Ausgabe #123

Aus der Chefredaktion: Durch Kinderaugen sehen

15.11.2018 - Alia Hübsch-Chaudhry

Liebe Autorinnen und Autoren, liebe Leserinnen und Leser,

was wäre eine Welt ohne Kinder? Diese Frage schwirrte mir schon länger durch den Kopf. Nicht erst seitdem ich vor wenigen Tagen Mutter wurde. Es ist kein Geheimnis, dass wir uns in einer kinderfeindlichen zumindest -kritischen Gesellschaft befinden. Kinder gelten gemeinhin als Freiheitsberaubung und Karrierehindernis. Obgleich der demografische Wandel uns eigentlich dazu zwingen müsste, mehr Kinder zur Welt zu bringen. Der abstrakte Gedanke eines Fortbestands unserer Spezies kann jedoch dafür keinesfalls Anreiz genug sein. Bis zu einem gewissen Grad kann ich einen konkreten Zweifel nachvollziehen: Warum Kinder in eine Welt bringen, die von Ausbeutung, Krieg, Krankheiten und unzähligen moralischen Lastern geprägt ist? Von der wir nicht wissen, welche Zukunft sie uns und unseren Kindern verspricht?

Kennt ihr den Science-Fiction-Thriller „Children of Men“? Dieser Film erzählt von einer Welt ohne Kinder. Aus unklaren Gründen wird in jener Welt seit über 18 Jahren kein einziger Mensch mehr geboren. Frustration, Chaos, Umweltzerstörung, Terrorismus und Bürgerkriege bestimmen den Alltag stärker als je zuvor. Es herrscht Weltuntergangsstimmung. Bis, wie durch ein Wunder, eine einzige Frau inmitten der Krisen schwanger wird. Inmitten des Trümmerfeldes, wo geknechtet und ausgebeutet, gemordet und geraubt wird, sind plötzlich die Schreie eines Neugeborenen zu hören. Es wird ganz still, alle staunen, die Waffen ruhen. Die Geburt wird zu einem Symbol für Hoffnung, einer Möglichkeit zu Verständigung und einer Perspektive auf eine friedliche Welt.

Ich glaube, dass die Lösung für eine Besserung der Menschheit darin liegt, in dieser Welt Kinder zu hinterlassen, die besser, stärker, weiter und weiser sind als wir. Im Idealfall machen wir sie glücklich, sie machen uns glücklich und sie machen wiederum andere glücklich. Ein Kreislauf der Liebe, der Freude. 

Wenn ich in den letzten Tagen meine Tochter Nuria anschaue, frage ich mich, wie Menschen angesichts dieser Schönheit, dieser Unschuld und Hilflosigkeit überhaupt so viel Unrecht und Zerstörung walten lassen können. Kinder sind auf unsere Empathie, bedingungslose Liebe und Opferbereitschaft angewiesen. Sie zwingen uns dazu, sich mit unserem Charakter und moralischen Verhalten kritisch auseinanderzusetzen.

Als frischgebackene Mutter weiß ich, wie körperlich und manchmal auch mental anstrengend es sein kann, sich um ein Kind zu sorgen. Dennoch kann ich es nicht in Worte fassen, welche Bereicherung und welches Glück ich empfinde, wenn ich in die Augen unserer Kleinen schaue. Kinder, davon bin ich überzeugt, verändern unsere Wahrnehmung auf uns selbst und auf unsere Welt, weil wir anfangen ihren Blick einzunehmen, um auf die beste Art und Weise für sie zu sorgen und auf sie und ihre Bedürfnisse einzugehen. Und ist es nicht die unschuldige, ehrliche Sicht eines Kindes, das die Welt neu kennenlernt, die uns dazu verhilft ehemals Selbstverständliches wertzuschätzen, es neu zu begreifen, kennenzulernen und darüber zu staunen? Wir werden neugieriger und lebendiger als zuvor. Kinder stiften Sinn.

In diesem Sinne können wir euch hoffentlich auch in der aktuellen MILIEU-Ausgabe etwas bieten, das eure Neugier und euren Wissensdurst befriedigen wird. Im Interview mit dem Musiker Ziggy Marley geht es um seine Erinnerungen an seine eigene Kindheit, an seinen Vater Bob Marley und seine Überlegungen zur Problemlösung der Menschheit. In eine Frage des MILIEUs analysiert der Polit-Psychologe Michael Griesemer kritisch und klug die Ursachen für den Erfolg der AfD. Aber das ist natürlich längst nicht alles. Lest selbst!


Beste Grüße,

Alia Hübsch-Chaudhry
Chefredakteurin

 

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