Eine Frage des MILIEUs

"War Goethe Muslim?"

15.07.2016 - Samet Er

Die Beschäftigung deutscher Philosophen, Dichter und Literaturwissenschaftler mit dem Orient bzw. Islam gehört zu den bemerkenswertesten Phänomenen der jüngsten deutschen Literaturgeschichte. Namen wie Leibniz (1710), Lessing (1779), Kant (1793), Thomas Carlyle (1840) und Herder haben sich immer wieder mit der islamischen Kultur und Poesie beschäftigt.

Auffallend jedoch ist die Beschäftigung Goethes mit dem Islam, welche von der Goetheforscherin, Katharina Mommsen, „mehr als das Toleranzbestreben der Aufklärungsbewegung“ bezeichnet wurde. Anders als viele seiner Vor- und Nachgänger beschäftigte sich Goethe jahrzehntelang mit dem Koran, dem Propheten Muhammad und vor allem mit Glaubensaspekten der Muslime.

Obwohl der Islam einen sehr großen Teil im Leben Goethes ausmachte, kam es erst 1987 durch Katharina Mommsen zu einer umfassenden Studie über die Beschäftigung Goethes mit dem Islam. Die Studie Mommsens sorgte in der westlichen Welt für wenig Aufmerksamkeit, stieß jedoch in der islamischen Welt auf große Begeisterung. Fatwas über den „muslimischen“ Goethe wurden hin und hergeworfen. Es ist eigentlich auch nicht anders zu erwarten, wenn der liebenswerte Goethe über sich selbst „der Verfasser des Buches lehne den Verdacht nicht ab, daß er selbst ein Muselman sei“ schreibt.

Doch um diese Aussage zu verstehen, bedarf es einer gründlichen Untersuchung des Lebens Goethes. Goethe beschäftigte sich, angefangen mit 22 Jahren, bis zu seinem Tod mit dem Islam. Er war also recht belesen und kannte sich mit den kleinsten Details der islamischen Religion aus. Schon mit 22 Jahren las er den Koran zwei Mal und schrieb einige Verse heraus, die ihn ansprachen oder stark beeinflussten. In diesen Exzerpten geht es unter anderem um die Stellung des Propheten im Islam, um die Suche nach Gott in der Natur und in unserem Falle um die Prädestinationslehre.

Die Prädestinationslehre beschäftigte den jungen und alten Goethe stark. Als ich mir seine Notizen durchschaute, merkte ich, dass er ein Zitat von Albrecht Dürer, in dem es um Prädestinationslehre geht, mehrmals unterstrichen hatte, welches im Einklang mit seiner Beschäftigung der islamischen Religion steht. Dürer gibt als Antwort auf die Frage, was Prädestination sei, folgendes: „Gott ist mächtiger und weiser als wir; drum macht er es mit uns nach seinem Gefallen. Niemand kann sich umprägen und niemand seinem Schicksale entgehen.“

Vor allem in den letzten Lebensjahren bedurfte es Goethe an tiefem Schicksalsglauben. Es fiel ihm schwer, dass seine Nächsten von Tag zu Tag starben. Da er sehr belesen war und sich jahrelang mit der islamischen Religion auseinandersetzte, wusste er, welchen starken und motivierenden Schicksalsglauben die Muslime haben. So glaubte er wie die Muslime an das Schicksal und bezeichnete dies als „hülfreiche Maxime“: „Der Mensch, wenn er sich getreu bleibt, findet zu jedem Zustande eine hülfreiche Maxime; (...) Die Mahomedanische Religion gibt hievon den besten Beweis.“ (WA I, 33, 123)

Aus diesem Grund sind seine oft zitierten Aussagen: „dem Islam bekennen“, „Im Islam leben wir alle“ und „im Islam verharren“ nicht unbedingt als Zeichen für den islamischen Glauben Goethes, wie oft behauptet, zu verstehen.

Goethe reagierte auf die Meinungen, die ihn zum Muslim machen ? als ob vorausgeahnt ? als närrisch bzw. albern und lächerlich und gab lehrend selber die Definition des Begriffs „Islam“: „Wenn Islam Gott ergeben heißt, Im Islam leben und sterben wir alle“, wo ich mir das Schmunzeln nicht verweigern kann.

„Närrisch, daß jeder in seinem Falle
Seine besondere Meinung preist!
Wenn Islam Gott ergeben heißt,
Im Islam leben und sterben wir alle.“

Sein Verdacht also, dass er nicht ablehne, „daß er selbst ein Muselmann sei“ ist nichts anderes, als weiterhin in Gottergebenheit, also im Islam zu verharren. Denn Islam bedeutet wie uns allen bewusst ist unter anderem „sich Gott ergeben“ und Muselmann in diesem Falle „einer, der den Islam auslebt bzw. einer, der sich Gott ergibt“. Goethe nahm also den Islam vielmehr als Maßstab für die Schicksalsschläge, die unumgänglich den Menschen treffen: „Jenes philosophische System der Mohammedaner ist ein artiger Maßstab, den man an sich und andere anlegen kann, um zu erfahren, auf welcher Stufe geistiger Tugend man denn eigentlich stehe.“

Aber dennoch finde ich es erwähnenswert, dass aus den Werken, Aussagen und Briefen zusammengefasst entnommen werden kann, dass er an die Einheit Gottes, an die Prophetenschaft Muhammads, an Engel, an heilige Schriften, an das Schicksal und das Jenseits glaubte.

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen