Rapper im Interview

Curse: "Ich habe jetzt eine andere Perspektive auf das Hamsterrad"

15.07.2016 - Rameza Bhatti

Er ist Rapper, Radiomoderator und systematischer Coach. Genauso vielfältig wie seine Karrierelaufbahn, zeigt er sich auch in seiner Musik. 20 Jahre im Musikgeschäft hat Michael Kurth, auch bekannt unter seinem Künstlernamen Curse, schon hinter sich. Gemeinsam mit DAS MILIEU schaut Curse auf sein facettenreiches Leben zurück.

DAS MILIEU: Der Künstlername Curse bedeutet auf Englisch: „Fluch“. Steckt eine tiefere Bedeutung hinter diesem Pseudonym, außer dass sich dein Nachname Kurth auf Englisch wie Curse anhört?

Curse: Als wir 14 oder 15 Jahre alt waren, haben wir in meiner Heimatstadt Minden, die erste Hip Hop Jam organisiert, wo ich auch aufgetreten bin. Vorher hieß ich Little Mic. Ich habe mir überlegt, was sich gut anhört, weil man auf der Bühne angekündigt wird und dann gehen die Lichter aus. Da kam mir die Idee, dass sich Curse mystisch anhört.

DAS MILIEU: Wie hat sich deine Sichtweise auf den Hip Hop in den vielen Jahren im Musikgeschäft geändert?


Curse: Wow, das ist so eine Überfrage. Früher in Interviews habe ich die Frage kategorisch nicht beantwortet, weil ich immer gedacht habe, das ist eine Frage, über die man einen ganzen Abend diskutieren könnte. Für mich persönlich: Die Sicht auf Hip Hop als Kultur hat sich nicht verändert. Nach wie vor bin ich davon begeistert. Damals habe ich gesagt, sie kann die Welt verändern. JetztH habe ich es gesehen und weiß, sie hat die Welt verändert. Und sie tut es immer noch. Ich glaube da ist etwas sehr sehr Großes entstanden und es ist wunderschön daran teilzuhaben. Früher waren die einzelnen Elemente im Hip Hop, so etwas wie Breakdance, Rap-Musik und so weiter, eine Einheit. Heute gibt es da eine Trennung. Das ändert für mich aber nicht, dass ich mich für Hip Hop als Kultur begeistere.

DAS MILIEU: „Die Art, in der die ‚Karriere‘ von ‚Curse‘ sich eingependelt hat, hat am Ende nicht mehr dem entsprochen, was ich will, was ich fühle und was gut ist.“ – Das steht in deiner Rücktrittserklärung von 2010. Bist du noch derselbe Hamster, der aber nicht mehr ins alte Hamsterrad steigt oder bist du jetzt ein klügerer Hamster, der weiß, wie er das alte Rad des Musikgeschäfts für sich nutzt?

Curse: Ich habe gemerkt, dass ich während meiner Jugendzeit immer ein anderes Leben hatte als meine Altersgenossen. Ich habe mich darauf konzentriert Musik zu machen und Alben herauszubringen. Als ich das 10 Jahre lang gemacht hatte, habe ich gemerkt, dass ich ganz andere Sachen total vernachlässigt habe. Mir ist klar geworden, dass mir im Leben etwas gefehlt hat und ich deshalb immer unglücklicher wurde. Da habe ich für mich entschieden: Ich muss mit der Rapmusik aufhören. Doch nach ein paar Jahren verspürte ich in meinem Inneren erneut das Bedürfnis, Musik zu machen. Mir wurde etwas bewusst: Es gibt keinen Off-Schalter. Wenn es etwas gibt, dann vielleicht einen Mute-Knopf. Für mich stellte sich dann die Frage: Möchte ich meine Musik wieder in den normalen Marktmechanismen veröffentlichen? Ich habe mich dann letztendlich dafür entschieden. Ich wollte aber durch ein eigenes Label und die Koordination von Kampagnen so viele Entscheidungen wie möglich selber treffen. Also ja. Ich bin wieder im selben Hamsterrad, habe jedoch eine andere Perspektive auf das Hamsterrad bekommen.

DAS MILIEU: Du hast im Laufe deiner Musikkarriere eine große Wandlung durchgemacht, nicht nur im Musikstil, sondern auch in der Haltung zum „Musikmachen“. Wie würdest du diese Wandlung beschreiben?

Curse: Ich glaube der größte Unterschied zwischen meinem aktuellen Album und allen Alben davor liegt in der Dichte der Silben von den Worten.
Für die Dichte meiner Silben war ich auch bekannt. In dem neuen Album habe ich bewusst reduziert und weniger Worte gesagt. Ich habe mich auf das Wesentliche konzentriert. Das ist der Hauptunterschied zwischen dem neuen Album und den alten. Musikalisch habe ich mich schon immer von der Musik beeinflussen lassen, die ich zu dieser Zeit gehört habe. So haben die Leute bei jedem Album eigentlich gesagt: Hey Curse, das ist jetzt aber anders!

DAS MILIEU: Während deines Ausstiegs aus der Rap-Szene hast du Indien bereist. Wenn du jetzt an die Zeit dort zurückdenkst, was verbindet dich mit diesem Land?

Curse: Ich bin eigentlich gar nicht wegen Indien nach Indien gefahren, muss ich zugeben. Es gab ein internationales Kursprogramm, das ich unbedingt mitmachen wollte. Als ich auf dem Schedule nachgeschaut habe, wo das stattfindet, war der nächste vernünftige Ort Indien. Also war es eigentlich Mittel zum Zweck, letztendlich hat es mir aber trotzdem gut gefallen. Indien ist überwältigend. Indien ist ein Gefühl für mich. Es ist ein Land, das ganz anders ist als Deutschland. So viele verschiedene Menschen, Religionen und Kulturen! Die Lebensweise der Menschen, die bunte Vielfalt, ich bin fasziniert von Indien. Es ist aber auch krass herausfordernd. Ich denke jeder, der Indien besucht, muss sich erstmal neu positionieren. Niemand wird sagen: Ja, war ganz nett… Indien ist etwas schmecken, etwas riechen, etwas erfahren und etwas erleben.

DAS MILIEU: Gerade im politischen Diskurs beobachten wir sehr oft krasse Extreme. Auf der einen Seite diejenigen, die blind dem Diktat des Mainstreams folgen und auf der anderen Seite diejenigen, die sich dem radikal widersetzen. Beide eint ein schwarz-weißes Bild der Gesellschaft und ihre Erklärungsmuster sind oftmals ganz simpel. 2003 sagtest du in dem Track „Widerstand“: „Ich bin dagegen, gegen alles zu sein, doch ich bin gegen so manches was mir bekannt ist, denn manches muss ja nicht sein“. Wie hältst du da die Waage?

Curse: Ich glaube ein Extrem kann für eine kurze Zeit motivieren und mobilisieren, kann aber nicht dauerhaft Bestand haben. Man muss sich immer irgendwo einpendeln. Mir fehlen da auch manchmal die Grauzonen, zum Beispiel im politischen Diskurs in Deutschland. Ich finde es sehr gut, sich klar zu positionieren, doch dann sollte man einen Schritt weitergehen und erklären, wie man das genau gestalten kann oder wie man die verschiedenen Faktoren miteinbeziehen kann. Zum Beispiel die klare Ausgangsposition: Für mich sind die Menschen gleich, egal wo sie herkommen und ich möchte auch alle Menschen demnach behandeln. Dann kann man sagen, wenn man zusammenlebt, sollte es auch bestimmte Regeln des Zusammenlebens geben. Ich glaube in Deutschland machen wir uns alles total schwer, denn wir äußern uns sehr oft zynisch über andere, die Stellung beziehen, bringen aber selbst keine Vorschläge. Es geht manchmal nicht darum, dass man alle Hintergründe zu einer Thematik hat und alles hundertprozentig weiß. Manchmal geht es darum, dass man einen Schritt macht und sagt: Hier stehe ich.

DAS MILIEU: Mir ist aufgefallen, dass es in deinen Songs kaum Verweise zur Popkultur im Allgemeinen gibt. Konsum spielt keine bedeutende Rolle. War dies beabsichtigt und Teil des Konzeptes oder liegt es an der langen Schaffenszeit, die das Album „Uns“ hinter sich hat? Wolltest du bewusst etwas Zeitloses schaffen, losgelöst von einer bestimmten Zeit, einer bestimmten Stimmung?

Curse: Darüber habe ich mir eigentlich nie Gedanken gemacht. Ich habe nicht bewusst etwas nicht getan, sondern eher bewusst über andere Sachen gesprochen. Mir war es wichtig ein Album zu machen das Themen, wie zwischenmenschliche Aspekte, losgelöst von einer Geschichte, dem Ort oder dem Moment, anspricht. Diese sind persönlicher, aber gleichzeitig viel universeller.

DAS MILIEU: Deine Texte sind sehr philosophisch, selbstreflektierend, offen und gefühlvoll. Was inspiriert dich im Prozess der Ideenfindung für neue Songtexte?

Curse: Am meisten inspiriert mich das, was um mich herum passiert. Wie ich die Welt erlebe. Daraus ziehe ich meine Inspiration. Ideen ergeben sich meist aus irgendwelchen Gesprächen, Impulsen oder einem Satz, der mir mal hängen bleibt. Ich möchte die Menschen mit meiner Musik berühren, bewegen, einen Input geben oder etwas in ihnen auslösen, denn das macht die Musik, die ich höre, mit mir.

DAS MILIEU: Im heutigen Deutschrap geht es sehr oft um Image, Beef und Entertainment. Warum hat es der nachdenkliche Rap mit sozialkritischer und politischer Botschaft so schwer?

Curse: Es gibt oft sozialkritische und politische Songs, die total populär werden. Wieso Entertainment so viel zählt, könnte der gleiche Grund sein, wieso Boulevardmagazine so gefragt sind. Oder warum die Bild Zeitung wahrscheinlich eine höhere Auflage hat als ihr. Das liegt daran, dass viele Menschen nach ihrem anstrengenden Alltag abgelenkt werden möchten, was auch verständlich ist. Sie wollen nicht darüber nachdenken und einfach nur konsumieren.

DAS MILIEU: Deine Videos zu den Songs sind sehr einfach gehalten und trotzdem brillant, weil sie genau die Tiefgründigkeit in deinen Texten widerspiegeln. Gestaltest du deine Videos selbst und was ist dir dabei wichtig?

Curse: Ich habe erst nach und nach versucht, mehr Einfluss auf meine Videos zu nehmen. Früher haben wir Konzepte von außen gestellt bekommen und dann haben wir nur entschieden, ob wir das gut finden oder nicht. In der letzten Zeit ist es so, dass ich immer mehr eigene Visionen für die Videos habe. Das hängt damit zusammen, dass ich , schon einige Bilder, Farben oder Stimmungen im Kopf habe, wenn ich die Musik mache. Ich sehe mich selbst aber noch ziemlich am Anfang und denke, dass ich noch viel mehr lernen muss.

DAS MILIEU: Du hast in den USA dein Studium unter anderem im Fach Soziologie abgeschlossen. Hat das einen Bezug zu deiner heutigen Tätigkeit als „systematischer Coach“?

Curse: Ja und Nein. Ja, weil ich mich schon seit sehr langer Zeit dafür interessiere. Ich habe angefangen Psychologie zu studieren, war mir aber dann zu langweilig. Ich habe schon als ich jünger war, WAS IST WAS Bücher studiert und habe mich für Themen wie Religion, Philosophie oder Psychologie interessiert. In meinen Songtexten tauchen ja auch immer wieder Bezüge zu diesen Themen auf. Vor ein paar Jahren habe ich dann aus der gleichen Motivation eine Ausbildung zum systematischen Coach absolviert. Mich interessieren Fragen wie: Wieso sind Menschen so? Wie können wir glücklich werden? Was bedeutet überhaupt Glück? Das ist eigentlich meine totale Leidenschaft – meine Passion für Menschen.

DAS MILIEU: Du hast auch Religionswissenschaft studiert. Welche Rolle spielt Religion heute in deinem Leben?

Curse: Ich bin Buddhist. Buddhismus wird zwar als Religion bezeichnet, ist aber nach herkömmlicher Definition keine. Es ist aber auch keine Philosophie oder Geisteswissenschaft. Buddhismus ist für mich das Beschäftigen mit der Natur des eigenen Geistes. Also: Was macht der eigene Geist? Wie funktioniert er? Sind wir unsere Gedanken? Sind wir unsere Emotionen? Es ist also das Erforschen des eigenen Geistes, was in meinem Leben einen sehr hohen Stellenwert hat. Aber ich praktiziere keinen rituellen Buddhismus, sondern konzentriere mich auf die Essenz. Für mich zählt nicht der Glaube selbst, eher die Praxis.

DAS MILIEU: Dein letztes Album ist Anfang 2015 erschienen. Wie sehen die Pläne für die Zukunft aus?

Curse: Ich bin gerade dabei ein neues Album zu machen, ich bin mittendrin in der Schreibphase. Es wird voraussichtlich 2017 erscheinen, ganz genau steht es aber noch nicht fest. Auch habe ich ein paar Features bei anderen Künstlern gemacht und habe tatsächlich angefangen, meine Tätigkeiten als Coach weiter auszubreiten.

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