Eine Frage des MILIEUs

"Warum wollen wir Sieger fallen sehen?"

01.08.2015 - Johannes Lierfeld

Bereits bei David gegen Goliath waren die Sympathien eindeutig nicht beim Favoriten. Jeder, der einmal vom Sieger zum Verlierer geworden ist, kennt den Neid der weniger Erfolgreichen – ganz gleichgültig, ob im Sport oder im Beruf.

Sieger stehen für Überlegenheit und perfekte Leistung. Damit geraten sie in die Missgunst des weniger erfolgreichen Durchschnittsmenschen. Der Neider sieht in der Regel nur das herausragende Resultat, weniger den überdurchschnittlichen Einsatz, der für den Sieg erforderlich war.

10.000 Stunden intensive Beschäftigung mit der Sache sind der Preis für Meisterschaft, egal, ob es das virtuosen Beherrschung eines Instruments, das Schreiben eines Romans oder die Meisterschaft in einer Sportart ist... Nur, wer bereit ist, diesen Preis an Konsistenz, Einsatz und Fleiß zu zahlen hat Chancen auf einen Sieg.

Doch es fällt leicht, diese Anstrengungen zu ignorieren und einen sportlichen Sieg mit dem Hinweis auf Begabung oder Doping und einen beruflichen Erfolg mit Hinweis auf eine eine korrumpierte Vetternwirtschaft zu relativieren. Das mag zwar bisweilen so sein, aber dieses Denken folgt dem altbekannten Mechanismus der kognitiven Dissonanz. 

Wir wollen die Überlegenheit des Siegers relativieren um seinen Abstand zu unserer eigenen Mittelmäßigkeit klein werden zu lassen.  Indem der Unterlegene die Leistung des Siegers relativiert, erkennt er dessen Anstrengungen gerade nicht an, sondern verdrängt sein eigenes Minderwertigkeitsgefühl. Doch es muss nicht immer Neid sein, den wir gegenüber Siegern empfinden. Wir stellen uns auch gerne auf die Seite derer, die nicht qua Geburt, Genetik oder unlauterer Praktiken auf die Siegerstraße gekommen sind.

Diese Sympathie mit „David“ erklärt auch den Erfolg von Underdog-Filmen wie „ROCKY“ und findet schließlich eine vielschichtige Verdrehung der Prämissen des Underdog-Status in „FOXCATCHER“. Während Rocky Balboa das Publikum mit seinem Arbeitswillen für sich einnimmt, sind die Protagonisten in „FOXCATCHER“ bereits auf dem Olymp angekommen: Als Goldmedaillengewinner sind die Brüder Mark und Dave Schultz Ikonen ihres Sports, aber sie sind alles andere als Nationalhelden. Materiell unterprivilegiert und vom Staat vergessen, geraten sie in den Dunstkreis des größenwahnsinnigen Multimillionärs John du Pont. Unter dem Vorwand, auf seiner titelgebenden „Foxcatcher“-Farm das amerikaweit führende Leistungszentrum für Ringer aufzubauen, sonnt sich du Pont in der Abhängigkeit seiner Schützlinge, die er demütigt und manipuliert. Man wünscht diesem vermeintlichen Gewinner einen tiefen Fall, doch die Realität, auf der das brillant gespielte und inszenierte Drama beruht, will es anders: Der durch Geburt inthronisierte Gewinner kann seine übermächtig gewordenen kognitiven Dissonanzen nur überwinden, indem er einen der beiden Brüder erschießt. Damit ist ein Underdog und zugleich ein wahrer Sieger umgebracht worden... Doch auch der psychotische Täter John du Pont hat die von ihm aufgebaute gesellschaftliche Illusion zum Einsturz, sich damit selbst zu Fall gebracht. 

Der übermächtige Gregor "THE MOUNTAIN" Clegane, dargestellt von Weltklasse-Strongman Julius Hafthor Björnsson, war der klare Favorit im Duell gegen den ebenso leichtgewichtigen wie leichtfüßigen Prinz Oberyn Martell in der epischen Fantasyserie "GAME OF THRONES". Aber „Goliath“ steht selten in der Gunst des Publikums, und so mag der vernichtende Speerstich, mit dem „David“ Oberyn die Brust des Barbaren durchbohrt, für temporäre Erleichterung gesorgt haben – nur, um kurz darauf angesichts der schieren Brutalität des geschlagen geglaubten „Goliath“ umso fulminanter in blankes Entsetzen umzuschlagen. In dieser „David vs Goliath“ Variation starben scheinbar beide Kontrahenten, doch einer von ihnen sollte zurückkommen... 

Die Betrachtungen von Siegern, denen wir einen tiefen Fall wünschen (oder die dies zumindest provozieren) sollen mit der Erwähnung von Superhelden abgeschlossen werden. Bruce "BATMAN" Wayne stellt den prototypischen Fall eines solchen Siegers dar. Von Geburt Milliardär, umfangreich gebildet und gleichermaßen an Privilegien wie an Arroganz gewohnt, wandelt der Held von Gotham City auf dem schmalen Grad zwischen Altruismus und Egozentrismus. Als Verbrecher gebrandmarkt, fristet Wayne ein Schattendasein und wird sogar im selben Gefängnis eingekerkert, dem seine verschwörerischen Widersacher einst entkommen waren. Es erscheint naheliegend, dass die damit verbundenen Leiden nicht nur Empathie, sondern auch eine latente Genugtuung erzeugen mögen. Letztendlich erscheint es als Frage der Balance: Je höher die Sphären, an die der Held gewöhnt ist, desto tiefer der Keller in die er gestoßen werden muss. 

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