Eine Frage des MILIEUs

"Warum wollen wir haben, was wir nicht kriegen können?"

15.04.2015 - Dr. Jan Crusius

Redlich müht sich der Fuchs, die am Baum hängenden Trauben zu erreichen. Doch alle Anstrengung ist umsonst. So nah sie auch scheinen, die begehrten Früchte hängen etwas zu hoch. „Sie sind mir viel zu sauer“ sagt der Fuchs verächtlich. Er dient als lächerliches Beispiel für unsere Bereitschaft die Welt in Gedanken „passend“ zu machen.

Doch haben wir Äsops Spott verdient, wenn wir uns - wie der Fuchs - ein wenig verbiegen, wenn etwas aussichtslos ist? Ist es nicht vernünftig, ein Zeichen mentaler Gesundheit, loszulassen, weiterzuziehen und sich neuen Zielen zuzuwenden? „Glücklich ist, wer vergisst, was doch nicht zu ändern ist“ tröstete ein gestickter Sinnspruch über dem Sofa meiner Großmutter. Allein das ist nicht immer so einfach. Wird unser Begehren nicht manchmal gerade dadurch angestachelt, dass wir etwas nicht bekommen können?


Der amerikanische Psychologe Jack Brehm hat dies in den 1960er Jahren untersucht. Er bat Studenten, eine Reihe von Schallplatten zu bewerten und versprach ihnen eine zufällige davon als Belohnung. Am Ende der Befragung war eine der Schallplatten nicht verfügbar, sie sei nicht geliefert worden. Wie reagierten die Studenten? Wie der Fuchs in der Fabel - und im Sinne des Sofabildes klug - werteten sie die unerreichbare Belohnung ab. Doch es gab eine weitere Gruppe von Studenten. Ihnen war versprochen worden, sich zur Belohnung eine beliebige Schallplatte aussuchen zu dürfen. Wie reagierten sie auf die schlechte Nachricht? Die unerreichbare Belohnung schien ihnen nun viel attraktiver als zuvor.


Wir finden uns manchmal also ohne Weiteres damit ab, etwas nicht zu bekommen. Aber wir reagieren empfindlich darauf, wenn unsere Freiheit eingeschränkt wird. So kann auch ein Verbot die verbotene Handlung umso anziehender machen. Der Apfel vom Baum der Erkenntnis in der biblischen Geschichte von Adam und Eva mag eine Warnung vor den Kräften sein, die dieser Reiz des Verbotenen entfesseln kann. Er deutet aber auch darauf hin, dass die Unerreichbarkeit manchmal selbst zum Merkmal des Interessanten und Begehrenswerten wird. Gibt es - aus Sicht eines Fünfzehnjährigen - eine bessere Werbung für einen Film als die Markierung „ab 18“?
Heute hat der Apfel als Symbol der Sünde ausgedient. Er ist zum Symbol des Konsums geworden. Hangzhou, San Francisco, Berlin: Lange Schlangen stehen vor den Apple-Stores, wenn ein neues technisches Wunderwerk verheißungsvoll, noch unerreichbar hinter Schaufenstern zum ersten Mal auf Kunden wartet. Manche haben weite Reisen hinter sich, haben in Zelten vor dem Geschäft übernachtet um die Ersten zu sein. Die Unerreichbarkeit, die teure Exklusivität verspricht hier, dass man etwas Besonders ist, dass man sich hervorhebt. Es überrascht daher nicht, dass die vermeintliche und tatsächliche Verknappung zum Einmaleins des Verkaufens gehört: „Einmaliges Angebot!“, „Nur so lange der Vorrat reicht!“, „Limitierte Edition!“ Praktischen Nutzen hat die vom Designer aufgerissene Jeans kaum, aber sie weist den Besitzer als jemanden aus, der sich auskennt und der es sich leisten kann.


Umgekehrt gilt , dass es häufig die unerreichbaren Besitztümer und Erfolge anderer sind, die unseren Wunsch nach ihnen umso intensiver machen. Mimetisches Begehren nannte der französische Philosoph René Girard die menschliche Neigung, gerade das zu wollen, was andere haben. Für Evolutionspsychologen ist der Neid, der in solchen Situationen entstehen kann, ein emotionales Alarmsignal. Eine schmerzhafte Botschaft an uns, dass etwas nicht stimmt. Dass wir uns mehr anstrengend müssen, um Nachteile gegenüber anderen auszugleichen. Bei allen hässlichen Folgen, die der Neid haben kann - er spornt uns auch zu höheren Leistungen an.


Viel eitle Unvernunft scheint dem Streben nach dem Unerreichbaren, dem Seltenen und dem Verbotenen inne zu wohnen. Dennoch offenbart sie, was uns als Menschen antreibt: das Bedürfnis nach Freiheit, die Neugier auf das Unbekannte und der Wunsch einzigartig und erfolgreich zu sein.

 

 

 

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