Verleger im Interview

Alfonso Pecorelli: "Wir müssen den Hitler in uns bekämpfen"

15.05.2017 - Rameza Bhatti

Er führte ein aufregendes Leben als international tätiger Manager und Unternehmensberater bei namhaften IT-Unternehmen, bis er sich eines Tages entschloss, nach Schwarzafrika zu reisen. Alfonso Pecorelli beteiligte sich in der humanitären Hilfe und wurde unter anderem bei diversen Krebsstiftungen aktiv. Diese Erfahrungen ließ er als Autor in seine Werke miteinfließen. DAS MILIEU sprach mit dem Schweizer Schriftsteller und Verleger über sein kürzlich erschienenes Buch "Das Mädchen, das die Welt veränderte", über besondere biografische Ereignisse sowie über Gut und Böse im Lichte seiner Erfahrungen.

 

DAS MILIEU: Wenn Sie sich als Mensch charakterisieren müssten, welche Adjektive würden Sie wählen?

Alfonso Pecorelli: Das ist immer eine heikle Frage - da müssten Sie eigentlich Menschen fragen, die mich kennen. Dennoch versuche ich, mich einmal zu charakterisieren (so wie mich vielleicht Menschen, die mich kennen, bezeichnen würden): mutig, großzügig, zuverlässig, einfühlsam, emphatisch, beharrlich.

MILIEU: Die kleine achtjährige Marie begibt sich in ihrem Buch „Das Mädchen, das die Welt veränderte“ auf die Suche nach dem letzten Funken Menschlichkeit. Beenden Sie bitte den folgenden Satz: „In dunklen Tagen glaube ich an das Gute in den Menschen, weil …“

Pecorelli: …weil der Mensch im Grunde gut geboren wird, wie ich es in der Geschichte schreibe.

MILIEU: Auf ihrer zauberhaften Reise stellt die kleine Marie Gelehrten und Philosophen die „Frage aller Fragen“, die ich nun Ihnen stellen möchte. Was ist für Sie der Sinn des Lebens?

Pecorelli: In meinem Buch wird nicht die Frage nach dem Sinn des Lebens per se gestellt, sondern es ist eine Doppelfrage in sich selbst, die meine kleine Protagonistin all den gescheiten Menschen stellt. Zu Ihrer Frage nach dem Sinn des Lebens: Das kann ich nicht mit einem einfachen Satz beantworten. Es gibt viele Puzzle-Teile, wie auch Immanuel Kant und andere Philosophen festgestellt haben: Gutes zu tun, mit sich im Reinen zu sein, zu jeder Zeit an sich selbst zu glauben und an sich selbst zu arbeiten und gleichsam für andere da zu sein – das eigene Leben nach bestem Gewissen gut und eigenverantwortlich zu leben. Eben nicht, wie es viele „religiöse“ Menschen tun, dass man Schuld und Verantwortung auf etwas „Höheres“ abschiebt. In meiner Geschichte lässt der Allmächtige den Menschen eine Wahl, gibt ihnen einen freien Willen, weil sie ja sonst keine Menschen mehr wären . Kurzum: Sinn des Lebens könnte ich nicht mit einem Satz beantworten. Ich glaube es ist eine Vielzahl von Dingen.

MILIEU: „Hitler ist in meiner Geschichte als „Metapher“ zu verstehen - als „Versinnbildlichung“ des Bösen, das in uns allen wohnt und das es zu besiegen gilt“, so beschreiben Sie die Figur von Adolf Hitler in Ihrem Roman. Was kann uns helfen, diesen Hitler in uns zu besiegen?

Pecorelli: Ich denke schon, es ist die Rückbesinnung auf die Werte, die jeder Mensch in sich trägt. Dieses Buch hat eine bestimmte Entstehungsgeschichte. Meine persönliche Ansicht ist, dass wir in uns einen ewigen Kampf von Gut und Böse austragen, was vielleicht etwas märchenhaft klingt. Ich beginne meine Geschichte bewusst mit Platon, vielleicht dem Vater der abendländischen Kultur- und Zivilisationsgeschichte. Vereinfacht gesprochen, sah Platon im Wesen aller Dinge immer das Gute. Ich hätte übrigens in meinem Buch auch eine andere Figur für das Böse im Menschen wählen können. Hitler war und ist nicht der einzige Unhold der Menschheitsgeschichte. Worum es jedoch geht: Man sollte immer nach dem Guten in sich suchen und das Schlechte, also den „Hitler“ in uns, bekämpfen.

MILIEU: In Frankreich wurde ein neuer Präsident gewählt. Viele befürchteten zwischenzeitlich einen Sieg der Rechtspopulistin Marine Le Pen. Welche Gefahren sehen Sie in einen möglichen Aufstieg populistischer Parteien und Politiker?

Pecorelli: Ich bin gegen jede Art von Fanatismus, weil das zwangsläufig immer in den Abgrund führt. Generell denke ich, dass man mit Extremisten nicht diskutieren kann. Damit meine ich jetzt nicht nur Rechtspopulisten. Sie nehmen immer unverhandelbare Positionen ein. Denn eine Verhandlung impliziert gegenseitigen Respekt. Egal ob links, rechts oder Mitte oder religiös motiviert - Populismus mündet in Fanatismus und endet meistens in Totalitarismus. Das ist eine fast zwingende historische Folge. Und dann geht es weiter. Letztendlich mündet das in Unterdrückung, in Konflikten bis hin zur Auslöschung des Gegners. Deshalb sehe ich den Rechtspopulismus als besonders gefährlich an, weil Populisten eben nicht dumm sind. Sie nutzen die Sorgen der Bürger zu ihrem eigenen Vorteil. Es ist die Terrorangst, die heutzutage instrumentalisiert wird, es wird Angst geschürt. Das wird dann politisch missbraucht.

Das ist auch der Grund, weshalb ich Hitler mit in mein neues Buch genommen habe: Hitler und seine Schergen haben - genauso wie es heute mancherorts auch schon wieder gemacht wird - den eigenen Machtanspruch sehr sorgfältig verpackt in eine nationale Identität, die es gar nicht verdient so genannt zu werden. Und was dies zur Folge hatte, wissen wir ja alle.

MILIEU: Sie haben in Ihrer Geschichte bewusst auf das Wort „Gott“ verzichtet, da Sie eine für alle Menschen zugängliche Geschichte schreiben wollten. Was für eine Rolle spielt Gott in Ihrem Leben?

Pecorelli: Ich bin gebürtiger Süd-Italiener. Deshalb bin ich auch ziemlich streng katholisch erzogen worden, aber auf die gute Art und Weise. Mir wurde nichts indoktriniert.

Als moderner Denker bin ich eher den Wissenschaften zugewandt. Ich persönlich denke, man sollte „Gott“ eher metaphorisch verstehen. Ich glaube auch, dass wenn es irgendetwas wie einen Gott oder eine Göttin gibt, dann ist es etwas, das uns unerschlossen bleibt – etwas das wir unmöglich fassen oder begreifen können. Wir verstehen noch nicht einmal die Gesetze der Natur richtig und schon gar nicht die der Astrophysik. Wie können wir also Gott verstehen? Es liegt jenseits dessen, was der Mensch verstehen kann und das ist auch gut so. Vielleicht sollten wir das Göttliche in uns suchen. In meiner Geschichte lasse ich an einer Stelle Antoine de Saint-Exupéry auftreten, er hat auch einmal gesagt: „Sucht das Göttliche nicht außerhalb, das Göttliche liegt in uns“. Das ist auch meine persönliche Ansicht.

MILIEU: Das Jahr 2004: Sie waren international tätiger Manager in einer großen amerikanischen IT-Firma, bis es einen Bruch in ihrem Leben gab. Was motivierte Sie, nach diesem Schicksalsschlag in ihrem Leben, quer durch den Globus nach Schwarzafrika zu reisen und in der humanitären Hilfe tätig zu werden, anstatt wieder den Flieger nach New York zu nehmen?

Pecorelli: Ich musste zu dieser Zeit einfach etwas Anderes tun, um den Kopf mit intensiven Dingen voll zu bekommen, damit ich nicht an diese Verluste denken musste. Damit es mich nicht innerlich zerfrisst. Vielleicht war das so eine Art von Therapie. Natürlich wollte ich etwas Sinnvolles tun. Ich bin jene eineinhalb Jahre nicht nur in Afrika gewesen, ich war auch in Europa. Ich war in Deutschland und habe für eine Stiftung für Kinder in der Palliativmedizin gearbeitet, aber auch für viele andere Organisationen. Ich hatte früher nie diese Art von Hilfsbedürfnis, also „Helfen, koste es was es wolle“. Wären diese Brüche in meinem Leben nicht gewesen, wahrscheinlich hätte ich nie Bücher geschrieben und hätte mich vielleicht nie humanitär betätigt – wer weiß das schon?

MILIEU: Nach Ihrer Heimkehr von Afrika brachten Sie Ihren ersten Roman „Kathleen – Geschichte einer tödlichen Liebe“ heraus. Haben Sie auch schon früher geschrieben oder war das Ihre erste Schreiberfahrung?

Pecorelli: Nein, nie! Als mich dieser Junge in Afrika ansprach: „Schreib doch auf, was du hier erlebst“, da habe ich gesagt „Vergiss es. Es gibt da tausendmal größere Autoren, die in Afrika waren und Romane geschrieben haben.“ Ich habe zu ihm gesagt, ich bin doch kein Schriftsteller. Das sehe ich ja heute als Verleger, was da alles eingereicht wird. Belletristisches Schreiben ist extrem schwierig, nur sehr wenige Leute kriegen das hin. Ich habe damals nie gedacht, dass mein Buch verlegt wird. Die Idee war auch, dass es mein einziges bleibt. Damals habe ich einfach drauflos geschrieben. Ich habe nie den Anspruch gehabt, ich sei ein großer Literat. Ich denke, ich kann eine Geschichte schreiben, die inhaltlich gut und spannend ist, eine Aussage enthält. Aber trotzdem bin ich kein großer Literat, da kenne ich meine Grenzen.

MLIEU: In Ihrem Buch „Nacht ohne Morgen“ beschreiben Sie Manager als hartherzige und gefühlskalte Wesen. Drehen wir die Zeit zwanzig Jahre zurück - würde Ihr früheres Selbst auch mit diesem Klischee übereinstimmen?

Pecorelli: Als Manager wird man generell dazu erzogen, sich eine gewisse Stringenz anzueignen. Ich glaube aber nicht, dass jede Führungskraft hartherzig und kalt ist. Aber ich denke, sobald man Führungsverantwortung übernimmt, wird man in eine gewisse Härte, je nachdem in welchem Firmenumfeld man sich befindet, gezwungen. Man muss aber deshalb seine Menschlichkeit nicht verlieren. Wiederum ist „Nacht ohne Morgen“ ein Roman, der natürlich auch in vielen Teilen ganz bewusst überspitzt ist. Das darf man nicht wahnsinnig persönlich nehmen oder auf das Alter Ego des Autors abwälzen.

Gerade in der heutigen Zeit scheint es mir enorm wichtig zu sein, dass man als Manager eine emotionale Intelligenz entwickelt – was übrigens meiner Ansicht nach Frauen zu besseren Führungskräften macht als Männer.

MILIEU: Luxus, Sünden, Geldgier - das sind nur einige Themen, die in Ihren Büchern eine Rolle spielen. Inwiefern beeinflussen diese Inhalte Ihre heutige Weltanschauung?

Pecorelli: Ich bin keiner der sagt: Luxus ist Teufelswerk. Wer sich etwas leisten kann, soll das tun. Jeder soll nach seiner Fassung glücklich werden. Für mich persönlich ist Luxus nicht zwingend wichtig. Viel wichtiger scheint mir, dass man selbständig arbeitet und nicht abhängig von anderen wird oder keinen eigenen Antrieb mehr hat. Das hat meiner Meinung nach viel mit dem eigenen Selbstverständnis und mit dem eigenen Selbstwertgefühl zu tun. Die Grenze von Luxus wird dann überschritten, wenn Menschen geldgierig werden in einem Ausmaß, das man heute gar nicht mehr glauben mag. Die Art Superkapitalismus, die heute herrscht, dass zum Beispiel die zehn reichsten Menschen auf dieser Welt mehr als die Hälfte des Vermögens der Menschheit besitzen, das ist für mich eine ungesunde Art von Gier, die ich überhaupt nicht nachvollziehen kann und die irgendwann in den Abgrund führen wird.

MILIEU: Sie haben im Laufe Ihres Lebens in den USA, Russland, Italien, Frankreich, Polen und Deutschland gelebt. Was bewegte Sie dazu, Ihren Sitz wieder in die schöne „Svizzera“ zurückzuverlegen?

Pecorelli: Vor vielen Jahren, als ich Manager für diese Großkonzerne wurde, haben wir entschieden, dass man mobil sein muss. Jedoch wollte ich nicht zum Nomadentum wechseln und wir haben beschlossen, dass die Familie in der Schweiz bleibt. Es war eine interessante und multikulturelle Erfahrung, denn ich war zu jener Zeit auch für den mittleren Osten sowie ganz Afrika verantwortlich - eine unglaublich spannende Zeit war das. Irgendwann ist es aber auch genug. Man kommt dann in eine Lebensphase, wo man nicht mehr 17-Stunden-Flüge nehmen will, um dann noch im Anschluss zu arbeiten. Das geht dann auch an die Substanz.

MILIEU: Sie haben in Afrika in einem Sterbehospiz für junge Mütter und Kinder gearbeitet und waren bei diversen Krebsstiftungen aktiv. Wie haben Sie es geschafft eine gewisse emotionale Distanz zu bewahren?

Pecorelli: Ja, das habe ich eben nicht geschafft. Aber ich musste die auch nicht wahren, denn ich war ja freiwillig dort. Diese emotionale Distanz, die man lernt, wenn man als Arzt oder Ärztin professionell ausgebildet wird, die habe ich natürlich nicht gelernt. Das erste Mal in Afrika in einem Slum, das war für mich ein Paukenschlag im Kopf. Ich kann gar nicht beschreiben, was ich da gesehen und erlebt habe. Das hat mich sehr sehr mitgenommen. Als ich zurück in die Schweiz gekommen bin, da konnte ich das gar nicht mehr in Relation bringen. Ich habe immer gedacht wie können wir hier nur so leben, wie kann uns alles egal sein was da passiert. Ich habe da Dinge erlebt die unvorstellbar sind…

MILIEU: Vielen Dank für das Interview, Herr Pecorelli!

 

 

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