Kolumne: Lupus Oeconomicus

Bitte denken Sie an die Angebotsseite, Herr Precht (und alle anderen bitte auch)!

01.11.2021 - Nicolas Wolf

„Wiederholungen gefallen nicht“, sagt Julius Caesar in „Asterix und der Arvernerschild“, ein Zitat, das wohl auf Horaz zurückgeht. Nichtsdestrotrotz möchte ich noch einmal das Thema der letzten Kolumne, das „Bedingungslose Grundeinkommen“, aufgreifen. Und über Richard David Precht reden. Und über die „Angebotsseite“. Und ja, das hat alles miteinander zu tun!

Fangen wir mit der „Angebotsseite“ an. Die meisten werden mit den Begriffen „Angebot“ und „Nachfrage“ vertraut sein. Zusammen bilden Sie einen Markt, auf dem der Preis für ein Produkt oder eine Dienstleistung bestimmt wird. Allerdings kann man sie auch gesamtwirtschaftlich verwenden, nämlich dann, wenn es darum geht, was in einer Volkswirtschaft insgesamt an Waren nachgefragt wird (Nachfrageseite) und was sie zu produzieren und anzubieten im Stande ist (Angebotsseite). Wächst die Wirtschaftsleistung nicht so schnell wie erhofft, stellt sich immer die Frage, ob es die Angebots- oder Nachfrageseite ist, die das Wachstum zurückhält. Sollte es Letztere sein, dann helfen eventuell Konjunkturprogramme: Konsumsteuern reduzieren, Kaufprämien einführen, Zinsen senken oder als Staat direkt seine Ausgaben erhöhen. Will man die Angebotsseite stärken, dann sollte man in erster Linie über Investitionen nachdenken, privat oder durch den Staat (etwa in Infrastruktur oder Humankapital), oder aber auch über gezielte Migration von Arbeitskräften.

In der Praxis lassen sich Angebots- und Nachfrageseite nicht immer klar trennen. Beispiel Pandemie: Auf der einen Seite ging die Nachfrage nach Waren- und Dienstleistungen stark zurück, weil der Großteil der Bevölkerung daheim bleiben musste oder auch wollte. Andererseits waren Betriebe zeitweise geschlossen, was ganz klar einen Rückgang des gesamtwirtschaftlichen Angebots nach sich zog. Aber auch bei längerfristigen Phänomenen, wie die schleppende Erholung nach der Finanzkrise von 2008, ist nicht ganz klar, ob dies überwiegend an defizitärer Nachfrage nach Waren- und Dienstleistungen lag oder an einer Volkswirtschaft, die in ihrer Fähigkeit eben diese bereitzustellen beeinträchtigt war. Und weil zwischen Angebots- und Nachfrageseite oftmals Feedback-Loops bestehen, ist es umso frustrierender, wenn so mancher Ökonom entweder nur das eine oder nur das andere thematisiert. Grundsätzlich habe ich aber den Eindruck, dass im Diskurs die Angebotsseite häufig zu kurz kommt. Es wird viel zu selten gefragt und darüber nachgedacht, wie man Unternehmen zu Investitionen anregen, Produktivität steigern und für mehr Menschen in Arbeit sorgen kann – meist kommen da nur wirtschaftlich liberale Plattitüden wie „Unternehmenssteuern senken!“ und „Deregulierung!“, aber in manchen Situationen mögen diese vielleicht sogar zutreffen.

Precht und die Zukunft der Arbeit

Kommen wir nun zu Richard David Precht, dessen Person wohl keiner großen Erläuterungen bedarf. Ich mag Precht, höre ihm gerne zu, finde ihn mitunter sehr originell und eigentlich immer interessant. Für den öffentlichen Diskurs in Deutschland ist er ein riesen Gewinn. In den vergangenen Wochen hat er sich in seinem Podcast mit Markus Lanz und in einem Interview bei „Jung & Naiv“ zum Thema „Zukunft der Arbeit“ geäußert und dabei erwähnt, dass er an einem Buch dazu arbeitet. Was mir bei seinem Äußerungen dabei auffiel: Er schenkt der Angebotsseite nur unzureichend Beachtung, bzw. mir scheint als ob er diesbezüglich gewisse Aspekte ausblendet.

Konkret sagt er [1], dass er davon ausgeht, dass viele Berufe aufgrund von Automatisierung und Künstlicher Intelligenz wegzufallen drohen. Soweit so gut. Auch scheint er zu meinen, dass sich unser Rentensystem nicht wirklich retten lässt, schon gar nicht durch längere Arbeitszeiten, denn wir Menschen wollen ja nicht mehr, sondern tendenziell eher weniger arbeiten. Auch findet er, dass niemand zur Arbeit gezwungen und „nicht arbeiten“ entstigmatisiert werden sollte. Hier mag so mancher widersprechen, aber sei es drum. Am Ende landet er dann beim „Bedingungslosen Grundeinkommen“ als Antwort auf all dies und wenn ich das richtig herausgehört habe, dann schweben ihm so 1.000 bis 1.500 Euro im Monat zu.

Da ich mich mit dem Thema bereits in der letzten Ausgabe generell auseinandergesetzt habe, möchte ich mich hier auf eine ganz bestimmte seiner Äußerung konzentrieren, die meiner Meinung nach zu einem Widerspruch führt. In dem Podcast mit Markus Lanz prophezeit Richard David Precht, dass es in Zukunft zu einem „Mismatch“ kommen wird: Auf der einen Seite ganz viele Berufsbilder, die wegfallen werden, auf der anderen solche, in denen ein akuter Mangel an Beschäftigten herrschen wird. Seine Einschätzung: Viele derer, die ihren Job an eine Software oder einen Roboter verlieren werden, werden nicht in jene gefragten Berufe wechseln wollen bzw. können. Und welches sind jene Mangelberufe? Derzeit wohl LKW-Fahrer, aber in Zukunft vor allem dann Kranken- und AltenpflegerInnen, Ärzte und Ernährungsberater.

Das Problem dabei: Ein Bedingungsloses Grundeinkommen würde Menschen dazu verleiten tendenziell ihr Arbeitsangebot zu reduzieren. Natürlich wird nicht jeder, der in den Genuss eines BGEs kommt, aufhören zu arbeiten – hier stimme ich Richard Precht voll und ganz zu. Aber ich bin mir sicher, dass dies auf eine nicht zu unterschätzende Zahl zuträfe und eine Mehrheit zumindest deutlich weniger arbeiten wollen würde. Ein Ökonom würde sagen: Ein BGE schiebt die Arbeitsangebotskurve nach links, woraufhin der Preis für Arbeit steigt und die gesamte, geleistete Arbeit in der Volkswirtschaft zurückgeht [2]. Und was ich mir auch gut vorstellen kann, ist, dass gerade Kranken- und AltenpflegerInnen im Falle eines Bedingungslosen Grundeinkommens sich zweimal überlegen, ob sie weiterhin ihren Beruf ausüben wollen und für wie viele Stunden die Woche. Es würde die Unterversorgung im Kranken- und Pflegesektor weiter erhöhen und gleichzeitig die Kosten nach oben treiben. Unabhänging von diesem bestimmten Fall, kann man davon ausgehen, dass das Arbeitsangebot insgesamt fallen wird und damit die gesamtwirtschaftliche Angebotsseite, also die Fähigkeit der Wirtschaft Waren- und Dienstleistungen bereit zustellen, Schaden nehmen würde. Es würde zu einer Schrumpfung der Volkswirtschaft führen.

Wir Menschen werden weiterhin als Arbeitskräfte gebraucht

Das Gegenargument ist natürlich, dass es Automatisierung und KI schon richten werden. Doch war da nicht etwas in Sachen „Mismatch“? Und außerdem: Wenn ich mir vor Augen halte, was derzeit in Großbritannien oder in den USA passiert, dann entsteht bei mir der Eindruck, dass wir menschliche Arbeitskraft noch eine ganze Weile brauchen werden [3]. In beiden Ländern mangelt es unter anderem an LKW-Fahrern und qualifizierten Personal in der Gastronomie. Das hat zur Folge, dass Arbeitgeber (endlich!) mehr Geld auf den Tisch legen müssen und Arbeiter (endlich!) wieder etwas Verhandlungsmacht genießen (in den USA wurde sogar das Streiken wiederentdeckt). Und genau so sollte ein Markt ja auch funktionieren: Fehlt es an etwas, so steigt der Preis. Wenn wir, oder in diesem Fall Richard David Precht, einen Mangel in gewissen Berufen ausgemacht haben, der von Marktkräften nicht behoben wird, dann gilt es doch viel eher zu fragen: Was kann man tun, um diese Beschäftigungsfelder attraktiver zu machen, sodass mehr Menschen sie ergreifen und ihnen ihre Arbeitskraft widmen? [4] Vielleicht gibt es ja Strukturen (Monopsone, zu starke Verhandlungsmacht der Arbeitgeber, unzureichende Koordination seitens der Arbeitnehmer), die besseren Löhnen und Arbeitsbedingungen entgegenstehen. Und wie können wir generell Innovation, die Entwicklung neuer Technologen und damit unsere Produktivität beschleunigen bzw. schneller steigern, vor allem in jenen Bereichen, wo dies bisher nicht sehr gut gelungen ist und wir somit stark auf menschliche Arbeit angewiesen sind? Ich weiß es nicht! Und weil es viele andere wahrscheinlich genauso wenig wissen, sollten wir als Gesellschaft da mal besser drüber nachdenken. Und Herr Precht, bitte auch. Das ist alles andere als einfach, aber so ist das nun mal mit der Angebotsseite.

 


[1] Ich stelle hier seine Positionen bewusst verknappt dar. Sollten diese falsch wiedergegeben oder fehlerhaft zusammengefasst worden sein, dann ist dies unbeabsichtigt und nicht böse gemeint!

[2] Leider ist die Realitaet ja oftmals kompliziert. Von daher kann es natuerlich Zweit- oder Dritteffekte geben, die genau dieser Entwicklung entgegenwirken wuerden. Wie nur allzu haeufig, ist vieles am Ende eine empirische Frage.

[3] Wie bereits in der letzten Kolumne erwähnt, steht und fällt alles mit dem Zeithorizont. Vielleicht sind wir als Menschheit irgendwann so produktiv, dass es tatsächlich fast nichts mehr für uns Homo Sapiens zu tun gibt. Ein BGE ist dann aber wahrscheinlich offensichtlich und unkontrovers. Aber wohl kaum innerhalb der nächsten 30 (?) Jahre.

[4] Ich bezweifle, dass Niedriglöhner aus dem Ausland, während deutsche Staatsbürger ihr BGE genießen, eine gute und faire Lösung wären.

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