Eine Frage des MILIEUs

"Wie funktioniert Scientology?"

15.12.2017 - Markus Engelberth

Mehr als jemals zuvor in ihrer Geschichte steht Scientology mittlerweile im Fokus der Medien. Der Dokumentarfilm »Scientology: Ein Glaubensgefängnis« und die Doku-Reihe »Leah Remini: Ein Leben nach Scientology« des ehemaligen »King of Queens«-Stars haben Millionen von Menschen hinter die glänzende Fassade blicken lassen. Eine ständig wachsende Zahl von Menschen zeigt auf sozialen Plattformen intensives Interesse an diesem Thema und ist gleichzeitig schockiert zu erfahren, welche Praktiken die Organisation an den Tag legt, wie diese totalitäre Insel inmitten unserer Demokratie die Jahrzehnte fast unbehelligt überdauern konnte.

Scientology funktioniert zunächst einmal, weil ebenso die Masche mit dem Enkeltrick, mit dem verarmten nigerianischen Prinzen oder die Abzocke auf Kaffeefahrten, funktioniert. Doch während der Betrüger gewöhnlich seinen Betrug durchzieht und sich aus dem Staub macht, bleibt Scientology präsent und will, dass das Opfer das Gleiche macht wie sie - das Praktizieren von Scientology. Viele Betrügereien kommen wegen unserer Reputation nicht zu Tage, denn der Ruf kommuniziert für uns. Wir wollen das andere Menschen gut über uns denken, dass sie uns für stark, intelligent und integer halten und so fürchten wir das Gegenteil: zum Beispiel als jemand gesehen zu werden, der auf einen Betrug hereingefallen ist.

Im Wesentlichen präsentiert sich Scientology als Selbsthilfe, als anwendbare Philosophie zur Verbesserung des Lebens, mit einem mystischen Überzug, die L. Ron Hubbard aus verschiedenen Quellen zusammengestellt hat. Bei der Anwerbung setzt Scientology primär auf den Persönlichkeitstest und versucht bei der Person eine entscheidende Schwäche zu finden und dann eine Lösung mit »Scientology kann Ihnen helfen!« anzubieten. Einen höheren IQ? Höheres Bewusstsein? Weniger Stress? Bessere Beziehung? Das ist sehr verführerisch und grundsätzlich ist jeder dafür anfällig, denn wer will nicht sein Leben verbessern?

»Fortgeschrittene Kurse sind die nutzvollsten Dienstleistungen auf diesem Planeten«, sagte Hubbard. Geld ist vergänglich, aber fortgeschrittene Kurse währen ewig und geben einem Unsterblichkeit, lautet der Tenor. Es kostet über eine halbe Million Euro um die »Brücke zur völligen Freiheit« zu absolvieren, die in Wirklichkeit nur ein Hamsterrad zum Geld machen ist. Das System ist sehr heimtückisch, denn dabei wird dem Mitglied die Illusion von Freiheit und Verbesserung vermittelt, während jeder zum Feind gemacht wird der versucht, sie daraus zu befreien oder ihr die Augen zu öffnen.

Durch die systematische und andauernde Manipulation, kombiniert mit gruppendynamischen Prozessen, werden die Denkweise, die Überzeugungen und die Wahrnehmungen der Person beeinflusst. Innerhalb von Scientology herrscht eine ausgeprägte Elitenmentalität vor - Scientologen sehen sich als einzige Hoffnung die Menschheit mit ihrer »Technologie« retten zu können. Außenstehende werden geringschätzend als »Wog« (ein Schimpfwort aus dem englischen Sprachgebrauch) bezeichnet - dem gegenüber stehen die »fähigen Scientologen«. Die Erschaffung künstlicher Feinde (z. B. Psychiater), die es zu bekämpfen gibt, verstärkt wiederum die Bindung an die Gruppe und es ist dadurch viel leichter Aufopferung von den Anhängern abzuverlangen.

Die wichtigste Frage ist allerdings, funktioniert Scientology tatsächlich? Hält die Organisation ihre Versprechen, dass Menschen dort ihr volles geistiges Potential erlangen und frei von unvernünftigem Verhalten werden? »Heutzutage funktioniert die Scientology-Technologie bei jedem Fall«, schrieb Gründer L. Ron Hubbard. In Scientology bezieht sich das Wort »Technologie« auf die Methoden der Anwendung der Prinzipien von Scientology.

Der wohl bekannteste Fall, wo die Methoden von Scientology nicht funktioniert haben ist Lisa McPherson, die in der Obhut von Scientology im »Introspection Rundown« starb. Oder Rex Fowler, immerhin ein OT der Stufe 7, der seinen Geschäftspartner ermordete. Erst vor wenigen Wochen sprang der bekennende Scientologe Brad Bufanda, der durch seine Rolle aus der Serie »Veronica Mars« Bekanntheit erlangte, von einem Gebäude in Los Angeles in den Tod. Auf seiner Vita bei Scientology stand unter anderem der Lebensverbesserungskurs »Das Auf und Ab im Leben bewältigen«. Die Liste, wo Scientology nicht funktioniert hat, ließe sich beliebig lang fortsetzen. Ebenso konnte noch kein einziger »Operierender Thetan« auch nur ansatzweise irgendwelche besondere Fähigkeiten demonstrieren.

Scientology funktioniert nur in einer geschlossenen Blase, wo jeder Anhänger bekräftigend übereinstimmt, dass Scientology zu 100 Prozent funktioniert - auch wenn es das nicht tut. Sichergestellt wird diese absolute Kritiklosigkeit partiell durch das System »Wissensberichte«, wo jeder Scientologe jeden Scientologen bespitzelt und über Verfehlungen berichtet. Kein Anhänger soll sich sicher fühlen wenn er unerwünschte Gedanken laut äußert, Scientology kritische Literatur liest oder Kontakt zu Feinden der Organisation aufnimmt.

Die Konsequenzen reichen von einfacher Wiedergutmachung, über eine Sicherheitsüberprüfung (die man noch selbst bezahlen muss!) bis hin das gefürchtete »Suppressive Person-Declare« zu erhalten - das letzte Kontrollmittel der düsteren Scientology-Justiz. Die scientologische Exkommunikation erklärt den Straftäter zur »unterdrückerischen Person« und verpflichtet alle linientreuen Scientologen, jeden Kontakt zu ihm sofort abzubrechen. Diese Praktik trennt Mann und Frau und Eltern von Kindern.

Welchen Begriff man immer auch für übermäßige und unzulässige Beeinflussung wählen möchte, die Techniken sind immer die dieselben, und die Verwendung nimmt überhand in unserer Gesellschaft. Sektenführer gehen genauso vor wie totalitäre Herrscher, Terroristen verwenden sie, um junge idealistische Menschen zu radikalisieren und ebenso Personen, die häusliche Gewalt ausüben.

Nur ein grundlegendes Verständnis von destruktiven Beeinflussungsmethoden kann unsere Gesellschaft immun gegen Extremismus machen, denn nur wer die Mechanismen dahinter verstanden hat, ist in der Lage, sich davor zu schützen. Die sozialpsychologischen Strategien gefährlicher Gruppierungen sind fest am Boden wissenschaftlicher Forschung verankert, und es wäre an der Zeit, dass diese auch in Schulen auf der ganzen Welt auf dem Lehrplan stehen.

 

 

Markus Engelberth ist Betreiber des Blogs "Destruktive Gruppen Erkennen"

 

Foto: Scientology Media

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