Kolumne

Corona-Staatsschulden: Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?

01.09.2020 - Nicolas Wolf

Weniger Einnahmen, mehr Ausgaben: Die Corona-Krise hat zu teilweise dramatischen Sprüngen in den Haushaltsdefiziten und der Verschuldung vieler Volkswirtschaften geführt. Früher oder später wird sich daher die Frage stellen, wie diese zusätzlichen Schulden bedient und zurückgezahlt werden sollen. Von einem magischen Anstieg des Wirtschaftswachstums einmal abgesehen scheint eine höhere Besteuerung der Vermögenden unausweichlich.

In der Welt der Volkswirte gibt es zwei Faktoren, die zur Produktion von Gütern und Dienstleistungen dienen – Kapital und Arbeit – deren Produktivität durch den Einsatz von Technologie erhöht werden kann. In der Welt von Marx standen sich Kapitalisten (welche die Mittel zur Produktion besitzen) und Arbeiter  (welche nichts außer ihrer Arbeitskraft zum Broterwerb anzubieten haben) im „Klassenkampf“ gegenüber. Ob man es nun mit Marx oder herkömmlicher Volkswirtschaftslehre hält, es ist nicht gänzlich abwegig, die Gesellschaft in zwei Gruppen einzuteilen: jene, die ihr Einkommen hauptsächlich dadurch erzielen, dass sie jemand anderem ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellen und im Gegenzug ein Gehalt beziehen; und jene, die ihren Lebensunterhalt dadurch bestreiten, indem sie Vermögen besitzen, verwalten, investieren, oder deren Arbeit unmittelbar mit „Kapital“ verknüpft ist. Letztere sind zum Beispiel Manager und Geschäftsführer, (erfolgreiche) Unternehmer, Vermögensverwalter und Asset Manager, Anwälte, Berater und sonstige Dienstleister, die eng mit den Kapitaleigentümern zusammenarbeiten. Es sind all jene, die häufig schlichtweg als die „oberen 1%“ bezeichnet werden.

Schaut man auf die letzten 30 oder 40 Jahre zurück, muss man feststellen, dass es in den entwickelten Industrieländern für die „Kapitalisten“ insgesamt sehr gut lief. Ihre Einkommen und Vermögen haben je nach Land und Statistik deutlich zugenommen, mehr noch als die Wirtschaftsleistung der jeweiligen Volkswirtschaften. Die oberen 20% – Bildungsbürger, leitende Angestellte, Inhaber von kleineren Unternehmen – hatten es sicherlich auch nicht allzu schlecht. Umgekehrt hat die „Arbeiterklasse“  weitaus weniger vom globalen Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte profitiert. In manchen Ländern, zum Beispiel in den USA, sind die Realeinkommen für den Median-Lohnempfänger seit den 70ern kaum gestiegen.

Diese zunehmende Ungleichheit zwischen den oberen 10, 1 oder 0.1% und dem Rest der Gesellschaft ist spätestens seit Thomas Pikettys „Kapital im 21. Jahrhundert“ immer wieder bestimmendes Thema in der öffentlichen Debatte. Die Gründe für dieses Auseinanderdriften zwischen den Einkommen der wahlweise als „Capitalist -“, „Creative -“ oder „Managerial Class“ bezeichneten Gruppe und allen anderen sind vielfältig und ihr Anteil an dieser Entwicklung alles andere als eindeutig: die Schwächung von Gewerkschaften, Globalisierung in Kombination mit frei fließendem Kapital, steuerliche Begünstigungen von Kapitalerträgen und Steueroasen sind genauso potenzielle Faktoren wie Netzwerkeffekte, Automatisierung und Informationstechnologie, die wahrscheinlich die stärksten Treiber sind.

Zu alledem gesellt sich nun eine Pandemie, die unterschiedliche Milieus sehr unterschiedlich trifft. Während die einen problemlos ins Home Office gewechselt sind, drohen anderen Einkommenseinbußen, die Pleite oder Arbeitslosigkeit. Insgesamt, so zeichnet es sich ab, sind alle, die zu den ökonomischen Gewinnern der letzten Jahrzehnte gehören, von der Corona-Krise weitaus weniger stark betroffen, als jene, die es ohnehin schon schwer genug hatten. Die Tatsache, dass der amerikanische Aktienindex S&P 500 trotz einer historisch einmaligen Rezession wieder neue Höchststände erreicht, zeigt wie bizarr die derzeitige Situation ist.

Fairerweise muss man sagen, dass sämtliche Staaten in ihren wirtschaftlichen Rettungspaketen vielerlei Maßnahmen beschlossen haben, die weiten Teile der Bevölkerung zu Gute kommen. Es gibt gewissermaßen „Bail-outs für alle“ und eben nicht nur für eine Interessensgruppe, wie es in der Finanzkrise von 2008 der Fall war. Doch damals wie heute stellt sich naturgemäß die Frage, wie all diese Milliarden-Pakete zur Stützung der Wirtschaft bezahlt werden sollen. Als die Finanzkrise ausgestanden war, kam es in den USA, Großbritannien und im Rest Europas zu einem Schwenk hin zu fiskalischer Austerität, oder anders formuliert: viele Staaten bemühten sich, „den Gürtel enger zu schnallen“, um der sprunghaft angestiegenen Staatsverschuldung (verursacht durch Bankenrettungen und eine tiefe Rezession) entgegenzuwirken. Dass dies die wirtschaftliche Erholung unnötig erschwerte und vor allem zu Lasten sozial schlechter gestellter Schichten ging, ist eine Erkenntnis, die in Politik- und Wirtschaftszirkeln nun (endlich!) gereift ist. Was wohl auch außer Frage stehen sollte, ist, dass eine Rückkehr zu Austerität ein weiteres Erstarken der Links- und Rechtspopulisten nach sich ziehen würde. Ich vermute daher, dass die zentrischen und moderaten politischen Kräfte einen Teufel tun werden, Sparprogamme, die abermals auf Kosten der „unteren 80%“ gehen würden, durchzuführen.

Stattdessen scheint es wahrscheinlicher, dass die Zeche (sprich: die abermals stark zugenommene Staatsverschuldung) diesmal in erster Linie die Vermögenden und Spitzenverdiener zahlen werden. Fakt ist, dass die Mär vom verschwenderischen Staat im Gegensatz zu 2009 diesmal nicht greift und ein radikales Kürzen staatlicher Ausgaben oder eine höhere Steuerlast für die Mittelschicht politisch nicht durchzusetzen sein wird. Es bleibt also nur noch eine gesellschaftliche Gruppe, wo es für das Finanzamt wirklich etwas zu holen gäbe, und das sind die oberen 10 und vor allem 1%.

Doch wie würde das konkret aussehen? Je nach Land und finanzieller Verfassung könnten unterschiedliche Maßnahmen zum Tragen kommen. Möglich wären eine stärkere Besteuerung von Erbschaften, Vermögenssteuern, das Schließen von Steuerschlupflöchern und „finanzielle Repression“, was im Grunde bedeutet, dass der Staat mit Hilfe der Zentralbank seine Schulden weginflationiert. Letzteres kann man als gegeben erachten, da die EZB, die Bank of England und die amerikanische Federal Reserve die Zinsen auf Zeit niedrig halten werden, wahrscheinlich sogar dann, wenn die Inflation wieder anzieht. Was die fiskalische Seite angeht, so spricht vieles für eine stärkere Besteuerung von Erbschaften. Sie fällt in vielen Ländern recht gering aus, hat das Potenzial, die staatlichen Einnahmen spürbar zu erhöhen, und sollte Arbeits- und Investitionsanreize kaum verzerren. Es Unternehmen und Privatleuten zu erschweren, mit Hilfe kreativer Berater Geld in Länder mit niedrigen Steuersätzen zu verschieben, sollte an sich nicht kontrovers sein. Ebenso wäre eine verbesserte, internationale steuerliche Kooperation wünschenswert, vor allem innerhalb Europas. Leider ist dies leichter gesagt als getan.

Bleiben noch Vermögenssteuern, sowie eine Erhöhung der Steuern auf hohe Einkommen und Kapitalerträge, welche allesamt immer wieder vom linken politischen Spektrum ins Feld geführt werden. Hier besteht die Gefahr, dass sie sich nachteilig auf Konsum und Investitionen auswirken, wobei anzumerken ist, dass jene mit höheren Einkommen eine niedrigere Konsumneigung haben und es derzeit nun wirklich nicht an Kapital für Investitionszwecke mangelt. Bezüglich höherer Spitzensteuersätze und Steuern auf Kapitaleinkünfte ist fraglich, wie hohe Einnahmen Sie am Ende tatsächlich generieren würden. Die Einführung einer Vermögenssteuer scheint mir wirtschaftlich und politisch deutlich problematischer als eine Erhöhung und Ausweitung von Erbschaftssteuern.

Damit nähern wir uns dem Ende einer viel zu langen Kolumne. Nach zwei Absätzen getreu dem Motto „Besteuert die Reichen!“ zum Abschluss noch ein paar Worte zur Güte an alle liberal gestimmten Leser, für die Steuererhöhungen jeglicher Art ein Tabu sind: Ich glaube schon, dass es für viele Staaten die Möglichkeit gibt, auch ausgabenseitig etwas zu tun und zwar bei ihren Rentensystemen. Hier existieren abermals große Unterschiede zwischen einzelnen Ländern, aber ihnen scheint gemein zu sein, dass es in Sachen Rentenpolitik erhebliche Ungerechtigkeiten gibt, sodass gut organisierte Berufsgruppen deutlich früher und mit deutlich höheren Bezügen in den Ruhestand gehen können, als es das Gros der Bevölkerung kann. Fakt ist aber auch, dass Rentenreformen politisch alles andere als einfach sind – eine schmerzhafte Lektion, die Monsieur le Président Emmanuel Macron vor nicht allzu langer Zeit lernen musste.

Daher wäre es natürlich wünschenswert, wenn unsere Volkswirtschaften es schafften, aus den Pandemie-Schulden „herauszuwachsen“. Doch wenn man die Wachstumsdynamik der letzten 40 Jahre betrachtet, scheint dies eher unwahrscheinlich. Wenn ein Abbau der Staatsverschuldung politisch gewollt ist, dann führt leider kaum ein Weg an einer stärkeren Besteuerung vorbei. Und politisch wie wirtschaftlich wird es schwer sein, diese Last nicht den „Kapitalisten“, den Globalisierungsgewinnern und den Vermögenden aufzubürden.

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