Eine Frage des MILIEUs

"War's das mit der Kirche?"

15.03.2015 - Ulrich Parzany

Ist die Kirche ein Auslaufmodell? Kirchengebäude stehen zum Verkauf. Mitgliederzahlen schrumpfen. Kirchenleitungen nennen die alternde Bevölkerung als einen Grund. Leute, die nur aus Traditionsgründen Kirchenmitglieder sind und deren Service nur zur Hochzeit und Beerdigung in Anspruch nehmen, treten bei irgendeiner passenden Gelegenheit aus. Von den Mitgliedern der evangelischen Kirche nehmen nur knapp vier Prozent an den Gottesdiensten teil. Geht’s abwärts?

Was ist eigentlich eine Kirche? Das Wort ist abgeleitet vom griechischen „ekklesía kyriakä“. Das bedeutet „Versammlung, die zu dem Herrn gehört“. Mit dem Herrn ist Jesus Christus gemeint. Eine  Kirche ist also nicht zuerst ein Gebäude oder eine Organisation, sondern die Kirche, das sind Menschen, die dem gekreuzigten und auferstandenen Jesus Christus nachfolgen.

In China gibt es heute 80 bis vermutlich sogar 140 Millionen Christen, obwohl die Kirche dort vor 50 Jahren gewaltsam ausgerottet werden sollte. In Asien, Afrika, Lateinamerika wachsen die christlichen Kirchen rasant. Sie wachsen auch in Ländern, in denen es keine Religionsfreiheit gibt. Nur in Westeuropa schrumpfen Kirchen.

Allerdings erlebe ich auch in Deutschland – und zwar in Ost und West, Nord und Süd – volle Gottesdienste, fröhliche und feierliche, mit vielen jungen Leuten und jungen Familien. Sie treffen sich in modernen Gemeindezentren in Gewerbegebieten, in gemieteten Räumen von Clubs und Kulturzentren, auch in historischen Kirchen. Ihr Kennzeichen: Jesus Christus ist bei ihnen der Wichtigste. Sie lesen die Bibel und wenden auf ihr Leben an, was sie verstanden haben. Sie beten mit Begeisterung. Manche singen und beten in liturgischen Formen, manche spontan und emotional.  Sie helfen sich gegenseitig im Alltag und kümmern sich um Menschen in Not. Viele kommen aus Familien, die zwar nominell Kirchenmitglieder sind, aber nie in einen Gottesdienst gingen und nichts von der Bibel wissen wollten. Andere kommen aus atheistischen Milieus oder haben esoterische Angebote ausprobiert.

Solche lebendigen, wachsenden Gemeinden gibt es in den sogenannten Landeskirchen und in Freikirchen, die nicht an das Kirchensteuersystem der großen Kirchenorganisationen angeschlossen sind und es auch nicht sein wollen. Ich bin evangelischer Pfarrer und kenne mich im evangelischen Bereich besser aus als im römisch-katholischen. Aber auch dort erlebe ich solche Aufbrüche.

Ich glaube, dass Kirchenorganisationen absterben können. Sie müssen es sogar, wenn sie die Bibel nicht mehr als das Wort Gottes ernst nehmen. Eine Organisation, die ihre Grundlagen mit Füßen tritt, verdient aufgelöst zu werden. Ich erlebe leider auch, dass die von mir beschriebenen wachsenden Gemeinden von kirchlichen Funktionären und staatlich bezahlten Theologie-Professoren als Fundamentalisten beschimpft werden. Dabei folgen diese Christen in ihren Gemeinden nur dem, was Martin Luther vor 500 Jahren zur Reformation der Kirche antrieb: Sie vertrauen auf Jesus Christus, in dem Gott sich uns Menschen in Liebe offenbart. Und sie orientieren sich an der Bibel als der Urkunde der Offenbarung Gottes. Die Bibel ist für sie der Maßstab für ihren Glauben und ihr Leben.

Dabei haben sie kein Problem damit, sich in einer pluralistischen Gesellschaft zu bewegen. Sie erleben täglich, dass die Mehrheit der Gesellschaft in Deutschland den Glauben an Jesus Christus nicht teilt. Das führt dazu, dass sie ihre Entscheidung für diesen Glauben solide begründen müssen. Das ist gesund. Eine demokratische Gesellschaft braucht den öffentlichen Diskurs. Wenn gegensätzliche Überzeugungen nicht durch Kompromissen in gemeinsame überführt werden können, müssen wir die friedliche Austragung der Kontroverse vereinbaren und praktizieren. Darin besteht die politische Tugend der Toleranz.

In den ersten drei Jahrhunderten waren die Christen eine zum Teil verfolgte, aber ziemlich dynamische Minderheit im römischen Reich. Als das Christentum zur Staatsreligion erklärt wurde, sind die Kirchen von der Machtgier vergiftet worden. Der christliche Glaube wurde den Untertanen aufgezwungen. Das Ergebnis war Heuchelei und Verrat an Jesus mit verheerenden Folgen bis heute. Protest- und Erneuerungsbewegungen entzündeten sich immer wieder an der Bibel, wurden aber von den Machthabern in Kirche und Staat blutig unterdrückt und verfolgt.

Die Großorganisationen der sogenannten Landeskirchen sind die Überbleibsel dieser Fehlentwicklung. Sie werden sich so lange halten, wie die Mehrheit ihrer Mitglieder ihren Kirchensteuerbeitrag zahlt, obwohl sie nicht an die Botschaft der Bibel glauben und die Gottesdienste nicht besuchen. Ich finde es nicht überraschend, dass - veranlasst durch diesen oder jenen Skandal - in den Kirchen die Austrittswelle immer wieder einmal anschwillt. Ich finde es allerdings traurig, dass die Funktionäre in den Kirchen keinen erkennbaren Eifer entwickeln, ihren zahlenden, aber passiven Mitgliedern die Botschaft von Jesus Christus einladend und zur Entscheidung herausfordernd nahezubringen. Sie hätten viele Möglichkeiten dazu. Der spirituelle Hunger der Menschen ist heute riesengroß. Aber viele meiner Kollegen kritisieren sogar, wenn ich öffentlich die Menschen einlade, die Bibel zu lesen und Jesus Christus nachzufolgen. Ich bin nämlich der Überzeugung, dass Jesus recht hat, wenn er sagt: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich.“ (Evangelium des Johannes, Kapitel 14, Vers 6)


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