
Abtreibung als Recht auf den „eigenen Bauch“?
15.04.2016 -Die Bestrebungen der polnischen Regierung, eine Verschärfung des Abtreibungsverbotes einführen zu wollen, lösen zurzeit heftige Diskussionen - nicht nur in Polen - aus. Und der wortgewaltige US-Präsidentschafts-Bewerber Donald Trump verkündete, dass Frauen in den USA für Abtreibungen bestraft werden sollten.
Etwas später meinte sein Wahlkampfteam, die Ärzte sollten bestraft werden, nicht die Frauen, Trump sei falsch verstanden worden. Grund genug, sich unabhängig von den Bestrebungen in Polen oder den USA mit diesem Thema öffentlich auseinanderzusetzen.
So greift auch Dagmar Rosenfeld in ihrer Kolumne Frauensache in der RP vom 6.4.2016 das Thema auf und formuliert: Ein hart erkämpftes Recht der Frauen gerät in Gefahr. Sie konkretisiert ihre Aussage: „Das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper war so etwas wie die Mondlandung der Frauenbewegung. Dieses Recht infrage zu stellen, mag für die Rechtspopulisten nur ein kleiner Schritt sein, für eine gleichberechtigte Gesellschaft aber ist es ein großer Rückschritt.“
Sollte es eine Verschärfung des Lebensschutzes geben?
Nun gibt es sicherlich etliche nachvollziehbare Gründe, eine - wie in Polen oder den USA geplante - Verschärfung des Abtreibungsverbotes zu kritisieren. Und es gibt noch mehr äußerst gewichtige Gründe, „das Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper“ nicht anzutasten. Aber die Frage, was ein Abtreibungsverbot bzw. Bestrebungen zu einer drastischen Reduzierung von Tötungen im Mutterleib mit einem „Rückfall in alte Rollenbilder“, einer Beschneidung des „Selbstbestimmungsrechtes von Frauen“ und einer Reduzierung von ‚Gleichberechtigung‘ zu tun hat, ist für denkende Leser nicht nachvollziehbar. Schon der Slogan der Frauenbewegung „Mein Bauch gehört mir“, mit dem in Deutschland vor Jahren die Abschaffung des § 218 gefordert wurde, war so hohl, dass man sich wunderte, wieso er von den sich in die Öffentlichkeit zu katapultieren versuchenden Protagonistinnen so deutlich eingebracht wurde.
Vom Grundsatz her ist einem Aufruf „Mein Bauch gehört mir“ nur zuzustimmen, wenn damit die Zeitspanne vor dem Beischlaf gemeint ist. Kein Mann sollte sich dem ‚Bauch‘ - oder anderen Intimbereichen - einer Frau für einen angepeilten Sexualkontakt nähern, ohne dass die ‚Bauchbesitzerin’ dem nicht zustimmt. Lehnt sie diesen nicht ab oder stimmt sie ihm offensiv zu, dann ist damit gleichzeitig das Selbstbestimmungsrecht der Frau für über diesen ‚Akt’ hinausweisende Folgen verwirkt. Ging es dabei um einen einvernehmlichen Sexualkontakt, würde ihr für sich reklamiertes Recht auf Selbstbestimmung auch dadurch reduziert, dass der Mann ein 50%tiges Mitspracherecht hätte. Diese Zusammenhänge scheinen die Protagonistinnen von „Mein Bauch gehört mir“ immer noch auszublenden. So scheint in großen Teilen der Frauenbewegung folgender Denkansatz zu existieren: Für eine Abtreibung besitzt eine Frau das alleinige Entscheidungsrecht, die Kosten dieser persönlichen Entscheidung (für Klinikaufenthalt, Lohnfortzahlung und evtl. später notwendig werdende psychotherapeutische Aufarbeitungen) werden ungefragt der Solidargemeinschaft untergeschoben und bei einer nicht vorgenommenen Abtreibung wird eine 100%tige Zuständigkeit für die Zahlung von Alimenten beim Kindserzeuger vorausgesetzt.
Mein Bauch gehört mir - vor oder nach dem Beischlaf?
Es geht hier nicht um eine moralische Beurteilung von Beischlafsituationen vor, außerhalb oder innerhalb von auf Ehe oder sonst wie auf Zukunft angelegten Beziehungen, sondern es geht um die Verantwortung der Auswirkungen von eingegangenen Sexualkontakten gegenüber dem Partner bzw. der Partnerin und um die Verantwortung, ob die Entstehung neuen Lebens eingeplant wird oder ausgeschlossen werden soll. Eigentlich müsste es entbehrlich sein, hier noch einmal auf die verschiedenen Methoden oder Wege der Empfängnisvermeidung bzw. Empfängnisverhütung hinzuweisen.
Dass dennoch einige Verdeutlichungen notwendig zu sein scheinen, hängt wohl damit zusammen, dass bestimmte politische Kreise uns kollektiv viel zu lange ins Hirn einzuträufeln versucht haben, dass die Abtreibung eine - halt etwas später organisierte - Empfängnisverhütungsregelung bzw. Geburtenplanungsmethode sei. Wer diesen - jede Logik entbehrenden - Denkansatz übernimmt, wird vielleicht morgen auch andere Menschen, von denen sich jemand im persönlich beanspruchten Freiraum beeinträchtigt sieht, per Tötung ‚entsorgen’ wollen.
„Schwangerschafts-Unterbrechung“ oder Abtreibung?
Wie stark die Diskussionen zur Freigabe der Abtreibung zu kaschieren gesucht wurden, wurde auch durch den von Frauenrechtlerinnen gerne verwendeten Begriff „Schwangerschafts-Unterbrechung“ deutlich, weil sich Abtreibung ja wirklich wie ‚Abort’, ‚weg damit’ anhört. Aber was ist das für eine Unterbrechung, die mit dem Tod endet? Es dauerte, bis erste Stimmen die Wort-Gaukelei offenkundig werden ließen, indem sie mutig fragten, wann denn die Unterbrechung beendet und die Schwangerschaft fortgesetzt würde?
Was die meisten Menschen auch heute noch nicht zu wissen scheinen: Auch nach der Neufassung des § 218 gab bzw. gibt es kein Recht auf Abtreibung, sondern eine Straffreiheit, wenn die gesetzlich geforderten Beratungsdienste aufgesucht wurden und die Entscheidung trotz Beratung und Hilfe im Konfliktfall in Richtung Abtreibung ging. So heißt es im § 218: „Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne dieses Gesetzes.“ Ergänzend dazu wird im § 218 a die Ausnahme der Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs geregelt: „Der Tatbestand des § 218 ist nicht verwirklicht, wenn (1) die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2 nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen, (2) der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen wird und (3) seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen sind.“
Niemand hat ein Recht auf Abtreibung!
Dass sich Institutionen der öffentlich finanzierten Sozialhilfe, die sich nett klingend ‚Pro Familia’ nannten, besonders für Entscheidungen zu Gunsten einer Abtreibung einsetzten, zeitweise dafür sogar die gesetzliche Frist zwischen Erstberatung und Entscheidungsumsetzung außer Kraft setzten, ist ein Beleg dafür, dass es keinesfalls um den Schutz des ungeborenen Lebens ging. Und dass all dies in einem Land mit einem gewaltigen Geburtendefizit geschieht, macht die Vorgänge noch brisanter bzw. unfassbarer.
Wer in einer festen Partnerschaft lebt, hat in der Regel das Thema Geburtenplanung zu einer passenden Zeit thematisiert und geklärt. Fehlt diese Basis - vielleicht weil ein sexueller Kontakt ohne Beziehungsperspektive angezielt wird - und es wird trotzdem ein zeugungsfähiger Akt gewollt, dann muss halt die Möglichkeit der Entstehung neuen Lebens wenigstens verhütet werden. Auch Paare, welche nur für einen Kurzintervall ihre Körper vereinen wollen, haben eine große Verantwortung für ihr Tun: Dass keiner gegen den Willen des Anderen handelt bzw. keine Gewalt zum Einsatz kommt, dass ein Gegenüber nicht durch fehlende Achtsamkeit mit einer Krankheit infiziert wird, dass nicht leichtfertig ungewollt neues Leben entsteht.
Die meisten Abtreibungen werden übrigens nicht in der Folge von Vergewaltigungen oder Kurzzeit-Beziehungen, sondern in 'ganz normalen, auf Dauer angelegten Beziehungen' vorgenommen, weil halt ein weiteres Kind nicht mehr vorgesehen war und eine in Verantwortung gelebte Empfängnisregelung ausgeblendet wurde. Diese in Statistiken nachlesbaren Fakten werden ebenso von Schwangerschafts-Konfliktberaterinnen bestätigt. Das macht Menschen mit einem Rest an Empathiefähigkeit und Verantwortlichkeit einfach sprachlos.
Eine Ethik der Verantwortung ist nicht an eine Religion gebunden
Beim Thema Abtreibung geht es nicht um moralische Appelle, sich an christlichen, jüdischen, muslimischen oder fernöstlichen Religionen orientieren zu sollen, sondern darum, die uns – als Konsequenz unserer Freiheit - auferlegte Verantwortung deutlicher wahr zu nehmen. Dies macht z.B. Hans Jonas in seiner zum Lebenswerk gewordenen „Ethik der Verantwortung“ deutlich und Hans Küng engagiert sich seit Jahren mit vielen Gleichgesinnten – auch jenseits christlicher Wertvorstellen – um eine ‚Welt-Ethos-Basis’. Je intensiver Handlungen des Einzelnen das Leben anderer sowie den Umgang mit der uns zur Verfügung gestellten Schöpfung betreffen, desto umfangreicher sind allgemeinverbindliche ethische Standards zu berücksichtigen. Auch wenn viele Zeitgeist-Menschen Sexualkontakte als Spaß sehen, Erotik konsumieren wollen, bei der Abtreibung geht es um Leben oder Tod. Das haben alle Menschen, egal ob mit oder ohne religiöse Basis – zu berücksichtigen. Und wenn sich Egoisten dieser Verantwortung entziehen, hat die Gesellschaft und der staatliche Gesetzesrahmen darauf deutlich zu reagieren. In meinen Hochschulvorlesungen „Einführung in die Ethik“ begreifen dies nicht nur die christlich Orientierten, sondern alle. Dass die Übertragung in den Alltag oft nicht so wie gewollt oder notwendig klappt, wird immer wieder deutlich.
Töten – auch nicht per Abtreibung - ist kein Menschrecht
Manche Menschen scheinen sich auch deshalb relativ leicht für eine Abtreibung zu entscheiden, da der Vorgang im Dunkel des Mutterleibes stattfindet und von einem Dienstleister ausgeführt wird. Ob die Tat auch Aug in Aug so vorgenommen würde? Ein Mord in der Nacht, Tötungen per Drohnen-Fernsteuerung, ein längerfristiger Vergiftungs-Vorgang mag den Tätern leichter fallen, weil sie optisch wenig bis gar nichts von ihren Handlungen mitbekommen. Aber in allen Fällen wird Leben willkürlich und gewaltsam beendet.
Ja, das hart erkämpfte Selbstbestimmungsrecht der Frauen darf nicht torpediert werden! Ja, alle Menschen – ob winzig-klein oder übergroß, jung oder alt, weniger oder mehr begabt, haben gleichermaßen das Recht, in guter Vorsorge den eigenen Körper zu schützen. Ja, alle Menschen haben sich für eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern immer neu einzusetzen. Und der Staat hat durch klar gefasste Gesetze dafür zu sorgen, dass diese Rechte den Lebensalltag tragen. Aber ein Recht auf Tötung, welches aufgrund einer fahrlässigen oder grob fahrlässigen Ausklammerung der eigenen Verantwortung für die Folgen eines Zeugungsvorgangs für sich zu reklamieren gesucht wird, meist auf Eigennutz basierend, wäre ein nicht hinnehmbarer gesellschaftlicher Rückschritt. Die Konsequenz: Ja, auch ein ungeborenes kleines Kind hat ein Recht auf den Schutz seines Körpers, ein Lebensrecht.
