen können, wie extravertiert oder introvertiert jemand ist; während wir andere Charaktermerkmale an anderen Menschen gar nicht gut einschätzen können, wie zum Beispiel ob jemand eher emotional labil oder stabil ist.

Intelligenz ist zudem jenes psychologische Merkmal, das wir am stärksten bei der Partnerwahl berücksichtigen. Das ‘Gleich und gleich gesinnt sich gern’ lässt sich nämlich fast nur bei der Intelligenz beobachten, bei den meisten anderen Persönlichkeitseigenschaften gibt es kaum Zusammenhänge zwischen den Partnern, weder positive noch negative (für das ‘Gegensätze ziehen sich an’ gibt es nur wenig Hinweise).

Intelligenz scheint also vielleicht doch wichtiger zu sein, als es oft in Diskussionen, in den Medien aber selbst in der psychologischen Forschung beurteilt wird: nach mehr als 100 Jahren empirischer Intelligenzforschung an zigtausenden Individuen ist es längst nicht mehr so, wie immer wieder behauptet wird: Es gäbe so viele Intelligenzdefinitionen wie Intelligenzforscher, Auch die zirkuläre Definition ‘Intelligenz ist, was der Intelligenztest misst’ trifft es nicht mehr. 

Heute wissen wir sehr genau was Intelligenz ist: Eine allgemeine Fähigkeit, gut logisch, abstrakt und schlussfolgernd denken zu können, komplexe Idee zu verstehen, vor allem aber auch schnell (aus Erfahrung) lernen zu können. Zwar wird immer wieder die Aussagekraft von Intelligenztests in Frage gestellt, aber kaum eine psychologische Eigenschaft des Menschen kann zuverlässiger und genauer gemessen werden als die Intelligenz. In den vergangenen 15 Jahren haben eine Reihe von Metastudien die inzwischen hunderten Einzelstudien zur Brauchbarkeit von Intelligenztests zusammengefasst und festgestellt: Intelligenztests erlauben – entgegen vieler populärpsychologischer Sichtweisen – die besten Vorhersagen darüber, wie erfolgreich jemand in Schule, Ausbildung und Beruf sein wird. Zudem konnten viele Einwände, wie zum Beispiel, dass mit zunehmender Berufserfahrung Intelligenz unwichtiger würde, entkräftet werden. Das heißt nicht, dass nur die Intelligenz die Bildungs- oder beruflichen Erfolge eines Menschen bestimmt. Andere Charaktereigenschaften wie Gewissenhaftigkeit, Fleiß, Ehrgeiz, Ausdauer, Entschlossenheit haben natürlich auch Einfluss auf den Erfolg eines Menschen, aber dass diese letztgenannten Charaktereigenschaften eigentlich viel wichtiger als Intelligenz seien, lässt sich im nicht erhärten. Intelligenz ist allerdings nur das Rohmaterial, gleichsam das Startkapital eines Menschen: die höchste angeborene Grundintelligenz nützt nichts, wenn man sie nicht nutzt, indem man lernt, übt und Wissen erwirbt. Außergewöhnliche Leistungen kommen fast immer durch das Zusammenwirken von hoher Intelligenz, hohem Fleiß und Durchhaltevermögen zustande, und natürlich braucht es auch eine Portion Glück im Leben.

Intelligenz verliert mit der Entwicklung zu Informationsgesellschaften auch nicht an Bedeutung. So wie manchmal behauptet wird: Wissen kann man ja auch googeln. Gerade in Zeiten des weltweiten Wettbewerbs um die besten Köpfe wird Intelligenz – und damit auch die Förderung besonders begabter Kinder – immer wichtiger. Denn in n den meisten Bereichen ist Intelligenz – neben Bildung und Wissen – eine zentrale Ressource für Kreativität und Innovation. Mit wenigen Ausnahmen ist hohe Kreativität nicht ohne hohe Intelligenz möglich, umgekehrt führt allerdings hohe Intelligenz nicht automatisch zu hoher Kreativität.

Das hat Implikationen für die Bildungssysteme: Selbstverständlich muss ein Bildungssystem auf die kognitiv Benachteiligten Rücksicht nehmen, aber das darf nicht zu Lasten der Förderung besonders Begabter gehen. Denn letztlich ist es oft diese Gruppe, die durch ihre Innovationskraft erst die Sozialsysteme sichert, die es uns erlauben, auch die weniger Privilegierten zu fördern.

Aber vielleicht sollten wir weniger auf die klassische, kognitive Intelligenz setzen. Sind nicht die soziale oder die emotionale Intelligenz oder noch andere Intelligenzen viel wichtiger? Seit Howard Gardners Theorie der Multiplen Intelligenzen erleben wir, dass heute fast jede gute (und manchmal auch zweifelhafte) Eigenschaft zur Intelligenz hochstilisiert wird (da ist von kinästhetischer, spiritueller, sexueller bis hin zur Party- oder Machtintelligenz die Rede). Das ist übertrieben. . Manche dieser Fähigkeiten oder Fertigkeiten sind durchaus wichtig und sind auch Gegenstand psychologischer Forschung, und es gibt zum Teil sogar vereinzelt ganz brauchbare Tests z.B. für ‘Emotionale Intelligenz’. Und wenn auch gerade Tests für soziale und emotionale Kompetenzen durchaus sinnvoll sein können: Sie messen definitiv keine ‘Intelligenz’, denn sie haben nachweislich keine Zusammenhänge mit dem IQ.

Schließlich werde ich oft gefragt, ob Intelligenz nicht auch so etwas wie Tugendhaftigkeit bedeutet. Ein Diktator könne ja nicht als intelligent bezeichnet werden, ein Mahatma Gandhi oder Mutter Teresa müssten hingegen hoch intelligent gewesen sein. Letzterem würde ich nicht widersprechen, aber auch so manche brutale Führungsfiguren der älteren oder jüngeren Geschichte waren nachweislich hoch intelligent. Auch hier gilt: Intelligenz ist eine (zentrale) Ressource auch für Führungskräfte. Wozu sie jemand letztlich verwendet ist eine moralische Frage, eine Frage des Wertesystems, und korreliert  keineswegs mit Intelligenz. . Obgleich man gerade in der jüngsten Geschichte nicht immer den Eindruck hat, dass sich Intelligenz bei demokratischen Wahlen durchsetzt. 

 

 

Aljoscha Neubauer ist ein österreichischer Psychologe und Professor für Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Graz.

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