Rezension

Alles geben – Neven Subotić

01.09.2022 - Dr. Burkhard Luber

"Alles geben bedeutet für mich, nicht nur berührt sein von etwas, von dem Zustand der Ungerechtigkeit. Es bedeutet für mich aufzustehen und sich zu fragen: Wie kann ich durch das, was ich tue, meine gesellschaftliche Wirkung erhöhen? Wie kann ich andere mitziehen?"

(Zitat von Neven Subotić aus dem hier besprochenen Buch)

 

Dieses Buch berichtet über die eindrucksvolle Wandlung des Fußballers Neven Subotić zum Philanthropen. Damit hebt es sich wohltuend vom gängigen Genre “Tellerwäscher wird Millionär” ab. Neven Subotić und seine Ko-Autorin Sonja Hartwig erzählen in schlichter, überzeugender Sprache von den einzelnen Stationen im Lebensweg von Subotić. Die ersten Kapitel des Buches verbinden die Jugend Subotićs, der mit seiner Familie wegen des Bürgerkriegs in Jugoslawien aus ihrem Heimatort in Bosnien auswanderte, mit allgemeinen Reflexionen über Gerechtigkeit im Leben und in der Welt.
Danach entwickelt sich ziemlich atemberaubend der kometenhafte Aufstieg des Autors, der ihn mit 19 Jahren zu Borussia Dortmund führt und nach seiner eigenen Schilderung regelrecht schwindelig macht: “Ich hatte nichts in mir, mit dem ich das, was ich tat, hätte messen können, mich orientieren, irgendwie eine Verortung finden, da war keine Skala” (S.89). Fußball, speziell Erfolg beim Fußball, wurde zur alles dominierenden Kategorie für Subotićs Leben. Nichts anderes zählte mehr. Aber was sollte noch kommen in der Zukunft, wo doch so viel Geld auf dem Konto war und ein teures Haus in seinem Besitz. Subotić merkte, dass ihm der (Lebens-)Sinn fehlte.

Etwas kompensiert wurde das durch die Begegnung Subotićs mit Jürgen Klopp, Trainer von Mainz 05 und später Borussia Dortmund. Aber auch auf der Höhe seiner Profikarriere nimmt Subotić immer wieder den Menschen in den Blick: Anrührend sind seine Schilderungen, wie er sich unerkannt unter die Fans der Südkurve des Dortmunder Stadions mischt, seine Begegnung mit drei Ultras von Schalke 04 und mit zwei Parkplatzwärterinnen in der Nähe des Stadions. Allmählich ändert sich Subotićs Blick auf den Fußball-Kapitalismus und der Autor wird realistischer: Er sieht die Abhängigkeit der Spieler, die für die Vereinsführung letztlich nur Objekte sind und führt die Leser in die Niederungen des modernen Profifußballs, mit seiner Strategie der Vereine, Spieler, die nicht (mehr) in ihre Konzepte passen, loszuwerden.

Subotić verspürt immer mehr eine innere Leere in seinem Fußballer-Beruf, die auch punktuelle soziale Aktivitäten nicht verdecken können. Aber diese Leere, die an Subotić nagt, hat auch etwas Gutes: Der Autor macht sich Gedanken, wie er selber etwas finden kann, das ihn befriedigt jenseits von Geld und Glamour. Diese Reflexionen leiten über in den zweiten Teil des Buches und beginnen bezeichnenderweise mit einem Kapitel mit der Überschrift “Do it yourself”.

Hier berichtet Subotić, wie aus seinem Zweifel am Profi-Fußball Kreativität entstand, sich für Gerechtigkeit in der Welt und für benachteiligte Gruppen im Weltsüden einzusetzen. Dabei orientiert er sich ganz handfest am Einmaleins für den Start einer neuen NGO:

●     Welche Erfordernisse hat eine neu gegründete Stiftung?

●     Welches Alleinstellungsmerkmal hat sie?

●     Mit welchen Partner vor Ort lässt sich zusammenarbeiten?

●     Was sind die Stiftungsziele?

Dieses Aufbrechen zu neuen Ufern des Lebens (der Autor nennt es an einer Stelle “downsizing”) ist für Subotić nicht leicht. Er schildert offen und ehrlich, wie viel er auf diesem Weg lernen musste, er gesteht Irrtümer ein, freut sich aber über unerwarteten Freunde, die er auf diesem Weg traf.

In den letzten Kapiteln seines Buches verbindet Subotić die eigene, persönliche Metamorphose seines Lebens mit einem generellen Blick auf die globale Ungerechtigkeit und stellt Details seines Brunnenbauprojekt in Äthiopien vor, wobei er sich der vielen Spannungen und Konflikte in diesem Land voll bewußt ist.

Die Überschrift des Buch-Epilogs ist die gleiche wie die des Buches, nur diesmal mit einem Fragezeichen versehen. “Alles geben?” Auch in diesen abschließenden Reflexionen bleibt Subotić bescheiden. Er weiß sehr wohl, dass er trotz seines Engagements für seine NGO weiterhin ein privilegiertes Leben führt. So ist es nur folgerichtig, dass Subotić der Frage “Alles geben?” einen grundsätzlichen Sinn gibt, jenseits von materiellen Aspekten. Alles geben ist für ihn, niemals am Schluß des Engagements angekommen zu sein. Alles geben heißt für ihn, sich nicht mit dem Zustand der Ungerechtigkeit in der Welt abzufinden, sondern immer zu fragen: Was kann ich aktiv dagegen tun?

 


Neven Subotić, der im Juni dieses Jahres seine Fußball-Karriere beendet hat, und Sonja Hartwig haben ein eindrucksvolles Buch geschrieben. Die Überzeugungskraft ihres Textes beruht vor allem auf der großen Ehrlichkeit, mit der Subotić sein Leben schildert: Er verschweigt nicht, wie ihn der Aufstieg im Profifußball mit seinem Ruhm und Geld zunächst bestimmt hat. Und seine Entscheidung, diesen Weg nicht einfach unreflektiert weiterzumachen, wird auch nicht als eine große Heldentat geschildert, sondern als das Ergebnis einer glaubhaft gestellten Frage nach dem Sinn des Lebens.

Das Schöne bei der Lektüre des Buches ist, dass man es unter mehreren Perspektiven lesen kann:

●     Als schonungslose Analyse des modernen Profifußballs

●     Als die ehrliche Reflexion eines jungen Fußballers, der inmitten seiner steilen Karriere die Sinnfrage stellt

●     Als ein kleines “Handbuch”, welche Überlegung man anstellen soll, um ein ehrenamtliches philanthropisches Start-up zu gründen und erfolgreich zu betreiben

Gerade mit der dritten Perspektive kann das Buch über das Lesen hinaus zu eigenem Engagement im NGO-Bereich motivieren und bezeichnenderweise endet das Buch genau mit diesem engagierten Wunsch von Subotić für die/den Leser*in.

 

 

Bild von Alles geben, Gebundene Ausgabe von Neven Subotić,Sonja Hartwig, Kiepenheuer & Witsch, 9783462002331

Neven Subotić, Sonja Hartwig: Alles Geben. Kiepenheuer&Witsch, Erscheinungstermin: 09.06.2022, 272 Seiten, 22,- €

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