Kurzgeschichte

Balboa - Das Gute gewinnt

01.03.2014 - Cihan Köse

Es war einmal ein sehr armer Mann, der alles was er besaß, verloren hatte. Vor ein paar Jahren war er noch ein ganz normaler Handwerker, der sein ganz normales Gehalt mit seinem ganz normalen Leben verdient hatte. Die Firma ging pleite und so schnell fand er keine Stelle mehr. Mit unzähligen Terminen beim Arbeitsamt quälte er sich herum.

Seinem Sohn und seiner Tochter schmierte er jeden Morgen um halb sieben die Brote, kontrollierte die Taschen der Kinder, ob diese für den Schultag die richtigen Materialien eingepackt haben und weckte sie pünktlich um sieben. Er half beiden beim Anziehen der Strumpfhosen, kämmte die Haare der Tochter, so gut er konnte und achtete beim Jungen darauf, dass seine Jeans keine Grasflecken auf den Knien hatten. Pünktlich um 07:15 ging er aus der Tür. Erst den Jungen zur Grundschule, dann das Mädchen zur Gesamtschule. Sie war zwar alt genug, aber diese letzte Frau in seinem Leben wollte er besonders gut beschützen.

So, und jetzt zu dem besagten Termin beim Arbeitsamt. Der Sachbearbeiter sprach von ähnlichen, tollen Jobs, bei denen er seine Fähigkeiten vom Handwerk doch kreativ einbringen könnte: Call-Center, Auf- und Abbau beim Weihnachtsmarkt als Übergang, im Supermarkt Regale auffüllen usw... die Vorschläge wurden nicht besser. Das Handy klingelt. Die Nummer auf dem Display war vom Schulbüro der Schule, zu der er vor knapp einer Stunde seine Tochter hingebracht hat: „Verdacht auf Lungenentzündung“. Der Termin beim Amt wurde abgebrochen und verschoben. Seine Tochter war extrem blass und zitterte am ganzen Körper. Er nahm sie auf seine Arme, sie lag Brust an Brust an ihm, umklammerte ihren Vater und beide gingen aus dem Schulbüro. Sie hatte das jetzt schon wieder und es wurde von Mal zu Mal immer schlimmer. Wenn sie hustete, schien der Schmerz immer stärker zu werden. Ihr zarter, gebrechlicher, unschuldiger Körper schien sich auch jedes Mal immer weniger dagegen wehren zu können. Es ist für ihn wie eine Strafe, sie so sehen zu müssen und einfach nichts Anderes tun zu können, als sie mit Medikamenten voll zu pumpen.

Wie er heute noch den kleinen Jungen abgeholt hat, wie er das Essen für die Kinder zubereitet hat und wie er die Wohnung auf Vordermann gebracht hat – daran erinnert er sich abends, als er die zweite Waschmaschine nochmal anwirft, nicht einmal mehr. Es ist halb elf, als er die Wäsche aufhängt. Das Geld für ein Gute-Nacht-Bier reicht auch nicht. Dann doch lieber irgendwie die Kiddies durchbringen.

Kennst du, lieber Leser oder Leserin, die folgende Situation:
Manchmal steht man morgens auf und die Lösung scheint parat. Du hast diese Eingebung heute etwas ganz Bestimmtes tun zu müssen, ohne Bedenken zu haben, ob es richtig ist. Es kann einfach darum gehen, eine bestimmte Aufgabe zu lösen, es kann davon handeln, zu wissen wie du deine Hausarbeit doch perfekt hinbekommst, obwohl das Thema noch so beschissen zu sein scheint. Vielleicht ist es auch einfach eine herzliche Geste, die du einem wichtigen Menschen zeigst. Der Vater in meiner kleinen Geschichte hatte auch diese Eingebung. Er wollte endlich weg aus der Stadt voller Anforderungen und Verpflichtungen. Er wollte seinem Sohn erlauben, auch mit schmutzigen Jeans willkommen zu sein. Er wollte weg aus der Wohnung, wo die Heizung nach einer bestimmten Zeit von alleine ausgeht, nur weil es sich um eine Sozialwohnung handelt. Sein klitzekleine Lebensversicherung löste er auf, verkaufte alles Hab und Gut aus der Wohnung, brachte die Kinder bei seiner Schwester unter und sagte nur: „Du hast jetzt für paar Monate die Aufgabe, dich um sie zu kümmern“ und verschwand.

Zwei Monate später sah man ihn etwas außerhalb der Stadt. Er fing an, ein Haus zu bauen. Eines wo er entscheidet, wie lange die Zimmer für die Tochter beheizt werden. In einer Gegend, wo sich niemand drum scheren würde, wie jemand aussieht. Tag für Tag machte er sich zum Gespött der Menschen. „Verrückt“ sei er. „Es würde ja nie klappen“, weil er nicht genug Geld, Kraft und anderes habe. Beschimpfungen hielt dieser Vater und Handwerker aus. Zwar nur von herumlungernden Jugendlichen, aber dennoch taten die Worte oft sehr weh. Von seinen Kindern hatte er seitdem nichts mehr gehört. Wo er schlief, war auch niemanden hier bekannt. Er war einfach nur jeden Morgen ab sieben beim Haus und man hörte ihn so lange hämmern, wie es das Tageslicht erlaubte. Einer von den Jugendlichen konnte mal beobachten, wie ihn ein großer Holzbalken auf den Fuß fiel. Er hätte schwören können, eine Träne gesehen zu haben. Ob Schmerz oder Wut dabei der Grund war, war aber nicht ganz klar. Nur, dass er sich setzte, ein Foto aus der Tasche zog, inne hielt, das Foto zurück in die Tasche schob. Langsam aufstehen, keine Zeit verschwenden, weitermachen! Das Haus nahm nun immer mehr an Form an. Es sah zwar nicht schön aus, aber man konnte sich vorstellen, dass da mal drei Personen genügend Platz finden würden. Stein auf Stein, Tag für Tag, es scheint zu klappen. Seine Eingebung machte Sinn. Dieser Mann gab die letzten Kraftreserven für den Bau des Hauses.

Hast du je einen erwachsenen, gestanden Mann schon mal weinen gesehen? Die Gänsehaut, die man bekommt, weil jemand so starkes doch eigentlich vor nichts mehr Angst hat. Die eigene Unsicherheit, weil du glaubst: Wenn selbst so einer weint, wie wird es wohl mir ergehen? Wie das Leben nun mal so spielt, folgt auf den harten Fall meist der heldenhafte Aufstieg. Jedenfalls wird dies behauptet. Rückblickend war es eigentlich klar, dass er dieser Eingebung zwar folgen könnte, aber das Ziel nie erreichen würde. Das Haus steht noch heute zerfallen in seinen Einzelteilen und keiner weiß warum. Es gibt doch so etwas wie Karma, oder? Hat nicht jemand, der sich selbst immer zurückstellt; jemand der alles dafür gibt, dass andere glücklich werden; jemand den wir als ‚liebste Seele auf Erden‘ bezeichnen – hat so jemand es nicht verdient, auch mal im Leben dranzukommen? Richtig: Doch, hat er! Aber wen interessiert es?

 

 

 

 

 

Foto: © familymwr

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