Gedicht

Alles im Nichts

01.01.2020 - Miriam Sommer

Wir waren alles
alles füreinander, alles miteinander
alles gleichzeitig und alles im Wechsel
mal mehr als nötig und dann wieder nicht genug
wir waren alles
bis wir irgendwann nichts mehr waren

 

Und es ist verrückt
wie aus so viel wieder so wenig werden kann
wie wir einst jede Fassade vor dem anderen fallen ließen,
jede Mauer zum Einsturz brachten
und plötzlich jedes Wort wieder nur eine leere Hülle ist
die verstecken soll,
dass wir uns eigentlich nichts mehr zu sagen haben
Wir schenken uns ein Lächeln im Vorbeigehen
und ein kurzes Hallo
um darüber hinwegzutäuschen,
dass wir uns genauso gut ignorieren könnten

 

Wir waren uns mal so nah
und sind uns jetzt gar fremd
Wissen zwar so viel vom anderen
und kennen uns eigentlich kaum mehr
Wäre da nicht so viel,
was wir teilen
so viel gemeinsame Geschichte,
so viel vergangenes Ich und Du
dass wir gegenwärtig
zwar so tun, als hätt’s das alles nie gegeben
als wär so vieles nie passiert
und doch oder deswegen
an den höflichen Floskeln und leeren Gesprächen
festhalten
um alles, was wir hatten und waren
nicht endgültig gehen zu lassen
um nicht allein zurückzubleiben im Nichts,
aus dem es dann endgültig kein Zurück mehr gibt

 

In dem es nichtmals mehr genug gibt,
als dass es was zum Festhalten gäbe.

Autoren benötigen Worte.
Worte benötigen Zeit

Unterstützen