Satiriker im Interview

Wiglaf Droste: "Wer seine Intuition bewahrt, wird spüren, wenn etwas aufgesetzt ist"

15.08.2017 - Daniela Steppe

Laut Duden ist „Satire“ eine „Kunstgattung, die durch Übertreibung, Ironie und beißenden Spott an Personen oder Ereignissen Kritik übt, sie der Lächerlichkeit preisgibt, Zustände anprangert und mit scharfem Witz geißelt.“ Mit Satire macht man sich also nicht nur Freunde, sondern man eckt an. DAS MILIEU sprach mit dem Satiriker Wiglaf Droste, der nebenbei auch Dichter, Sänger, Katzenfreund und Kolumnist ist, über das Leben, den gesunden Menschenverstand und warum man sich nicht alles andrehen lassen sollte, was die ‚Happiness Industrie‘ zu bieten hat.

DAS MILIEU: Die wichtigsten Fragen zuerst: wie geht es Ihrem Selbstwertgefühl und wie geht es Domi, dem einfachen Kater, dem Sie ein ganzes Buch gewidmet haben?

Wiglaf Droste: Zwar erschließt sich der Zusammenhang zwischen meinem Selbstwertgefühl und dem Wohlergehen des Katers Domi nicht jedem, aber Domi sähe das genauso: Nur wenn es ihm gut geht, kann es um mich gut bestellt sein. Ich habe mir seine Sichtweise zu eigen gemacht, ganz im Sinne des Ringelnatz'schen Diktums: „Vom andern aus lerne die Welt begreifen." Wer gut für ein geliebtes Wesen sorgt, sorgt damit auch gut für sich selbst. Don't be a selfish fool / Let love roll and rule! (Sei kein egoistischer Narr / Lass die Liebe herein und lass sie herrschen! (Anm. d. Red.).

MILIEU: Ist es das Privileg eines Satirikers, über solch nicht weiter weltbewegenden Themen wie Katzen, ein Buch schreiben zu dürfen? Ich meine schauen Sie sich um. Die Welt geht vor die Hunde und sie sagen: „Doch wir drehn noch mal die Runde, für die Katz statt vor die Hunde“….

Droste: "Für die Katz" ist ja a) für die Katze und b) nicht im Sinne von Profit- oder Vorteilsdenken gemeint. „Das ist doch für die Katz!" ist ein Vorwurf, den ich mir gern gefallen lasse. Etwas tun, ohne merkantilen oder anderen Gewinn erzielen zu wollen, aus Freude und, wie wir früher sagten, „nur so", ganz von Sinn- und Zweckschwere unbelastet, ist freies Handeln und Leben. „Nur so" und „für die Katz" ist das Beste, purer Lebensluxus, dem nichts Materielles anhängend ist.

MILIEU: Wenn man Ihrem Buch Glauben schenken darf, ist dieser Kater so charmant, dass er selbst den Teufel in die Flucht schlägt. Dabei gilt doch die Macht des Charmes als die Macht des Teufels. Denken wir zum Beispiel an die Werbeindustrie - man kann uns alles andrehen, solange es uns charmant verkauft wird. Welchen Mehrwert hat Charme, wenn wir nicht wissen, wem wir vertrauen dürfen?

Droste: Es gibt Manipulation, manche ist plump, manche sehr intelligent und raffiniert. Das kommt immer ganz auf die angepeilte Kundschaft an, auf die Konsum- und Zielgruppe, wie das in Marketingsprache heißt. Aufgeklebten Charme als solchen zu dechiffrieren ist Übungssache. Das Ohr ist ein viel tauglicherer Lügendetektor als das Auge, das geblendet, also im archaischen Wortsinn blind gemacht werden kann. Ohren kann man mit Fake-Charme vollzuschleimen versuchen, dann nimmt man eben IQ-Tipps und dreht den Wurm wieder aus dem Ohr heraus. Als verächtlich empfinde ich intelligente Menschen, die beispielsweise ihr tiefenpsychologisches Wissen nicht zum Nutzen anderer einsetzen, sondern zugunsten der Bewusstseinsindustrieellen und Manipulatoren verhökern.

MILIEU: Domi zeigt seine Zu-, aber vor allem auch seine Abneigung ziemlich deutlich. Menschen die sich ähnlich verhalten, gelten als zweischneidiges Schwert. Einerseits seien sie authentisch und ungemein ehrlich, andererseits taktlos, gedankenlos und verwundbar. Was raten Sie anderen Menschen, welche Gefühlsbekundungen sie, positive wie negative, gerade in Zeiten von Facebook und Co. öffentlich machen sollten?

Droste: „Taktlos, gedankenlos und verwundbar" - meinen Sie eventuell „verletzend" statt „verwundbar"? Ehrlichkeit muss all das nicht sein: Man kann jemandem auch einen Korb geben, ohne ihn zu verletzen. Da kommt es auf die Wahl der Worte an, den Ton, die spürbare Wärme. Deshalb verbieten sich für alle wichtigen Gespräche digitale Medien absolut und eigentlich von selbst! Wenn es gar nicht anders geht, kann man telefonieren, da klärt der Klang der Stimme vieles. Und wenn man zu schreiben gezwungen ist, dann mit der Hand - mit der „persönlichen Handschrift" ist ja mehr gemeint als die Tinte auf dem Papier, der Begriff zielt auf die ganze Persönlichkeit. Die freiwillige Selbstzurschaustellung persönlicher, intimer und intimster Details ist mir unbegreiflich; das ist, als ob Narziss vor dem Spiegel auf seinen Halbbruder im Geiste Onan trifft.

MILIEU: Mit der Abneigung ist das so eine Sache. Machen wir uns selbst nicht verwundbarer, wenn wir andere verletzen? Sind Sie verwundbar?

Droste: Andere verletzen ist oft Selbstschutz und Ablenken von sich selbst und eigenen Schwächen. Die andere Variante ist die seelische Aufrüstung und Panzerung, das Bad im Drachenblut, das unverwundbar machen soll. Das klappt nie, Rüstung runter und offenes Visier sind viel segensreicher. Andererseits will keiner unbewaffnet zu einer Schießerei gehen, und all die schöne Lebensenergie geht für die Wappnung gegen vermeintliche Gefahren und für Selbstschutzanlagen drauf, die sich oft als Selbstschussanlagen erweisen. Was Ihre Nachfrage angeht: Selbstverständlich bin ich, wie jeder nicht empfindungstote Mensch, verwundbar – „touchable", wie es in Brian de Palmas großartigem Film-Epos „The Untouchables" heißt.

MILIEU: Ein weiteres auffallendes Element in Ihrem Buch schien mir, die Ruhe bzw. die Fähigkeit zu Ruhe und Gelassenheit zu sein. Der Kulturphilosoph Ralf Konersmann schreibt in seinem Buch „Die Unruhe der Welt“, dass heutzutage aber vielmehr die Unruhe belohnt wird, das Immer-Unterwegs-Sein, die permanente Veränderung. Die Menschen haben Angst vor Langeweile und können/wollen gleichzeitig durch diesen Druck, besonders Up-to-Date sein zu müssen, gar nicht abschalten. Kennen Sie diese Unruhe als Kulturschaffender, der ständig produzieren soll?

Droste: Kreative Unruhe ist das Gegenteil von Zwangshandlungen. Das Unterwegssein hat bei vielen schlicht ökonomische Gründe: Sie müssen der Arbeit hinterherreisen. Das digitale Überall-zugleich-sein dient den Herstellern modischer Statussymbole und der eigenen Zerstreuung. Der zerstreute Professor war früher ein Klischee zum Belächeln. Heute ist der permanent sich zerstreuende oder sich zerstreuen lassende Mensch en vogue. Stellen Sie sich das bildlich vor: Zerstreut ist man als Asche im Wind. Ich ziehe es vor, mich auf eine Sache zu fokussieren, statt mich von tausend Dingen ablenken zu lassen.

MILIEU: Sie sprechen in ihrem neuesten Buch davon, wie schön einfach Glück sein könne, aber man müsse dazu in der Lage sein. Was hindert uns daran, uns an einfachen, kleinen Dingen zu erfreuen? Hindert uns vielleicht auch die Angst vor dem Verlust?

Droste: Keinesfalls wollte und will ich dem grassierenden Glücksterror ins Wort reden, dem wir permanent ausgesetzt sind, dem wir uns aussetzen und der das Unglück als Kern programmiert hat. Wer die Welt an seinen Erwartungen an sie misst, muss enttäuscht werden. Deshalb gibt es so viele Glücksversprechen wie noch nie. "Alles Lüge", wie Rio Reiser sang. Wer sich nicht überraschen lassen will oder kann, hat Kontrollzwang und ist zu bedauern bzw. zu meiden, wenn er andere damit kujoniert. Und Verlustangst ist bei 99% der Verlustängstlichen ein Phantomgefühl.

MILIEU: Würden Sie sich selbst als dankbaren Menschen bezeichnen?

Droste: Wenn ich aufzählte, bei wem ich mich schon bedankte oder noch bedanken will für was auch immer - oft reicht ja das Geschenk der Anwesenheit, der Zeit, die man teilt, die schiere Gegenwart eines anderen -, würde ich in diesem Leben nicht fertig. Ein schönes Detail kenne ich aus dem Schweizerdeutschen: Da bedankt man sich nicht, sondern der andere wird „verdankt". Das klingt hinterhältig, und vor manchem Dank muss man auch auf der Hut sein.

MILIEU: In einer Szene verwenden Sie eine Formulierung, die ich besonders ansprechend fand. Sie sprechen dort von „[…] Leuten denen die Welt bloß als Kulisse zum Sich-selbst-gut-finden dient“. Finden Sie sich persönlich selber gut? Schließlich gehört eine gewisse Selbstliebe auch dazu, um andere lieben zu können... 

Droste: Wenn ein erfolgreiches Aufziehäffchen singt, „Die Welt ist klein, und wir sind groß", offenbart sich eine Selbstüberschätzung von nicht ahnbaren Ausmaßen. Das lateinische Wort für Eigenliebe ist Egoismus. Stellt man sich zwanghaft in den Mittelpunkt jeder noch so kleinen oder auch der ganzen Welt, handelt es sich um Egozentik, und das ist ein Krankheitsbild, fußend auf einer schweren narzisstischen Störung.

MILIEU: Sowohl in Interviews als auch in den Medien begegnen einem häufig Menschen, die von sich selbst behaupten, ihren Traum zu leben und dies auch anderen raten. Sie hingegen schreiben in diesem Zusammenhang, dass man Träume und Leben nicht vermischen kann (oder sollte)…. Das klingt beinahe zynisch. Wissen Sie eigentlich wie Motivationstrainer ihr Geld verdienen? ...Die übrigens gefragter denn je sind...

Droste: Motivationstrainer gehören zur Standardausrüstung im Waffenarsenal der Leute, die andere ausquetschen wollen mit Hilfe der Gehirnwäsche des positiven Denkens, der Optimierung oder, noch perverser, der Selbstoptimierung mit Sprüchen wie „da ist noch Luft nach oben". Wer so ab- und zugerichtet wird, empfindet die Reduktion seiner Persönlichkeit auf ihre Leistungsfähigkeit, Verkäuflichkeit inklusive Käuflichkeit als beglückend. Und mit dem "Lebe deinen Traum"-Gratisgedanken ist es wie mit Latte Macchiato: zu Schaumscheiß passt Traumscheiß. Sein Leben zu leben, ist doch viel aufregender, als vorgestanzte und implantierte Schablonen, „Traum" genannt, mit sich zu befüllen.

MILIEU: An anderer Stelle schreiben Sie, man könne sich nur an eine Simulation gewöhnen, wenn man selbst simuliere. Was meinen Sie damit?

Droste: Wer sich seine Intuition bewahrt, wird immer spüren, ob etwas stimmt, oder ob es aufgesetzt ist. Simulation ist leben als ob, also Lebensersatz. Bei Caro-Kaffee alias Muckefuck und Espresso schmeckt jeder den Unterschied, bei seinen Gefühlen, seinem Leben, seinem Denken nicht? Das erscheint mir absurd, ferngesteuert, andressiert.

MILIEU: Sie erwecken den Eindruck, dass Menschen dazu neigen, sich in der Illusion eines ‚Lebens, wie es sein sollte‘ zu verlieren. Wo wir wieder bei der Macht des Charmes wären...Viele Menschen haben unerreichbare Ideale und Sehnsüchte, die ihnen durch die Film, Mode und Musikindustrie eingetrichtert werden. Wie entkommen?

Droste: Die Welt als Wille und Vorstellung zu begreifen, ist ein reizvolles philosophisches Gedankenspiel. Wenn aus der Vorstellung Verstellung wird, ist die Sache faul. Das ist ganz etwas Anderes. Da wird aus dem vorstellungsmächtigen Kind der getriebene profitmaximierungsfixierte Erwachsenenzwerg, der mit Glückspatentrezepten von der Stange in Form von Lebenshilfeberatungsbüchern, -seminaren und -aktionen hirschhausieren geht. Diesen coelhoisierten Quark nicht breittreten und sich mit wachen Sinnen auf die Reise machen ist ja gerade deshalb schön, weil es keine Garantie und keine Rückversicherung gibt.

MILIEU: Haben Sie eigentlich Ideale? Wenn ja: wenn sie darüber ein Buch schreiben müssten, wie würde es heißen und würde es was kosten?

Droste: Über Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit muss man ja nichts mehr schreiben, das kann man nur praktizieren, und das kostet alles: das ganze Leben.

MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Herr Droste! 

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