Online-Versand

Amazon - Händler oder Droge?

01.04.2017 - Dr. Burkhard Luber

Ich muss mich outen. Für manche kritische Zeitgenossen ist das vielleicht nicht politisch korrekt: Ich bin Amazon-Fan. Bevor ich ins Detail gehe - gleich vorab: Die Berichte über die z.T. problematischen Arbeitsverhältnisse bei dem Unternehmen gefallen mir gar nicht. Lohndrückerei lehne ich ab, und ich kann überhaupt nicht nachvollziehen, warum sich Amazon dermaßen hartnäckig gegen einen Tarifvertrag mit ver.di wehrt. Vermutlich, weil Amazon das solange aussitzen will, bis sein Roboter-Inventar noch größer geworden ist.

Aber diese Bedenken machen meine Faszination des Einkaufs bei Amazon nicht grundsätzlich kaputt: Die Riesenauswahl, die kostenlose Rückgabemöglichkeit noch einen Monat nach Kauf - “no questions asked”, die Fülle an Details für die Produkte, die KäuferInnen-Rezensionen (mag sein, dass darunter einige gefaked sind, dennoch bilden sie in ihrem Gesamttenor ein wichtiges Kaufkriterium). 

Jeff Bezos will das größte Kaufhaus der Welt werden, Stichwort dafür: “Amazon” der große Fluss in Südamerika. Das mag beängstigend klingen, aber für jemand wie mich, der auf dem Land wohnt, ist Amazon sehr attraktiv. Selbst wenn ich - natürlich - immer wieder gezielt bei lokalen Händlern kaufe, viele Produkte bekomme ich einfach nicht in meiner kleinen Stadt. Also gibt's nur die Alternative: Entweder Zeit und Fahrgeld in eine Reise zur nächsten Großstadt investieren oder bequem bei Amazon suchen und bestellen. Klar, das Bestellen bei Amazon löst dort eine ökologisch spürbare Handlungskette aus: Vom Regal holen (zunehmend übrigens mit Robotern), einpacken, versenden, zustellen vor Ort. Aber Einkaufsfahrten über Land sind auch nicht ökologisch neutral. Natürlich kauf ich all das, was ich im hiesigen lokalen Gemüse- und Obst-Markt oder bei sonstigen kleinen lokalen Geschäften bekommen kann, nicht bei Amazon ein. Ein anderes Verhalten fände ich bedenklich. Aber für viele, zum Teil kleine Nischenprodukte, die ich vor Ort nicht erhalten kann, nutze ich Amazon. Z.B. hat der letzte Musikladen bei uns schon vor vielen Jahren dichtgemacht. Also: keine CDs mehr, keine Gitarrensaiten, keine Musiknoten. Und die verfügbare Kauf-Palette an Gebrauchsmaterialien für PCs, Drucker und Kopierapparate ist lokal leider höchst überschaubar, auf gut deutsch: nicht in dem Umfang vorhanden, wie ich es oft brauche. 

Natürlich, ich gestehe es, bin auch durch die problemlose Rückgabemöglichkeit verführbar. Glücklicherweise, das halte ich mir zugute, nicht so wie es z.B. von Zalando berichtet wird, das den KundInnen schon vor dem Kauf empfiehlt, doch gleich fünf verschieden Farben und Größen desselben Mantels zusammen zu bestellen, weil die nicht gekauften vier ja dann retourniert werden können. (Klamotten kauf ich sowieso nicht online, da brauch ich doch das look and feel Erlebnis und bezahl dafür lieber etwas mehr beim lokalen Jack Wolfskin Laden). Aber für Produkte, bei deren Handhabung, Qualität und Einsatzspektrum ich unsicher bin, gibt die Rückgabemöglichkeit oft den letzten Kick für die Bestellung. Aus ökologischen Gründen fände ich es allerdings besser, wenn die Retourekosten von den zurückgebenden Kunden selber getragen werden müssten. Warum sollte der Gesetzgeber das nicht, ähnlich wie bei der Pfandflaschenregelung oder dem zunehmenden Verschwinden von Plastiktüten, vorschreiben, damit solche Transportexzesse für Mehrfachbestellungen eingedämmt werden? 

Dann die Bücher - immer noch das Kerngeschäft bei Amazon. Wenn ich auf Reisen bin, geh ich ab und zu testhalber auch in lokale kleine Buchhandlungen. Ja, ich kann deren Furcht vor dem Branchenriesen verstehen. Aber ist es nicht die gleiche Angst, mit der sich das Druckgewerbe auf die Digitalisierung einstellen musste oder früher die WeberInnen, als sie mit den neuen mechanischen Webstühlen konfrontiert wurden? Ich bin durchaus dafür, dass man solchen obsolet werdenden Branchen und ihren dort arbeitenden ArbeiterInnen mit staatlichen Fördergeldern einen sanften Transit in zukunftsträchtigere Branchen ermöglichen soll. Aber ich weiß auch, dass Maschinenstürmerei den technischen Fortschritt damals ebenso wenig aufhalten konnte wie heute eine ohnmächtige Gegnerschaft gegen die Digitalisierung, Künstliche Intelligenz und Roboter-Automatisierung. 

Wenn ich mich nun in lokalen Buchläden umsehe und nach Service Ausschau halte, werde ich leider sehr oft enttäuscht a la “kenne ich nicht”, “haben wir nicht”, “kann ich Ihnen nicht zeigen”, “liefern wir nicht”. Da kommt es mir so vor, als ob gerade in der Buchhandelsbranche ein unverständlicher Trotz gegenüber Amazon herrscht, ohne objektiv die Vorteile eines online Buchkaufes wahrzunehmen: Kann ich in einer Buchhandlung noch vor einem möglichen Kauf in einem Buch lesen, zu mindestens das Inhaltsverzeichnis? Kann ich mich über Buchrezensionen informieren? Kann ich…. Natürlich stehen jetzt zunehmend PCs in Buchläden. Aber wo sind sie kundenzugänglich, wo wird dem Kunden erklärt, wie er sie für seine Buchsuche und -kauf optimal nutzen kann? Und wenn solche Terminals in den Läden angeboten werden, stehen oft schon andere Kunden davor, so dass ich mir innerlich sage: DAS kann ich dann doch bequemer und entspannter bei einer Tasse Kaffee zu Hause machen. 

Aber kritische Leute sagen mir: “Du machst den lokalen Buchhandel kaputt, du bist an der wachsenden Zahl von Insolvenzen von kleinen Buchhandlungen schuld”, wenn sie von meiner Amazonaffinität erfahren. Ja, das mag für den Kauf von neuen Büchern so sein, aber es gilt nicht für den gesamten Buchhandel. Immerhin ist diese Branche in Deutschland aus nicht nachvollziehbaren Gründen sowieso schon mehrwertsteuerlich und über die Preisbindung privilegiert. Da ist die Situation in den USA z.B. ganz anders (ähnlich lässt sich die Monopolstellung deutscher Apotheken kritisieren). Wo das o.a. Argument gegen Amazon überhaupt nicht stimmt, ist der Bereich der antiquarischen Bücher. Wenn es sich nicht um Bücher handelt, die kürzlich neu erschienen sind, bestell ich selber sowieso nie die neueste Version, sondern finde immer ein gut lesbares antiquarisches Exemplar. Und damit hilft Amazon in bemerkenswerter Weise den kleinen Antiquariaten, ja sogar Einzelpersonen, die ihre alten Bücher nicht zum Altpapier werfen, sondern noch vernünftig loswerden wollen. Denn ohne Amazon würde ich ja nie erfahren, dass mein ausgefallener Wunsch nach einem längst vergriffenen Buch in einem kleinen Antiquariat in Flensburg oder Passau vorrätig ist. 

Und da steht noch der Vorwurf “Amazon, die Datenkrake” im Raum. Aber ist das Sammeln von Kundendaten wirklich etwas völlig Neues? Auch früher notierten Läden schon immer die Vorlieben ihrer Kunden, und ich vermute, dass viele der Leute, die sich über Amazons Datensammelei aufregen, wahrscheinlich selber, ohne darüber nachzudenken, verschiedene Kunden- und Payback-Karten mit sich herumtragen. Amazon, das ist die Firmenstrategie, katapultiert eben alte Methoden des Verkaufs und der Kundenbindung ins digitale Zeitalter. Und, da bin ich ganz ehrlich: Warum soll ich was dagegen haben, wenn Amazon mir Vorschläge macht, die auf meinem Interessenprofil basieren oder auf den Kaufverhalten von Kunden, die ähnlich wie ich gestrickt sind. Ja, manchmal habe ich dadurch sogar Empfehlungen für interessante Bücher wahrgenommen, von denen ich sonst gar nichts erfahren hätte. 

Schließlich: Ich kenne die Skepsis mancher Leute, ihre Daten in die Cloud zu stellen. Aber das Angebot von Amazon, mir für schlappe 70 Euro im Jahr über ein unbegrenztes (!) Speicherangebot die Angst vor einem Festplattencrash oder noch schlimmer: vor dem Verbrennen aller meiner Backupmedien in meiner Wohnung zu nehmen, habe ich ohne Zögern aufgegriffen. Und ich nutze gerne auch täglich die beiden Streaming Angebote von Amazon: E-Books (die stets preiswerter sind als die Druckversionen!) auf all meinen Geräten lesen zu können und ebenso meine Musik auf all meinen Geräten hören zu können. 

Ich sagte es am Anfang bereits: Ich werde mich mit meiner in alternativen Kreise politisch nicht so korrekten Affinität zu Amazon unbeliebt machen. So habe ich nichts mehr zu verlieren, wenn ich in dieser Kolumne als Schlusspunkt setze: Seit einiger Zeit höre ich in unserer Wohnung Alexas Stimme in einem “Echo” von Amazon, das ich mir erst mal aus digitaler Neugierde bestellt habe, dessen elektronische Butler-Funktion ich aber zunehmend schätzen lerne. Und ich bin sicher: das Ende der PC-Tastatur rückt näher. In ein paar Jahren werden wir nur noch über Sprache mit dem Computer agieren. 

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