Rezension

Armageddon im Orient

15.10.2018 - Arman Lee

"In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auch auf diese Weise geplant war." (Franklin D. Roosevelt)

 

 

"Alles hängt mit allem zusammen." Wer bereits ein vorangegangenes Werk von Michael Lüders zum Nahen und Mittleren Osten gelesen oder einen Vortrag zu seinen Veröffentlichungen gehört hat, wird wissen, dass dies die Quintessenz seiner Analysen ist. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich die Intention, Hintergründe und Zusammenhänge von vermeintlich voneinander unabhängigen Konflikten darzulegen. In seinem neuesten Werk "Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt" analysiert Lüders den aufflammenden Konflikt zwischen Saudi Arabien und dem Iran, der für Lüders nicht nur als ein Kräftemessen zweier Akteure um eine Vormachtsstellung im Nahen Osten interpretiert werden darf, sondern in einem größeren geopolitischen Kontext gesehen werden muss.

Lüders Ansatzpunkt für seine Analyse sind die historisch weit zurückliegenden und bis in die heutige Zeit andauernden politischen und insbesondere wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Saudi Arabien und den Vereinigten Staaten von Amerika. Diese Beziehungen drücken sich durch privatwirtschaftliche Investitionen diverser amerikanischer Erdölunternehmen in Saudi Arabien zur Erdölförderung aus und der darauf begründeten politischen Agenda Washingtons diese wirtschaftlichen Interessen und Beziehungen zu wahren. So entstand im weiteren Verlauf von zunächst privatwirtschaftlichen Investitionen ein Netzwerk zwischen dem saudischen Königshaus und einflussreichen amerikanischen Investoren, Unternehmern und insbesondere Politikern. Lüders benennt die entscheidenden politischen Persönlichkeiten im Zusammenhang ihrer politischen sowie privatwirtschaftlichen Interessen, welche sich zwangsläufig überschneiden. Eines der aufschlussreichsten Beispiele, das Lüders für die Vermischung von privatwirtschaftlichen Interessen und Politik anführt, ist der Besuch George H. W. Bushs, damals Vizepräsident unter Ronald Reagan, in Saudi Arabien im Jahre 1982. Weil das zu diesem Zeitpunkt vorhandene Überangebot an Erdöl die Preise auf dem Weltmarkt nach unten drückte und damit den texanischen Erdölunternehmen schadete, forderte Bush das saudische Königshaus auf, Maßnahmen zu ergreifen. Richtig interessant wird dieses Vorgehen, um die amerikanische Erdölindustrie zu retten, erst dann, wenn man weiß, dass Sohn George W. Bush im Jahre 1977 ein Erdölunternehmen in Texas gründete und dieses durch Fehlkalkulationen in seiner Existenz bedroht war. George W. Bushs erfolgsloses Unternehmen wurde mehrmals weiterverkauft und erhielt vom saudischen Königshaus schließlich, nachdem Vater Bush 1989  Präsident geworden war, exklusive Bohrungsrechte an der saudischen Küste vor Bahrain. Ein perfektes Beispiel für die Vermischung von privaten und politischen Interessen. Diese Art der Verhandlungsmethode basiert nach Lüders auf dem Einfluss amerikanischer Familiendynastien, wie beispielsweise die der Roosevelts, Kennedys, Clintons und eben Bushs, welche nach dem 2. Weltkrieg das politische Establishment der Vereinigten Staaten dominierten und daran interessiert waren, ihre eigenen Investitionen auf politischer Ebene langfristig abzusichern. Ausgehend vom Erdöl hat sich im Laufe der Jahrzehnte ein vielschichtiges Investitionsnetzwerk zwischen den beiden Staaten entwickelt. Von saudischen Investitionen in amerikanische Staatsanleihen bis hin zu milliardenschweren amerikanischen Waffenverkäufen, wie zuletzt unter Trump für 350 Milliarden US Dollar an Riad. Nach Lüders ein "Konglomerat aus Politik und Big Business".

Die engen wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Riad und Washington beeinflussen folglich die Machtstrukturen des Nahen und Mittleren Ostens. Das saudische Streben nach einer regionalen Vormachtstellung im islamischen Raum kollidiert zwangsläufig mit dem Iran als Großmacht in der Region. Für Lüders sind die religiösen Differenzen zwischen Saudi Arabien mit seiner wahabitischen Staatsideologie und dem Iran als schiitisch-islamische Republik nur vorgeschobene Konfliktpunkte. Es gehe primär um politische Macht. Die Rede in der westlichen Medienlandschaft vom sogenannten schiitischen Halbmond als Einflussgebiet des Iran, welcher von Teheran über Bagdad, Damaskus bis Beirut reicht, ist ein großer Kritikpunkt, dem Teheran ausgeliefert ist. Das westliche Narrativ, in dem der Iran diesen Einflussbereich aktiv und sukzessiv aufgebaut habe, stimmt nur bedingt. Lüders argumentiert schlüssig, dass der Westen und die Golfstaaten durch ihre Interventions- und Stellvetreterkriege für die zum Vorteil des Iran geschaffene politische Ausgangslage verantwortlich sind, und zwar im Irak durch den Sturz des sunnitischen Diktators Saddam Hussein und der Machtübernahme der Schiiten, in Syrien durch den fehlgeschlagenen Sturz Assads und dem daraus resultierenden Schulterschluss zwischen Damaskus und Teheran sowie im Libanon durch die Gründung der schiitischen Miliz der Hisbollah als Reaktion auf die israelische Besatzung 1985. In diesem Zusammenhang macht Lüders auch auf die politischen Ziele Israels und einflussreicher pro-israelischer Lobbygruppen in Washington aufmerksam, die die Verlegung der amerikanischen Botschaft nach Jerusalem genau so zum Ziel hatten, wie den Iran nicht als Großmacht auf Augenhöhe mit Israel zu dulden und deshalb einen Konfrontationskurs anstreben. Dass Trump von diesen Gruppen Spenden für seinen Wahlkampf erhalten hat und anschließend die Verlegung der Botschaft durchsetzte, spricht für Lüders These, dass eben alles mit allem zusammenhängt.

In der Debatte um den Iran als "Schurkenstaat" und dem Zustand der dortigen Menschenrechte und dem Mangel an Demokratie, schafft es Lüders mit seiner chronologischen und zusammenhängenden Darstellung der ambivalenten und sich im Laufe der Jahrzehnte stets verändernden Wahrnehmung des Iran im Westen, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika und Israel, den Doppelstandard den man gegenüber Teheran ansetzt am Beispiel Saudi Arabiens vorzuführen. Trotz der absoluten Monarchie in Riad, die mit ihrer erzkonservativen Auslegung des Islam in Form ihrer wahabitischen Staatsideologie und der damit verbundenen Nähe zum Dschihadismus spätestens seit 2017 eine offen aggressive Außenpolitik bezogen auf iranische Interessen im Nahen Osten ausübt, wie beispielsweise der brutale Krieg in Jemen, welcher in der westlichen Medienlandschaft kaum thematisiert wird, wird Riad als Handels- und Rüstungspartner im Westen geschätzt, während der Iran mit harten Sanktionen belegt wird. Den Höhepunkt seiner Analyse bildet das Beispiel des Atomabkommens mit dem Iran vom Juli 2015, in dem er richtig darauf hinweist, dass der Iran sich bewiesenermaßen an alle Auflagen des Abkommens hält und der einseitige amerikanische Austritt symbolisch für den anhaltenden Doppelstandard gegenüber dem Iran steht. Die Doppelmoral, die in Bezug auf den Iran und Saudi Arabien angewendet wird, lässt sich auch aktuell am Beispiel des verschwundenen regimekritischen saudischen Journalisten Jamal Khashoggi aufzeigen. Die diplomatischen Konsequenzen aus diesem Vorfall halten sich in ihrer Strenge bis dato in Grenzen. Und auch Donald Trump schloss einen Stopp der Waffenlieferungen an Riad aus wirtschaftlichen Gründen aus. Ein Was-wäre-wenn-Szenario in dem Saudi Arabien durch den Iran ersetzt werde würde, würde einem Kriegsszenario gleichkommen.

Michael Lüders Analyse der politischen Spannungen zwischen Saudi Arabien und dem Iran anhand der Erläuterung und Analyse von politischen sowie wirtschaftlichen Hintergrundformationen können den Wissenstand der LeserInnen beträchtlich erweitern. Dass die Krisen und Konflikte im Nahen und Mittleren Osten alle bis zu einem gewissen Grad zusammenhängen und tragische Konsequenzen bestimmter politischer Entscheidungen sind, dürfte in der gesellschaftlichen Wahrnehmung einer Großzahl von Menschen bewusst sein. Dass allerdings, wie Lüders es formuliert, alles mit allem zusammenhängt und dieser Zusammenhang durch gemeinsame finanzielle, wirtschaftliche und ideologische Ziele Interessen von Privatpersonen, Unternehmen, Lobbys und Politik gravierend miteinander vermischt wird, ist besorgniserregend. Nach der Lektüre des Werkes ist daher eine vielleicht noch bessere Quintessenz mit den Worten Franklin D. Roosevelts zu formulieren: "In der Politik geschieht nichts zufällig. Wenn etwas geschieht, kann man sicher sein, dass es auch auf diese Weise geplant war."

 

 

 

Michael Lüders: Armageddon im Orient. Wie die Saudi-Connection den Iran ins Visier nimmt. C.H.Beck Verlag, 2018, 265 Seiten, 14.95 Euro.

 

 

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