Rezension

Anleitung zum Unglücklichsein

01.11.2015 - Bele Krüger

Der Titel lässt bereits vermuten, dass Ironie im Spiel ist. Denn wer will schon unglücklich sein? Und wer ist so blöd und kauft sich eine „Anleitung zum Unglücklichsein“? Das sind die Fragen, die einem vor der Lektüre im Kopf kreisen.

Doch mit jeder Seite und jedem Lesen eines weiteren, sich mosaikartig aneinanderreihenden Themen, wird das Bild klarer und nach der Gesamtlektüre fällt es einem wie Schuppen von den Augen: Man erkennt sich selbst in voller Schärfe.

Wer kennt es nicht, das Festhalten und Verherrlichen der eigenen Vergangenheit, das uns „Unglückspiraten“ ein „unerschöpfliches Trauerreservoir“ erschafft? Denken wir nur an das Goldene Zeitalter der Jugend oder an unsere verflossenen Lieben…! Und auch die Geschichte der selbsterfüllenden Prophezeiungen ist uns nicht fremd: Durch negative Gedanken und Unterstellungen sind wir es manchmal selbst, die eine bestimmte Situation praktisch heraufbeschwören, getreu dem Motto: „Die Prophezeiung des Ereignisses führt zum Ereignis der Prophezeiung.“ Und dann ist da noch die Sache mit den Elefanten. Das sagt Ihnen nichts? Falls dem so ist empfiehlt sich zweifelsfrei die Lektüre. Denn hier erfährt der Leser, dass er alle zehn Sekunden in die Hände klatschen sollte, um Elefanten zu vertreiben, auch, oder gerade weil gar keine Elefanten da sind. Oder anders ausgedrückt, dass die permanente Vermeidung eines Problems dessen Fortbestand garantiert.

Natürlich ist es ein überspitztes Bild, das dem Leser hier dargebracht wird, fast polemisch, wie es sich für Schauspiel, Lyrik und Prosa eben gehört. Doch eben diese maßvolle Übertreibung ist notwendig, damit der Leser erkennt, wie unnötig das alles ist: Wer unglücklich sein will, der muss sich wirklich anstrengen, denn in den meisten Fällen besteht kein Grund für Trübsal. Zu oft sind wir es selbst, die sich ihr Schloss des Unglücklichseins bauen. Weise und bedacht setzen wir Stein auf Stein und reißt jemand oder das glückliche Schicksal die selbsterbauten Mauern des Trübsals ein, so nehmen wir kurzerhand und unbedacht andere Steine und führen fort, was kurzzeitig unterbrochen wurde: Stein auf Stein, denn wir wollen ja unglücklich sein (und bleiben).

Doch wie bei einer Ikeaanleitung muss man sich selbst auch bei der penibelsten Befolgung der Anleitung zum Unglücklichsein Schwächen eingestehen. Denn ab und zu verschraubt man sich und ehe man sich versieht, kommt ein Moment des Glücks zustande, den man sich, wie auch das Unglücklichsein, selbst zuzuschreiben hat.

Das Sachbuch in Form eines Anti-Ratgebers ist in kurze Geschichten untergliedert und thematisiert sämtliche Lebensbereiche: Kommunikationsprobleme in der Partnerschaft, Unterstellung böser Absichten in der Nachbarschaft, unerreichbare Ziele und unerfüllbare Wünsche oder geringe Selbstachtung sind nur einige Beispiele. Dabei greift Paul Watzlawick oft Zitate bekannter Schriftsteller auf, wie etwa Shakespeare, Jean-Paul Sartre oder Lewis Carroll, und so laden die im Literaturverzeichnis aufgeführten Werke zur vertiefenden Lektüre ein. Unglücklichsein, so zeigt sich, ist seit Jahrhunderten, ein Thema, das Menschen beschäftigt.

Es ist der alles erklärende Irrsinn des Nullsummenspiels, den Paul Watzlawick am Ende seines Buches aufgreift, also der Glaube daran, dass es zwangsweise nur einen Gewinner geben kann und dass der Verlust und Schaden des einen dem Gewinn und Glück des anderen entspricht: „Warum fällt es uns bloß so schwer, einzusehen, dass das Leben ein Nichtnullsummenspiel ist? Dass man daher gemeinsam gewinnen kann, sobald man nicht mehr davon besessen ist, den Partner besiegen zu müssen, um nicht besiegt zu werden? Und […] dass man sogar mit dem Großen Gegenspieler, dem Leben, in Harmonie leben kann?“  Und obwohl bereits im Jahr 1983 erschienen, lässt sich ein nahezu perfekter Bezug auch zum Jahr 2015 feststellen, indem wir uns sowohl die politische Lage und das Ausmaß der internationalen Konflikte als auch die zynisch-ironische Antwort des Autors auf die obige Frage vor Augen führen: „Doch warum sollten wir gewöhnlichen Sterblichen weiser sein als die ungleich mächtigeren Nullsummenspieler, zum Beispiel die Politiker, Patrioten, Ideologen oder gar die Supermächte? Nur feste drum – viel Feind, viel Ehr, und wenn alles in Scherben fällt…“

„Anleitung zum Unglücklichsein“ führt uns anhand von bildhaft überspitzten Beispielen vor Augen, warum wir selbst es sind, die über unseren Gemütszustand entscheiden. Auf erschreckende Weise beruhigend wirkt die Erkenntnis, dass man wohl nicht der einzige Mensch auf Erden ist, der sich sein Trübsal (zu oft) selbst erschafft. Das Buch bietet Anregung, um über bestimmte Verhaltensweisen nachzudenken, aber ohne den erhobenen Zeigefinger. Wer gerade unglücklich ist, sollte sich das Buch kaufen und es sich mit einer Tasse Tee auf dem Sofa bequem machen, denn diese Nachmittagslektüre lässt einen (über sich selbst) schmunzeln und nachdenken ohne unangenehm belehrend zu wirken. Wer sich in den Geschichten dieses Buches nicht wiedererkennt, muss wahrhaft glücklich sein.


Paul Watzlawick: Anleitung zum Unglücklichsein. 134 Seiten. Piper. 8,99 Euro. 7,99 Euro (Kindle-Edition).

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