Türkei

Alle gegen Erdogan

01.02.2014 - Adeel Arshad

In der letzten Zeit erlebt die Türkei ein regelrechtes politisches Erdbeben, das der Republik eine intensive Berichterstattung und Aufmerksamkeit beschert. Während die Türkei in den westlichen Medien lange nur mit gescheiterten EU-Beitrittsverhandlungen oder höchstens mit der stark florierenden Wirtschaft assoziiert wurde, fand Mitte letzten Jahres eine anhaltende Protestwelle gegen den Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan statt.

Ausgangspunkt waren Demonstrationen und Aktionen von Bürgern, größtenteils aus dem Zentrum Istanbuls gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks, der neben dem berühmten Taksim-Platz liegt. Dabei gab es schwere Ausschreitungen zwischen Demonstranten und Polizeikräften. Zwar hat sich die Lage weitgehend beruhigt, doch sie waren der Anfang für schwierige politische Tage des Ministerpräsidenten. Ende letzten Jahres wurden schwere Korruptionsfälle aufgedeckt, bei denen Mitgliedern des Regierungskabinetts und anderen hohen Funktionsträgern Schmierungen in Milliardenhöhe vorgeworfen worden sind.

Viele Medien sind sich einig, dass dieses der Anfang vom Ende für Erdogan ist. Das Ziel jeder Argumentationskette ist klar: Der Ministerpräsident sollte die Konsequenzen ziehen und seinen Hut nehmen. Die Niederschlagungen der Proteste kann man kritisieren, jedoch darf man nicht vergessen, dass sich auch die Demonstranten von Chaoten anstecken lassen haben und ein starkes Gewaltpotenzial von ihnen ausging. Die harte Antwort der Polizei war nur die logische Konsequenz. Ähnliche Fälle, wo Proteste aus dem Ruder laufen, lassen sich auch in anderen europäischen Staaten (z.B. die Kontroversen rund um die Proteste von „Stuttgart 21“) finden. Es ist also kein Erdogan-spezifisches Problem. Erwähnenswert ist auch, dass die Proteste nicht die allgemeine Stimmung in der Türkei repräsentiert haben. Es war nur ein verschwindend geringer Prozentsatz, der wirklich aktiv gegen Erdogan protestiert hat. Die Bilder und Videos, die durch die Medien gingen, erweckten allerdings den Anschein, als ob die halbe Bevölkerung auf der Straße war. Die Proteste begrenzten sich aber nur auf Istanbul und der Landeshauptstadt Ankara. Somit kann dieses nur bedingt als Stimmungsbarometer benutzt werden.

Der jüngste Korruptionsskandal ist immer mit einem Namen verbunden: Fetullah Gülen. Der Führer der islamischen Bewegung „Hizmet“ war ein früherer Weggefährte Erdogans. Wie sich es jedoch so häufig innerhalb der Politik zwischen Freunden entwickelt, kam es zum Zwist zwischen den beiden. Seit 1999 lebt Gülen in Pennsylvania, USA und hat nach wie vor einen enormen Einfluss in der Türkei. Zahlreiche Anhänger im Sicherheits – und Justizapparat, sowie auflagenstarke Zeitungen stehen unter dem Einfluss Gülens. Die Korruptionsermittlungen durch die Anhängerschaft von Gülen, legen den Verdacht nahe, dass versucht wird, Erdogan stark in Bedrängnis zu setzen. Der Ministerpräsident antwortete mit Verhaftungen und Entlassungen entsprechender Journalisten und Staatsanwälten.

So wie der Fall in den Medien dargestellt wird, ist es notwendig, sich dieser Angelegenheit zu widmen. Die Berichte sind sehr einseitig und richten sich größtenteils gegen die Politik Erdogans, welche oftmals als konservativ und islamistisch dargestellt wird.

 

In diesem Beitrag geht es nicht darum, Erdogan einen Heiligenschein aufzusetzen oder gar als Opfer darzustellen. Der Ministerpräsident ist sicherlich nicht frei von Schuld. Das ist niemand in der großen Politik. Einen Maßstab für Politiker anzusetzen, der für „normale“ Bürger gilt, wäre sehr wünschenswert, allerdings nicht realistisch. Die Politik ist vielschichtig und mit so vielen Spielern ausgestattet, dass es prinzipiell zwei Wege gibt, die ein Machthaber gehen kann: Entweder besteht sein Regieren aus einer Reihe von Kompromissen, die es ihm ermöglichen sollen, gewisse einflussreiche und ihn unterstützende Kräfte zufrieden zu stellen, damit er möglichst lange Regierungschef sein kann. Oder er wählt einen rigoroseren Weg und „räumt“ alle Hindernisse aus seinem Weg, die ihm bei seiner Machtausübung stören könnten. Erdogan hat wohl die zweite Option gewählt. Aus demokratischer Perspektive bietet dieser Stil natürlich viel Spielraum für Kritik, aber aus der Sicht Erdogans erscheint er als einzig logische.

Erdogans Stil steht symbolisch für eine neue Türkei: Ein Land, das mit einem neuen Selbstbewusstsein durch die Welt geht und sich als eine globale Macht etablieren möchte. Viele Aspekte haben der AKP-Regierung lange in die Karten gespielt: Wirtschaftliche Wachstumsraten, von denen andere Industriestaaten nur träumen können und ein kompletter Schuldenabbau beim IWF. Ein solides Bevölkerungswachstum und ein steigender Bildungs-und Lebensstandard machen die Türkei zu einem ernstzunehmenden Konkurrenten. Ironischerweise sind das alles Entwicklungen, die erst richtig mit der Regierung Erdogans ins Rollen kamen. Auch außenpolitisch stellt die Türkei neue Bedingungen. Zwar ist sie Teil der NATO, doch sie baut neue Partnerschaften mit dem Iran, Russland oder China auf. Bezüglich der EU-Beitrittsverhandlung findet kein großes Verbiegen mehr statt. Es scheint vielmehr so, dass die Türkei einem EU-Beitritt bei weitem nicht mehr so begeistert entgegenstrebt, wie es einst einmal der Fall war und in dieser Hinsicht nur noch zu wenig Kompromissen bereit ist. Die diplomatische Krise mit Israel spielt ebenfalls eine erhebliche Rolle. Angefangen von der offenen Kritik Erdogans an der Politik Israels gegenüber Palästinensern, bis hin zu wirtschaftlichen Deals mit den erklärten Feinden Netanjahus.

Betrachtet man also die heutige Türkei, so spielt sie nun eine selbstbewusste Rolle. Es dürfte vielen Mächten nicht gefallen, dass Erdogan nicht bereit ist, nach „ihrer Pfeife zu tanzen“. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Gülen seinen Widerstand aus den USA heraus plant. Auch die einseitige Berichterstattung seitens der Medien gibt ein unfaires Bild über Erdogans Politik ab. Durch gewisse Reformen wird er häufig als Konservativer dargestellt, der eine schleichende Islamisierung der säkularen Türkei vollzieht. Jedoch gibt es wenig, woraus man diese Befürchtung ableiten  kann. Er hat lediglich einige Gesetze geändert, die religiöse Menschen deutlich benachteiligten. So war es Frauen lange Zeit verboten, mit einem Kopftuch Universitäten und öffentliche Gebäude zu betreten. Deshalb musste Erdogan seine Töchter auch im Ausland studieren lassen, weil diese in ihrem eigenen Land keine Hochschule hätten besuchen dürfen. Durch diese Reformen kam es nicht zu einer Islamisierung, sondern zu einer Gleichstellung der Menschen. Ein säkulares Staatssystem ist überall wünschenswert, jedoch darf es nicht eine Seite benachteiligen.  

 

Auch innenpolitisch dürfte das mächtige Militär dem Ministerpräsidenten nicht freundlich gesonnen sein. Durch die letzte große Verfassungsreform hatte Erdogan die Kompetenzen vom Militär stark eingeschränkt. Dass die mächtigen Militärs der aktuellen Regierung Korruptionsvorwürfe machen, ist nicht falsch, jedoch paradox, da die Korruption zu Zeiten der Militärherrschaften Hochkonjunktur hatte und den größten Teil des Staatshaushalts verschlang. Eine Verbindung zwischen dem Militär und Gülen besteht ebenfalls.

Wie eingangs erwähnt, ist es nicht das Ziel, Erdogan als Unschuldigen hinzustellen. Er muss die wachsende Unruhe und die Angst seiner Bevölkerung beachten und mit demokratischen Mitteln entgegenwirken. Die Korruptionsvorwürfe sind sicherlich auch nicht völlig aus der Luft gegriffen. Es gilt, diese aufzudecken und betroffene Persönlichkeiten aus ihren Ämtern zu entfernen und zu bestrafen. Doch man muss beachten, dass hinter all diesen „Angriffen“ auf Erdogan eine bestimmte Absicht steckt und die Motive machtpolitischer Natur entspringen. Die aktuelle Regierung hat es bis dato geschafft, die Türkei wirtschaftlich und gesellschaftlich zu etablieren. Dem Frieden wurde ebenfalls einen Dienst erwiesen. Der türkisch-kurdische Konflikt hat sich beruhigt. Hier hat Erdogan sogar Kompromisse geschlossen und den Kurden mehr Rechte und Chancen gewährt. Die kurdischen Gebiete entwickeln sich mittlerweile zu Wirtschaftszentren mit riesigem Potenzial, dass sogar die Untergrundorganisation PKK eine Waffenruhe beschlossen hat. Das ist jene Gruppe, die sich über Jahrzehnte heftige Gefechte mit dem türkischen Militär geleistet hat.

Es bleibt abzuwarten, wie sich die Situation um den Ministerpräsidenten und  seinem Kabinett entwickelt. Es prasselt viel auf Erdogan ein. Die Frage ist, ob er es schafft, die vielen Spannungsfelder auszuhalten oder unter ihnen zusammenbricht. Nach all seinen Verdiensten wird es interessant sein, zu beobachten, ob sein möglicher Nachfolger die Türkei auf Kurs halten kann und diese ebenso prägt, wie die aktuelle türkische Symbolfigur.

 

 

 

 

 

Foto: © JUSTICE and DEVELOPMENT PARTY (AKP)

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