Reflexionen

Bin ich handysüchtig?

01.11.2020 - Marlene Heckl

Schon morgens nach dem Aufwachen geht der erste Blick aufs Handy. Beim Warten an der Bushaltestelle zückt man wie automatisch sein Smartphone, um sich die Zeit zu vertreiben. Selbst am stillen Örtchen kann man oft nicht die Finger davon lassen. Und jetzt während Corona ist alles noch schlimmer geworden!

 

Aber bin ich deswegen schon handysüchtig?

Streng genommen muss man diese Frage definitionsgemäß mit nein beantworten, denn Handysucht ist keine anerkannte medizinische Krankheit – wie etwa Alkoholabhängigkeit oder Spielsucht. Aber wie immer ist das Ganze natürlich etwas komplizierter.

Denn auch wenn es keine eigenständige Diagnose ist, gibt es das Gefühl ständig sein Smartphone überall dabei haben zu müssen ja trotzdem. Das Phänomen hat sogar einen Namen. Psychologen sprechen von Nomophobie (für No-Mobile-Phone-Phobia). Damit also ist die Angst gemeint kein Handy mehr zu haben und für andere unerreichbar zu sein.

Aber wo ist die Grenze zwischen normalem Handygebrauch und einer echten Sucht?

Handyjunkie oder Smartphoneverweigerer?

Acht von zehn Menschen nutzen in Deutschland inzwischen ein Smartphone, durchschnittlich 80 Minuten am Tag. Alle 12 Minuten schaut der Durchschnittnutzer auf sein Handy. Laut einer Untersuchung der Bundesregierung sind ungefähr 1% aller Deutschen regelrecht abhängig. Bei den 14-16-jährigen sind es sogar 4%. Das Smartphone ist aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Aber ab wann ist man denn wirklich abhängig?

Wichtig ist: Es kommt gar nicht darauf an wie viel Zeit man genau am Handy verbringt, wobei natürlich das Potenzial für eine Abhängigkeit mit der Dauer der Nutzung steigt. Aber von echter „Abhängigkeit“ bzw. „Sucht“ spricht man in der Medizin generell, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien erfüllt sind:

- der starke Wunsch oder Zwang, etwas zu tun bzw. die ständige gedankliche Beschäftigung damit

- der Verlust der Kontrolle über Zeit und Ausmaß der Beschäftigung

- die Unfähigkeit zur Abstinenz (also einfach mal loszulassen und das Handy für ein paar Tage nicht zu nutzen)

- die Ausbildung einer Toleranz (man braucht immer und immer mehr, um das gleiche Maß an Zufriedenheit zu erreichen)

- Entzugserscheinungen, wenn die betreffende Handlung nicht durchgeführt werden kann und

-der Rückzug aus dem sozialen Leben, was mit beruflichen oder privaten Problemen durch die übermäßige Nutzung einhergehen kann

Übrigens: Wer einmal einen Online-Selbsttest zur Problematik der eigenen Smartphone-Nutzung durchführen will, wird auf der Seite der Universität Ulm fündig.

Gezielte Manipulation zur Sucht

Sucht ist also das zwanghafte Verlangen nach einem bestimmten Reiz – wie etwa einer Droge oder eben der Griff zum Handy. Dabei wird der Botenstoff Dopamin in unserem Körper freigesetzt. Dopamin ist auch als Glücks- oder Belohnungshormon bekannt, denn es macht uns zufrieden und sorgt dafür, dass wir immer mehr wollen.

Das gemeine daran: das wissen auch die Betreiber der Internetplattformen. Sie nutzen das sogenannte Addictive Design, also eine Technik, die bewusst versucht Suchtverhalten zu erzeugen. Nicht umsonst beschäftigen Internet-Giganten wie facebook, instagram und Co. seit Langem Psychologen, um sich Einblicke in menschliche Denkmuster zu verschaffen.

Dabei werden verschiedene Techniken zur gezielten Steuerung unseres Verhaltens angewandt. Die große Herausforderung dabei: den Nutzer so lange wie möglich auf der Plattform zu halten.

Stellt euch einen Glücksspielautomaten vor. Wenn man den Hebel nach unten drückt, dann hofft man jedes Mal auf den großen Gewinn. Süchtig macht uns dabei die Unvorhersagbarkeit: Gewinne ich den Jackpot, einen Trostpreis oder gehe ich leer aus?

Keep Scrolling

Dieser Impuls der Hoffnung funktioniert genauso bei unseren Smartphones. Wir spielen ein Glücksspiel um neue Benachrichtigungen. Wenn wir unseren Handyfeed aktualisieren, dann erhoffen wir uns das Laden von neuen, unbekannten, spannenden Inhalten. Haben unsere Freunde etwas neues gepostet? Ist etwas aufregendes in der Welt passiert?

Dopamin wird ausgeschüttet und wir bekommen jedes Mal einen kleinen Kick, ein Gefühl der Belohnung, selbst wenn wir gar keine Inhalte sehen, die uns gefallen. Denn es könnte ja sein, dass uns beim nächsten Scrollen etwas richtig Cooles angezeigt wird.

So haben wir die Illusion der Kontrolle, da wir scheinbar jederzeit aufhören können – es aber in der Regel nicht tun, weil uns sofort das Gefühl beschleicht wichtige Inhalte zu verpassen. Das Phänomen ist auch als variabler Quotenplan bekannt. Unsere Handlungen werden belohnt, aber zu unterschiedlichen Zeiten. Wir als Nutzer wissen also nicht, wann wir belohnt werden, nur, dass wir es irgendwann werden und das erzeugt Sucht!

Es wird uns damit so schwer wie möglich gemacht die heiß geliebten Smartphones zur Seite zu legen. Auch die „Autoplay-Funktion“ auf Plattformen wie YouTube ist so ein Beispiel, bei dem gezielt unser Verhalten manipuliert werden soll. Bevor das eigentliche Video zu Ende ist, wird bereits ein neues Video in einem kleineren Fenster angezeigt, um uns bei der Stange zu halten. Es gibt kein natürliches Ende der Inhalte und wir bleiben dadurch automatisch länger in der App.

Katzenvideos und Online-Spiele

Egal ob beim Kochen, beim Fernsehen oder beim Arbeiten – unser Smartphone ist immer mit dabei. Das gehört heutzutage für unsere Generation einfach dazu. Sei es um Erlebnisse mit anderen zu teilen, zur Informationsbeschaffung oder einfach nur zur Ablenkung. Leere, Einsamkeit und unproduktive Momente des Tages werden durch ein paar Klicks ausgefüllt.

Hand aufs Herz: wer hat nicht schon Stunden der Prokrastination mit süßen Katzenvideos oder unterhaltsamen Online-Spielen verbracht? Handys verleihen uns aber auch das Gefühl ständig erreichbar sein zu müssen. Es wird erwartet, dass wir sofort zurückrufen, wenn uns der beste Freund nicht erreicht, dass wir WhatsApp-Nachrichten nicht tagelang unbeanwortet lassen und die Mails vom Chef auch am Wochenende auf dem Smartphone kurz überfliegen.

Aber kann das wirklich gesund sein? Welche Auswirkungen hat das auf uns?

Mehr Handy = weniger Hirn?

Eine Studie von chinesischen Forschern hat sich Veränderungen des Gehirns bei Leuten angeschaut, die exzessive We-Chat-Nutzer sind (das ist das chinesische Pendant zu whatsapp). Sie konnten feststellen, dass je intensiver die Menschen den Messenger benutzten, desto dünner war die graue Hirnsubstanz im vorderen cingulären Kortex – das ist ein Hirnbereich, der an der Steuerung des Suchtverhaltens beteiligt ist.

In einer anderen Studie der Forscher konnte beobachtet werden, dass intensive facebook-Nutzer einen kleineren Nucleus accumbens hatten als normal üblich. Dieser ist Teil unseres körpereigenen Belohnungssystems. Wenn wir eine Tafel Schokolade essen wird hier Dopamin ausgeschüttet, also ein Glückgefühl erzeugt, das wir immer wieder haben wollen.

Auch viele Drogen setzen an diesem Punkt im Gehirn an. Raucht man eine Zigarette erhöht der anschließende Dopaminrausch, die Wahrscheinlichkeit erneut zur Zigarette zu greifen, selbst wenn diese grauenhaft geschmeckt hat. Eine Abnahme des Hirnvolumens in diesen Bereichen ist also mit der Entwicklung und Aufrechterhaltung einer Sucht bzw. Abhängigkeit assoziiert.

Allerdings weiß man bis heute nicht, ob diese Veränderungen von der vielen Handynutzung an sich hervorgerufen werden oder ob die reduzierte Hirnmasse ein Zeichen für eine generelle Suchtanfälligkeit ist. Das ist das bekannte Henne-und-Ei-Problem. Waren die Hirnveränderungen schon vor der Sucht da und haben zu ihrer Entstehung beigetragen oder kamen sie erst danach?

Von Nackenproblemen bis WhatsAppitis

Es gibt leider noch keine Langzeitstudien, die verfolgen wie sich das häufige Verwenden eines Smartphones auf unsere Hirnstruktur über Jahre hinweg auswirkt.

Was man aber weiß ist, dass exzessive Handynutzung zu einem erhöhtem Maß an Einsamkeit, Schlafstörungen, Depressionen und Angststörungen führen kann. Auch Impulsivität und Hyperaktivität werden damit in Verbindung gebracht.

Und nicht auf nur unser Gehirn hat das Smartphone Auswirkungen. Zum Orthopäden kommen immer öfter junge Menschen mit Haltungsproblemen durch die übermäßige und einseitige Beanspruchung unserer Muskeln. Das kann zu starken Nackenschmerzen führen oder Sehnenscheidenentzündungen im Handgelenk, die unter Medizinern inzwischen auch als Handydaumen bekannt sind (hier sprechen die Ärzte sogar von einer Patientin mit WhatsAppitis).

Augenärzte stellen fest, dass wir immer häufiger und früher kurzsichtig werden, weil wir die ganze Zeit aufs Display starren und nicht mehr in die weite Ferne der Natur.

Aber was können wir dagegen tun?

Digital Detox

Auf vielen Smartphones gibt es inzwischen eine Funktion, mit der wir unsere aktive Handynutzung tracken und nach einer bestimmten Zeitdauer auch begrenzen können. Die Programme nennen sich je nach Anbieter etwa Digital Wellbeing oder Screentime.

Dort können wir beispielsweise einstellen, dass unser Handy automatisch nach zwei Stunden den Zugriff auf bestimmte Apps verweigert und uns damit eine Auszeit aufzwingt. Oder wir stellen ein, dass uns der Bildschirm in einem langweiligem schwarzweiß statt bunter Farben anstrahlt und damit weniger Aufmerksamkeit auf sich zieht. Andere Anwendungen leiten uns beim Klick auf süchtigmachende soziale Medien auf Seiten mit Ausflugszielen oder Tipps zur Handyentwöhnung um.

Das kann eine gute Möglichkeit sein, um seine Smartphone-Nutzung in den Griff zu bekommen. Oder man fährt für ein paar Tage auf eine einsame Berghütte ohne Internet. Egal wie man es anstellt, so ein paar Tage Handyverzicht können wirklich entspannend sein.

Voll retro? Vielleicht. Aber mit guten Freunden bei einem Glas Wein zusammen zu sitzen ohne ständig das Smartphone in der Hand zu halten bietet mehr Zusammengehörigkeitsgefühl und Lebensfreude als alle sozialen Medien zusammen geben können.

Wir sollten aufpassen uns nicht aus den Augen zu verlieren je mehr wir auf unsere Geräte starren.

 

Marlene Heckl ist Ärztin und promoviert an der Ludwig-Maximilians-Universität über den Einfluss von Tumorsuppressorgenen bei Ovarial- und Endometriumskarzinomen. Seit 2012 schreibt die Preisträgerin des renommierten "Georg-von-Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus" über medizinische und wissenschaftliche Themen, die ihr am Herzen liegen. Anfangs erschienen ihre Beiträge bei medizinischen Portalen wie DocCheck und Thieme, 2016 folgte dann ihr eigener Blog Marlenes Medizinkiste, der nun auch bei den SciLogs zu finden ist. Kontakt: medizinkiste@protonmail.com

Erstveröffentlichung: scilogs.spektrum.de

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